Thorsten Krämer
Unversehens war er da hineingeraten, hineingestolpert eigentlich, es war diese alte Höhenangst, die in kritischen Situationen plötzlich ins Bild hineinragte wie die Köpfe toter Präsidenten in die Landschaft, die Angst war es also, die ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, und nun, da die Malaise ihm in dicken Schweißtropfen von der Nase troff, blieben ihm tatsächlich nur die Berge. Ein vertikales Ausweichmanöver mit geschlossenen Augen, der Angst halber, was ein Jammer war, wenn man den Einheimischen glaubten konnte, die ihre Fässer fröhlich talwärts rollen ließen und felsenfest behaupteten, die Aussicht reiche, und das nicht nur an klaren Tagen, bis nach Frankfurt.
9. Mai 2014 16:37
Thorsten Krämer
Von Parkplatz zu Parkplatz, lost in
transition: Für den Passanten beginnt die Dichtung
beim Aussteigen. Die Zielgerichtetheit der Schritte sei
dagegen eine Fehlinformation, ein Ablenkungsmanöver
ungewissen Ausgangs. Oder ist das Gehen gar nicht die
Bewegung, nur deren Auftakt? So sagen es
die rhythmisch leicht Beschränkten, die sich im
Sicheren wiegen. Doch sie irren. Da ist kein
Überblick, kein Handlungshorizont. Bloß diese
fatale Neigung zur Halbtotalen, ein Fußabdruck
im Hirn.
30. April 2014 14:26
Thorsten Krämer
Ein Nachtbild: Wir folgen den Produkten
durch die Kneipen, der Weg ist handschriftlich
erleuchtet. Wir bleiben in Bewegung, flackern
hierhin, dorthin, und blicken nicht nach
links, wenn wir die Straße kreuzen. Die Dunkelheit
ist gar kein Mantel, eher ein Kasten
aus Metall: Echokammer oder Inkubator, wir
brüten etwas aus – nur was, ist nicht ganz klar
und wird es auch bei Tag nicht sein.
18. März 2014 17:30
Thorsten Krämer
Alles hier ist deins: Die Äste sind deins, die Zweige
sind deins. Die Blätter, die am Boden und die
in der Luft, sind deins.
Der Schatten auf dem Rasen
ist bei Tag in deinem Auftrag unterwegs. Dein Reich
vermisst er bestenfalls zur Hälfte, denn all dies
hier, Majestät, ist deins.
28. Januar 2014 13:01
Thorsten Krämer
Von Karnivor zu Karnivor: die Gabe der Unschuld. Was hast du gedacht, Anua, als du ums Haus geschlichen bist? Juckte in deinen Ohren die fremde Sprache? Was, Anua, hast du in meinen Träumen zu suchen? In einem anderen Leben sind wir eins, blicken gemeinsam den Horizont entlang. Die Ahnen unterscheiden nicht zwischen Mensch und Tier. Ich nenne dich Bruder, Anua, und wenn ich aufwache, spüre ich die Kratzer auf meiner Brust. In der Schule trage ich es unter dem Sweatshirt.
15. Juni 2013 05:54
Thorsten Krämer
Die Schwerelosigkeit beginnt auf deinem Finger. Ein tänzelndes Etwas, eine animierte Illusion. Wischbewegungen, verwischte Optik, die Trägheit der Augen. Die Schwerelosigkeit durchzieht deine Träume. Deine Zukunft eines Losgelösten, die Musik nachts aus dem Radio. Du bist es jetzt, der schwebt, nicht länger das Objekt. Der Raum kippt unten weg, ein sachtes Auseinanderdriften dreier Dimensionen. Und auch die Zeit beginnt sich jetzt zu drehen. Die Zeit endet mit der Schwerelosigkeit; dir wird schlecht, wenn du jetzt nicht aufhörst. Du musst jetzt aufhören, sofort. Es ist die Angst, die dich erdet. Es ist die Erde, die dir Angst macht.
6. Juni 2013 12:37
Thorsten Krämer
Noch: Atemholen, Innehalten. Ein Parkplatz-
Panorama kurz nach Mitternacht, die angestrahlten
Zwischenräume. Das neue Jahr macht eine
Kunstpause, still liegt die Welt
wie bei Sendeschluss.
Aber wir
sabotieren den Schnee, schaufeln bei
Morgengrauen unser verstreutes Leben zu.
(für Hellmuth Opitz)
19. Januar 2013 11:18
Thorsten Krämer
Der Trotz ist groß hier, wir bauen
immer weiter. Die gegenwärtigen Debatten
sind von uns lanciert. Wir zahlen dafür
mit jedem Gang zur Paketstation. Das
Leben ist Geschrei am Morgen, und stolz
lächeln wir dazu. Und doch sind wir
die Unbeweglichen, wir pendeln nicht
mal mehr. Die Zukunft wird mit uns
gesund. Wir kommen bald zurück.
4. Oktober 2012 12:47
Thorsten Krämer
Seit dem Morgen drehst du die Runden. Die Fahrer
kommen und gehen, und die Körper der Nachbarn
halten hinter deiner Stirn das Wärmebild
in Bewegung.
Das Öffnen und Schließen der Türen
wäre dein Mantra, bräuchtest du eines. Kein
Schweiß, kein Parfüm kann deine Aufmerksamkeit
halten. Der Abstand zur nächsten Station ist stets nur
ein Atemzug.
Das sind die Sätze, die später
das Unfassbare zu fassen versuchen.
Aber jetzt
ist da dieses Mädchen, das sagt: Du sitzt und
sitzt und sitzt, das ist alles was du kannst.
Ja, sagst du und öffnest die Augen.
*
für Gerald Koll
13. Februar 2012 15:46
Thorsten Krämer
Im 15. Stock vergeht die Zeit schneller, die Wasser
führenden Fluchtlinien tunneln den Nebel dieses
Novembernachmittags. Die Sonne ist nicht weg, nur
anderswo, so wie das Geld, das ständig um den
Erdball fließt, an jedem Finger eine Armbanduhr.
Die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells ist die
Nachhaltigkeit der Ressource. Der Wellenschlag
der Tastaturen, gedämpftes Französisch. Erfolg
ist fünf Headsets auf fünf Kontinenten, aber die
Zukunft beginnt in einer Teeküche.
(für Chunxiao He)
16. November 2011 08:06