Thorsten Krämer
Das Miauen der Maschinen (4/7)
Was Sex zwischen Robotern angeht, so kann ein Musikvideo aus dem Jahr 1999 bis heute als stilbildend gelten. Für „All Is Full Of Love‟ von Björk drehte der Regisseur Chris Cunningham einen knapp fünf Minuten langen Film, der es seitdem weltweit in die Sammlungen der Kunstmuseen geschafft hat. Wir sehen zunächst, wie ein Android mit dem Gesicht der Sängerin fertiggestellt wird, ehe dann ein zweiter, identischer Android auftritt – oder besser eine Androidin, denn nicht nur haben beide das Gesicht von Björk, sie sind auch deutlich mit weiblichen Brüsten ausgestattet. Diese beiden Wesen küssen sich, während sie von einer komplizierten Maschinerie bewegt werden; in Nahaufnahme sind immer wieder Flüssigkeiten zu sehen, die über Metall und Kunststoff hinwegfluten. Das Geschehen ist im Hinblich auf seinen sexuellen Charakter eindeutig, aber wer da genau mit wem verkehrt, bleibt ambig. Sind es zwei unabhängige Wesen, oder sind die identischen Androidinnen vielmehr Avatare einer einzigen Maschinenintelligenz, die in einer Versuchsanordnung dem Geheimnis menschlicher Sexualität auf der Spur ist? Dabei gälte es unter anderem, einen schwerwiegenden Konstruktionsfehler auszugleichen. Denn so prägend ist offenbar unser dualistisches Konzept der Welt, dass wir nicht nur die Geschlechter anhand einer einfachen Unterteilung in männlich/weiblich aufteilen, sondern auch den Computer auf der Grundlage einer simplen Ja/Nein-Unterscheidung entwickelt haben: Fließt ein Strom oder nicht? Aber wie verhält sich diese binäre Architektur zu unserer gegenwärtigen Welt, in der sich immer mehr Menschen als non-binary identifizieren? Dass auch die Welt der künstlichen Intelligenz nicht frei von gender trouble ist, zeigen die kritischen Einwürfe, die etwa aufzeigen, wie überproportional häufig digitale Assistenzsysteme die Namen und Stimmen von Frauen zugewiesen bekommen – vom Navi im Auto bis hin zu Siri und Alexa. Jedwede dienende Funktion wird auch heute noch vorzugsweise mit weiblichen Attributen ausgestattet – und das ganz ohne Not, es gibt zum Beispiel bereits Systeme zur Sprachsynthese, die geschlechtlich uneindeutige Stimmen erzeugen. Aber so weit sind die Benutzer offenbar noch nicht – und die männliche Form ist hier nicht generisch gemeint. Dabei gibt es einen Ausweg aus der binären Falle, gerade für den Computer. Insbesondere in der Frühzeit der digitalen Revolution erfreute sich das Hexadezimalsystem großer Beliebtheit, ermöglicht es doch die Darstellung großer Zahlen in kompakter Form. Anstatt nur zwischen 0 und 1 zu unterschieden, erlaubt jede Stelle im Hexadezimalsystem 16 verschiedene Zustände. Die Antwort auf die Frage nach dem Geschlecht wäre dann einfach ein Wert zwischen 0 und F. Vielleicht erübrigte sich dann auch schon bald die Frage.
10. Juni 2023 10:42