Thorsten Krämer

Eine anfängerhafte Privatinsolvenz

lege ich dir zu Füßen, zwischen die
Zehen, um genau zu sein, denn darauf
kommt es doch an bei diesen Dingen, von
denen auch du keine Ahnung hast. Was

für ein Glück das ist, diese bilaterale
Ignoranz, die jeden Anwalt zum Weinen
brächte. Das wäre ein gutes Hobby für
später, wenn die Strandkörbe abgeräumt

sind und die Briefe sich stapeln sehr weit
weg von uns. Dann versäumen wir haupt-
beruflich Termine und nehmen die Sonne
nicht ernst, nicht mal die Sonne. Lange

wird das nicht gutgehen, aber seit wann
wäre das ein Ausschlusskriterium?

29. April 2017 08:35










Thorsten Krämer

Schrödingers Staubsauger

Wir machen es uns im Vakuum gemütlich und machen
das Vakuum kaputt dabei. Was bleibt, ist ein ausgestopftes Gerät.

Der Präparator, ein großer, hagerer Mann, nickt
mit der Autorität dessen, der den Tod unter rein
kosmetischen Aspekten betrachtet.
In seiner Hand: ein vielfach verknotetes Verlängerungskabel.
Das Oberlicht streut methodisch.

Für das bloße Auge nicht sichtbar, liegt in der hinteren
rechten Ecke der Erklärbär und schläft. Sein Schnarchen
ist schon von draußen zu hören. Es bringt alles zum
Vibrieren: den Boden, die Wände, den Staubsauger
und sogar den aufgeblähten Beutel in seinem Innern.

In diesem Experiment sind wir nicht die Betrachter.
Wir sind die Aufgesaugten, deren Zustand kritisch ist.

Der Präparator, ein kleiner, dicklicher Mann, legt
Nadel und Faden beiseite. Er kann sich nicht erinnern,
wann er zuletzt Ferien gemacht hat.
Auf dem Tisch: die Betriebsanleitung, ein vielfach über-
schriebener Stapel Altpapier.

*

gerlach en koop, Gebalgde stofzuiger (Stuffed Vacuum Cleaner), 2015

23. Februar 2017 14:07










Thorsten Krämer

Ich kann dir meinen Bart leihen, wenn

du magst, der Wind in den Dünen kann
sehr scharf werden am Abend. Andererseits
nützt es nichts, wenn ich mich erkälte, also
teilen wir uns besser den Bart. Ich habe

ihn extra wachsen lassen seit dem ersten
Tag unserer Bekanntschaft, du hast diese
Weitsicht an mir schon immer zu schätzen
gewusst. Wir werden uns ein Haus bauen

aus meinem Bart, darin verbringen wir
die dunklen Tage, deren Namen ich gerade
vergessen habe. Es ist übrigens sehr gut
vorstellbar, dass du gar kein Haus willst

so nah am Sand — auch darauf werde ich
vorbereitet gewesen sein.

16. Februar 2017 09:01










Thorsten Krämer

*

Der Moment im Burgerladen, wenn du aus all den Variablen
endlich die Bestellung formuliert hast, und der Typ hinter der
Theke guckt dich an und sagt: Und du bist? — Ja, was bist du?
Schütze, 45, Vater zweier Kinder und noch vieles mehr, was dir
jetzt durch den Kopf schießt; du stehst da wie blöd und weißt
nicht, was du sagen sollst, bis dir dann klar wird, dass du vor allem
eines bist: zu verpeilt um zu begreifen, dass der Typ nur deinen
Namen wissen will.

25. Januar 2017 16:32










Thorsten Krämer

*

Der Moment am Morgen nach der Feier, wenn du als erster
wieder wach bist und im Wohnzimmer stehst, auf dem Tisch
die ungespülten Gläser, Reste Alkohol, die Aschenbecher
mit den achtlos aufgehäuften Kippenpyramiden, und du
findest immer, was du suchst: die halb geleerte Schale
mit den Chips, die eine Nacht lang das Aroma dieses
Zimmers eingesogen haben: klamm wie Pappe, ein
Geschmack von Asche und Erwachsensein.

1. Januar 2017 12:06










Thorsten Krämer

*

Der Moment im Café, wenn zwischen zwei Gabeln Kuchen
das Grundrauschen in den Vordergrund kippt, als wäre dies
die Aufgabe der Gäste: die richtige Atmo, das akustische
Design deines Aufenthaltes hier, als spielten sie das alles
nur für dich, und dieses Innehalten gerade ist der kritische
Moment, in dem der Schwindel aufzufliegen droht, weswegen
du jetzt schnell den Kuchen weiter isst, damit niemand umsonst
hier gewesen sein wird.

22. Dezember 2016 13:38










Thorsten Krämer

*

Der Moment, wenn du im Supermarkt an der Kasse stehst
und jemand entfreundet dich, vielleicht ein alter Kollege,
den du zuletzt vor fünf Jahren gesehen hast, oder
ein Schulfreund, der deine Anfrage ohnehin
nur aus Höflichkeit angenommen hatte, und du
bemerkst es nicht, wie könntest du auch, nur später
fehlt da jemand und dir fällt beim besten Willen nicht ein,
wer es sein könnte.

19. Dezember 2016 07:44










Thorsten Krämer

Dieses Gedicht hat den Zug zur Buchmesse
verpasst. Nun steht es auf dem Bahnsteig und hat
Kaugummi unterm Schuh. Erdbeergeschmack.

19. Oktober 2016 13:06










Thorsten Krämer

Sobald dieses Gedicht zu husten anfängt, fliegen
vor meinem Fenster die Tauben auf. Sie fliegen
mit einer nüchternen Eleganz, die den Hustenreiz

des Gedichtes noch verstärkt. Sein trockener Hals
erodiert zu einer Wüste, in der Krankheitskeime
die einzigen Überlebenden sind. Ein bisschen wehleidig

ist es schon, dieses Gedicht, was den Tauben so was
von egal ist.

7. September 2016 07:48










Thorsten Krämer

Dieses Gedicht hat schon vor mehr als vierzehn
Monaten aufgehört, an seiner Bikini-Figur zu arbeiten.
Genau in dem Moment, in dem es diesen Entschluss

gefasst hat, hatte es seine Bikini-Figur. Es ist eben
die Figur, die man hier sieht; eine andere Figur hat
dieses Gedicht nur noch in deiner Vorstellung.

31. August 2016 10:25