Gerald Koll
5. Januar 2016, ein Dienstag
Nach dem Fortgeschrittenen-Training besuchte ich gestern das Training für Aikido-Anfänger, manche von ihnen mit einer grobschlächtigen Ruppigkeit, die nicht leicht aufzufangen ist. Das Arbeitsjahr der Ego-Zertrümmerung beginnt.
Traum: im Elternhaus zu Besuch ist Ex-Freundin N., die allerdings mit ihrem Ex-Freund (er ähnelt Bundeswehr-Kamerad O.) ins Obergeschoss geht. Argwöhnend begebe ich mich ins Bad und lauere hinter der Häkelgardine durch das Badfenster, und richtig, schon spaziert das Paar gemeinsam – wohl entschlüpft durch ein Balkonfenster – draußen im Garten, als führe es einen Hund aus. Während ich noch hinausstarre, erscheint N. ganz nah auf der anderen Seite des Fensters, hinter dessen Häkelgardine ich mich verborgen glaubte; sie gibt mit einer Bemerkung zu verstehen, dass sie auf mich gewartet habe; dann geht sie fort. Ich stehe hinter dem Waschbecken, halb versteckt, halb sichtbar, schreie (ins Wohnzimmer, von wo man mich rief?); beim Aufwachen zieht sich alles in meinem Kopf zum Schmerz zusammen.
Indem ich den Traum notiere, löst sich der Kopfschmerz. Der Rest der Nacht ist angenehm.
5. Januar 2017 10:45
Tobias Schoofs
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4. Januar 2017 22:11
Christine Kappe
Hell wird es plötzlich – das ist kein allmählicher Vorgang, wie man denkt, wenn man die Naturgesetze kennt. Vielmehr ist es ein kurzer Moment, in dem man plötzlich alles erkennt, und dann ist es hell.
Vorher ist es noch blau, nur blau, tiefblau, blau ist das Ende der Dunkelheit. Die Müdigkeit endet anderswo. Leider ist sie nicht an die Nacht gekoppelt. Sie ist eine Pflanze mit starken Wurzeln. Eine schmale Straße, an derem Ende ich dich weiß.
Eine weiße Straße. Ich sehe mich über ein Gitter aus weißen Straßen stolpern. Weil alle dein Alter haben, bist du mir nah. Ich selbst bin durchsichtig, mit ein paar Flecken, meine Haut reflektiert das Licht nicht. Reste von Eitelkeit und Person. Raketen.
4. Januar 2017 13:44
Gerald Koll
3. Januar 2016, ein Sonntag
Es ist binnen weniger Tage ruckartig kälter geworden. Der Wagen röchelt, die Fensterscheiben sind vereist.
Neujahrstag mit Frau S.: Truffauts Geraubte Küsse, Ovids Metamorphosen, Diskussionen, bei denen Frau S. ihre borstige Seite zeigt, gerade, wenn es um Gender-Fragen geht, was mich eher anödet, sie eher befeuert.
Gestern flog Frau S. in aller Frühe Richtung Stuttgart ab, um Theater zu spielen. Freies Training mit I.: diese Einheiten mit Dehnung und Massage sind – speziell mit I. – ein denkbar erotisches Aikido.
Heute, beim Sonntagstraining, erwiderte L., deren technische Fehler immer wieder erschauern lassen, meine vorsichtige Korrektur mit harschem „Pscht!“ Blasiertes Rebhuhn.
3. Januar 2017 10:37
Hendrik Rost
Die toteste Zeit im Kalender,
wir hängen Meisenknödel
in den Schmetterlingsflieder.
Ein heller Stern steht anonym
südlich überm Garten.
Im Hochnebel hollern Gänse.
Pica pica schwadroniert
durch den Jahreswechsel –
ihr Schwarz weiß es schon.
Der Garten rotiert um den Knödel.
Ich halte mich am Kraut
der Goldrute fest; Sentimentalität,
Fett und Getreide vermengt.
Der Abend wetzt seine dunkle
Klinge am nicht zu leugnenden Jahr.
Es riecht nach Wolken.
Wir fliegen auf, auf zu den Meisen.
1. Januar 2017 19:07
Thorsten Krämer
Der Moment am Morgen nach der Feier, wenn du als erster
wieder wach bist und im Wohnzimmer stehst, auf dem Tisch
die ungespülten Gläser, Reste Alkohol, die Aschenbecher
mit den achtlos aufgehäuften Kippenpyramiden, und du
findest immer, was du suchst: die halb geleerte Schale
mit den Chips, die eine Nacht lang das Aroma dieses
Zimmers eingesogen haben: klamm wie Pappe, ein
Geschmack von Asche und Erwachsensein.
1. Januar 2017 12:06
Gerald Koll
1. Januar 2016, ein Freitag
Unter Vermeidung jeder Geselligkeit verbrachten Frau S. und ich Abend und Nacht in meiner Wohnung. Fröhlich ins neue Jahr gevögelt. Dann vom Bett aus durch das Fenster über den Balkon ins Feuerwerk geschaut und sanft geschlummert bis 2 Uhr. Dann in der Küche gegessen.
Tags um den Weissensee spaziert und zwei Origami-Kraniche ausgesetzt, beschrieben mit folgenden drei Wünschen: (…).
1. Januar 2017 10:24
Christian Lorenz Müller
Nur für Minuten
Lichtreif im Himmel bevor
Dunkelheit ihn taut.
1. Januar 2017 00:51
Gerald Koll
31. Dezember 2015, ein Donnerstag
Gestern dokusan beim Sensei: Wie sich der Aikido-Geist in den Alltag übersetzen lasse und wie sich dieser Vorgang bei ihm vollzogen hätte: auch bei ihm in Stufen; in Stufen des Sich-Spürens; nicht als linearer Vorgang, sondern in kleinen aber spürbaren Momenten, in denen ihm deutlich wurde, dass er sich spüre. Zu meinem Aikido: raus aus dem Arm, hinein in die Hand. 287 Aikido-Trainingseinheiten im Jahr, also 5,5 Einheiten pro Woche. Und gleichzeitig spürte ich jetzt beim Winter-Lehrgang ein krisenähnliches Phänomen, eine mentale Erschlaffung, eine etwas sieche Neugier, die derzeit nicht erfasst ist vom Reiz der Prüfungen, der Techniken, des Austobens. Sensei hat mich am ersten Lehrgangs-Tag einmal nach vorn geholt, die harte Schulter angemahnt und an den folgenden Tagen nicht wieder nach vorn zitiert.
Nachmittags zum Kaffee bei der Nachbarin G., die ich in ihrer rustikalen Ostberliner Art sehr mag. Sie berichtet Erstaunliches: Geister frisch Verstorbener sitzen beizeiten auf ihren Balken und streuen Blüten; ein andermal laufen leere Schuhe durch ihr Wohnzimmer. Dann, beim astrologischen Gutachten, das ich gefasst hinzunehmen mir vorgenommen hatte, wurde sie sehr ernst: oh, zweimal Uranus … sie lenkte das Gespräch dann aber versöhnlich zu weniger Fatalem und fragte, ob mich meine Reiselust auch nach Indien zöge, wo es ja Leute gäbe, die über uns Erdenmenschen zusammengerollte Blätter liegen haben, in denen alles über unser Leben verzeichnet sei, weil wir ja alle mit Aufgaben versorgt seien. Ja, alles sei dort verzeichnet, eben der ganze Lebenslauf, auch das Sterbedatum. Sie gab mir zwei Berliner mit.
31. Dezember 2016 19:05
Björn Kiehne
Es gibt Gedichte,
die aus dem Asphalt aufsteigen,
von dort, wo gerade jemand stirbt.
Sie mischen das Abgas
mit den Gedanken derer,
die verschwinden.
Ich lege Blumen
in die Luft,
für alle,
die sterben;
für alle,
die töten
und nicht wissen,
dass sie selbst
ihr erstes Opfer sind.
29. Dezember 2016 05:20