Mirko Bonné

Mittagsschlaf

Zeit war es, dass es Zeit war?
Nie war’s Zeit gewesen, nie
würde es Zeit werden. Es war
die Zeit der Spinne, der Schlange.
Sie waren Mauereidechsensekunden,
diese Minuten des Hundertfüßlers, und
wurden endlich zur Heuschreckenstunde,
zu den Zikadentagen. Im Jahr der Agave
lehnten wir schlafend in der Macchia
an einem entzweigegangenen Boot.

*

6. Oktober 2015 15:01










Tobias Schoofs

TO NIKKI BELL

es war nicht meine absicht hier so offen
rumzuliegen dass du mich lesen kannst

oder gar musst. deine mutter hat in alten
sachen gekramt gekritzel gedichten von georges
bataille und william blake und schlimmerem

und dabei staub aufgewirbelt in dem sonst
staubfreien wohnzimmer und dabei mich
produziert und auf dem tisch vergessen

jetzt kommst du aus der schule und liest
komm eines tages denn mit deinen texten

5. Oktober 2015 23:16










Christian Lorenz Müller

~

Morgens wimpert Gras
um die Kastanienaugen.
Tautränen trocknen.

4. Oktober 2015 21:08










Mathias Jeschke

Shakira und ich

Du behauptest, meine Haut lebe von Milch und Honig.
Ich greife dir an die Kehle und sage: nefesch. Das ist
das Wort der Hebräer für die Seele, die in der Kehle
wohnt. Das ist bei deiner Stimme so, my dear, wenn
du nur nicht solchen Pop-Scheiß fabrizieren würdest,
sondern Musik, die in der Seele wohnt. Ich denke da
an Arvo Pärts Nachtigall. Erotik ist ja überhaupt ein
unsichtbares Ereignis. Was soll nur werden aus uns?

23. September 2015 21:48










Hans Thill

Useful Knowledge

Das Elixir
wirkt wie lose Buchstaben in einem Gebirgsbach, eine Verabredung in die Rinde geschnitzt. Man trinkt es in kleinen Schlucken als einen Zusammenhang von Schlange und Schnaps. Man trinkt es im Exil. Auch hier muß man geduldig sein. Hans Test ist Tristan. Wer das Glas zu früh öffnet, wird noch schnell von der Schlange gebissen. So ist das in China, wo sich Eliten an einem Gebräu berauschen. Test nimmt Nudeln anstatt der Schlangen, den Liebestrank hat er zuvor verschluckt.

23. September 2015 11:48










Christian Lorenz Müller

Ein Kilometer Luftlinie

Anspruch auf ein Einzelzimmer,
ruhig, mit Blick auf den Park
Feldbetten, ausgelegter Karton,
eine Tiefgarage für tausend Menschen
vor dem OP-Termin
ein Gespräch mit dem Primar
Rotkreuzhelfer versorgen
eine schlecht verheilte Wunde
das Wachstum ihres Kindes
wird durch die Titanplättchen
nicht weiter behindert
Bombensplitter? Nein, mein Junge
hat sich den Schenkel
an Stacheldraht zerrissen
so begradigen wir die Stellung
der Knie, für Schmerzfreiheit
selbst noch in hohem Alter
er wollte unbedingt
als erster unten durch
es wird ein bisschen wehtun
das wird schon wieder
du musst bis Freitag hierbleiben
wir wollen schnellstens weiter
du wirst bald ganz gesund sein
zu Fuß, wenn es sein muss
gute Nacht, ich komme morgen wieder
schlaf, mein Junge, schlaf ein.

18. September 2015 13:35










Gerald Koll

Unser Himmel

Der Himmel war heute Morgen voll Blau. Und in den weißen Wolken war etwas Grau, aber nicht zu viel. Schön. Das hätte alles auch ganz anders kommen können, wenn wir drüben wohnten, jenseits der Ränder der Milchstraße.

17. September 2015 14:00










Hendrik Rost

In Carmel inhuman

Eine Eiche mit Konstellation Tagesschau steht
vorm Haus als vertrauter Wächter, im Geäst
hängt das Zerebrum eines Wespennests,
das uns den Sommer über grübelnd fixiert hat:

Es zwiebelt tagelang nach einem Stich,
aber Schmerzhaftes, es kehrt nicht einfach zurück
in den Naturzustand. Zerstreuung, wie sie
Menschheit bewegt, hat mich nach den News

nach Kalifornien entführt, wo Seelöwen mit Codes
aus Grölen Lieder singen. Blubber heißt ihr Schutz
vor Elementen; kaum durchblutete Substanz.
Nahe dem Hawk Tower fällt die Küste steil ab

ins Meer – das Unerbittliche, durch den Fernseher
sogar ist es zu spüren. Der Mensch als Meister
aller Extreme, Bammel hat er vorm Wetter:
trübe Gedanken und blitzgescheites Gewisper.

(Danke sehr für das letzte Wort!)

17. September 2015 10:46










Christian Lorenz Müller

Tg Salzburg Hbf

Rote Striche auf Beton:
Normgröße für vier Räder,
vier Feldbetten, Isomatten
oder auch zehn Decken
auf einer Lage Karton.
Gestern noch aufgeblendete Scheinwerfer,
heute das weiße Glosen
der Augen; erschöpftes Gewisper
anstelle summender Motoren.
Nur die Schranke ist offen:
Exit, Ausgang, Notausgang
in den Nieselregen
der diesseits und jenseits
der Grenze fällt.

14. September 2015 17:01










Tobias Schoofs

REMIX

der aufstand wenn er kommt
kommt nicht im fernsehen

er macht deine lippen nicht sexy
er macht deine zähne nicht weiß
die frisur wird nicht sitzen du

machst insgesamt keine gute figur
der aufstand wird nicht gepostet
und sein erlebniswert ist null

er löst nicht das völlegefühl
er ist nicht bekömmlich niemand
sehnt sich nach ihm er kommt

wenn er kommt der aufstand
doch er kommt nicht im fernsehen

10. September 2015 19:58