Sünje Lewejohann

wieder eingefallen

am ortsausgang kroch dir schnecke den daumen entlang. niemand tat etwas. als der wind pfiff und man mit den augen sich an der spur entlang tastete, den spurrinnnen glauben schenkte, mehr war nicht einmal nötig. ich habe dir gesagt: laß dich nicht tragen. vom wind nicht, vom wasser nicht. kriech an der hecke entlang, bleib nahe an den büschen. es schießt, wie immer, aus allen ecken. hinter den gardinen leuchteten die fotos grell aus all den jahren. sich weiter um die büsche schleichen, drück dich auf den rasen, das sagte ich, ich bin nicht sicher, war es das?. die schnecken krochen ihren weg über die brauen. bräutigam sein und braut: je nach dem.  wir lachten noch lange, weil er im kleid bei uns blumen streute. auf all den fotos, jahre her. bevor sie weiter schossen, der wind um die häuser pfiff, und wir dann froh waren unter dem ortsschild mit dem durchgestrichenen namen. wo man schlafen konnte, das gesicht auf das gras legte. ich die leichten finger auf dem jochbein.
suenjebaum

11. Februar 2009 00:01










Mirko Bonné

Astroland

Das Meer war so laut! In der Luft Wogen,
und Himmel und See vom selben Grau:
Über den Holzpier kam bloß ein Schwarm
lachender Vögel aus dem Nebel herein.
Frachtschiffe waren zu hören, ihre Hörner
in Dunstschwaden vor Rockaway Point,
die Brandung, die Gischt, Seevögel. Leicht
flogen sie einen Bogen um das verrostete
Riesenrad bei der Mondrakete und segelten
durch die Karussells. Und der Nebel stieg
vom leeren Strand auf, hüllte Mietblocks ein,
Gondeln der Balkone, aus Feuertreppen
die Achterbahn im Coney Island der Möwen.

*

10. Februar 2009 20:12










Hartmut Abendschein

Grüne Dinge (notula nova 4)

Die strenge Konsequenz, aber auch das, was das Eigentümliche (die quidditas, Washeit und die spezifische Differenz des Haiku, der EPIPHANIE und der BEGEBENHEIT (incident, H.A.)) ausmacht, ist der Zwang zum Nicht-Kommentar. (Barthes, Vorbereitung, ?)

Montaigne: So gibt es triumphale Niederlagen, die es mit jedem Sieg aufnehmen können.

Nebel lichten sich 
Kähne
vertäut an dem Steg 

Zwei müde Fischer

Seit Nächten immer die gleiche Sequenz eines spannenden Hörspiels lauschen. An der immergleichen Stelle in einen tiefen Schlaf fallen. (Die Bedeutung dieser Stelle. Narkotische Dichtung? Spez. sprachl. Eigenschaft oder Atmosphäre? Der Beschluss, diese Stelle auch einmal tags zu hören).

Bruder Klaus hat seine Familie verlassen, um sich in einem angrenzenden Tal zu Tode zu hungern. Wo ist da der heilige Moment? Und die quidditas?

Notiz (notula) > Nota (notatio). (Barthes, 15). In der Notula also die Beschaffenheit eines Textes vor der Überführung in ein anderes Medium. Vor dessen Bearbeitung, Formenwechsel, Form. (Das ungeschliffene Ereignis, incident? Ursprünglichkeit?)

Surfgitarren. (Geschmeidig, beiläufig). Green things have entered my skin. (So far: Ich kann mich nicht erinnern je ein Mofa besessen zu haben. Ich kann das allerdings auch nicht ausschliessen.)

Und: Die Welt scheint nicht so informiert zu sein, wie viele denken. Kein Mensch schrieb über den Vulkanausbruch am vergangenen Tag bei Luzern.

“Satori” aber auch mit Blitz zu übersetzen. Die Entladung zwischen zwei Schichten. (Das Leuchten, das Beobachten dessen, Lesen, Nachvollziehen, Erkennen. Doppeltes Blitzen. Donnern?)

10. Februar 2009 20:05










Kerstin Preiwuß

hausieren

in diesem jahr ziehe ich
straßenlang um
 
ist das ein habicht
wispert das dorf
 
ich schnäbel doch nur

9. Februar 2009 20:20










Nadja Einzmann

Eine Reise in den Süden

Heute Nacht werden wir in ein Abenteuer aufbrechen, sagt mein Vater und klatscht in die Hände, dass ihr euch ja die Zähne putzt, euch hinter den Ohren wascht, bevor es losgeht. Und wir, die wir so etwas nicht gewohnt sind, keine Reise, gar nichts, die wir blass sind, vom Herumsitzen in dunklen Wohnungen und Zimmern, waschen uns hinter den Ohren, putzen die Zähne und bürsten uns die Haare, bis sie glänzen und fliegen. Wir ziehen unser feinstes Nachthemd an und tappen an der Hand unseres Vaters, unser Köfferchen unter dem Arm, durch die nächtlichen Straßen zum Bahnhof, der ein Bahnhof ist, der zum Aufbruch in den Süden nur so einlädt.
Es wird eine Fahrt, an die wir uns immer erinnern werden. Erinnert Euch an diese Fahrt, sagt unser Vater, denn so etwas erlebt ihr nicht alle Tage, so ein herrliches Abenteuer. Und also schauen wir aus dem Zugfenstern, lehnen uns weit aus den Zugfenstern die ganze Nacht über, um ja nichts zu verpassen von dieser köstlichen Fahrt und Aussicht. Es wirbelt uns der Wind durch die Haare und wir singen in die Nacht hinein alle Reiselieder, die wir kennen. Als die Dämmerung hereinbricht und die ersten Orangenbäume und Pinien sichtbar werden, die ersten Landhäuser und der südliche Himmel, rollen wir uns auf unseren Sitzen zusammen, ziehen uns die Nachthemden weit über die Zehen und schlafen bis in den Mittag hinein, bis unser Vater uns wach rüttelt. Auf, auf, sagt er, auf, auf, das Abenteuer beginnt. Er bindet uns, jeder, eine Schleife ins Haar, streicht uns die Nachthemden glatt und nimmt uns an der Hand, an der wir in den Süden hinaustreten. Ein freundlicher Wind weht und von allen Seiten lächelt man zu uns herüber. Blonde Haare und blaue Augen, sagt unser Vater, davon hat man hier immer geträumt, und er zwinkert uns munter zu. Noch auf dem Bahnhofsvorplatz stehend, winkt er einer Frau, die aussieht, als habe sie nur auf uns gewartet. Hier, sagt er, hier, ein wunderbarer Tag, und legt unsere Hände feierlich in die ihren, wie eine Gabe, ein Geschenk. Selbstverständlich sehen wir uns nicht um, sind wir doch die Töchter unseres Vaters, als wir uns von ihr an all den Straßenbahnen und Bussen vorbei in eine und dann in die nächste und übernächste der engen Gässchen und Straßen dieser Stadt führen lassen.

9. Februar 2009 18:25










Carsten Zimmermann

zum beispiel du spazierst
über den alexanderplatz
an einem mittelgrauen
vormittag

oder im wald
ein teich, worin
frösche quaken
du stehst da, wehrst
den mücken

das bild würde dich umwerfen,
wenn es dich nicht
enthielte

(das sehende unendlich
gelassen)

8. Februar 2009 20:31










Rebecca Maria Salentin

Vorfahren

Meine Vorfahren waren Tataren.
Ich stelle mir vor, wie mein Urgroßvater auf seinem kleinen Takhi durch die Gräser der Steppe galoppiert. In der Hand hält er die Urga, mit der er das Vieh wieder einfängt, das es gewagt hat, sich zu weit von der Herde zu entfernen. Sein stämmiger Körper und seine buschigen Haare verschmelzen mit dem Takhi zu einer urigen Gestalt.
Meine Großmutter liegt an der Brust ihrer Mutter. Sie ist schon fünf Jahre alt, aber das Leben ist hart und Nahrung rar. Durch die Milch der Mutter bekommt sie alles, was ihr kleiner Körper braucht. Sie schmiegt sich in die Felljacke meiner Urgroßmutter und atmet den vertrauten Geruch nach Schaf und Schweiß ein.
Zu dieser Zeit haben sie sich am Fuß des Altai niedergelassen. Hier werden sie bleiben, bis die Urgroßmutter niedergekommen ist, und sich genügend von der Geburt erholt hat. Alle ihre Kinder hat sie am Ufer des Durgen-Nur geboren. Danach wird sie das neue Kind in Felle wickeln und auf ihrem Rücken wird es mit der Familie den Dzabhan entlangziehen.
Meine Urgroßmutter sitzt am Feuer und singt die alten schamanistischen Weisen, die ihr eine gute Geburt und dem Kind das Leben bringen sollen. In ihrem seltsamen Singsang wiegt sie sich dabei vor und zurück während sie die Felle trocknet. Das ist die Musik des Tages. Nachts schläft meine Großmutter mit ihren Geschwistern eng aneinandergedrängt in der warmen Jurte. Wieder riecht sie den vertrauten Geruch des Schweißes ihrer Eltern, hört die Geräusche, das Atmen und Schnarchen der gesamten Familie. Das ist die Musik der Nacht.

8. Februar 2009 16:35










Markus Stegmann

kommende nacht

habichtlose himmel fallen aus den organen der zeit die laue luft im märz
fristet unterm dach im darin eingenisteten stroh vor den krallen der nacht
geschützte brut mit viel zu wenig magenhaut verfroren dann der wind in
grauer farbe gestrichne stirn am nächsten morgen hinter dünner haut aus
warten kocht die suppe mit angehefteten mündern erstaunt stecken die
augen im erbsenbeet und blicken senkrecht zum mond der mit stangen sich
von der erde abstösst und vom wald der sich fürchtet vor der kommenden nacht

6. Februar 2009 12:55










Andreas Münzner

Geschäftsbericht

Dieses Jahr wieder ein, zwei Wahrheiten
in den Onlineschlagzeilen, die wir immer
schon wussten. Wie damals, die Erfindung des Gleitschirms.
Der erfolgreiche Paarmensch im Schlafzimmer
erwähnt nur das Positive, Betriebe überleben, wenn sie wachsen,
ein Organismus oft noch danach. Sind

die Grauwerte ausgelagert, werden Berichte zu einer notorisch
verspäteten Gattung. Worüber sollen wir noch reden?
Lacher wirken verdächtig. Das 21. Jahrhundert ist eben
gelandet, so früh hat es niemand erwartet. Jetzt stehen wir, stetig,
uns nur noch selbst im Weg. Der Rest ist Arithmetik.
Die Pessimismen von früher dürfen belächelt werden. Ein Tor ist,

wer seine Träume nicht umbenennt. Der Ton ist härter geworden zwischen
den Geschlechtern. Für Nostalgien habe er
keine Zeit mehr, meinte kürzlich ein Bekannter.
Gestern das Telefonat mit den Eltern: Sie mischen
noch mit. Eine Generation weit weg, und so viel Misstrauen schon.
Gesenkt werden konnten die Kosten für Kommunikation.

6. Februar 2009 10:59










Andreas H. Drescher

Katharina von Bora

Sie schreibt jetzt an der Ruhe als Familiengeschichte
An ihrer Hartnäckigkeit und ihrer Wiederholung

Vor allem an den ungeraden Namen

Es interessiert sie gar nicht
Wie ihr Mann im Taufregister heißt

Seine Dorfnamen interessieren sie
Seine Spitz- und Spottnamen

Lächelnd stibbt sie die aus ihrem Tintenfass

Von ihrer Heirat angefangen
Bis zu seinem schlanken Tag vorm Petersdom

 
bora

5. Februar 2009 21:03