Hans Thill

Von den Wäldern

Von den Wäldern haben wir noch
die Buchstaben. Der ruhige Schritt einer Eiche,
Reisig, das sich öffnet und schließt wie ein Herz,
eine Glastür am Flughafen

Du kaufst eine Zeitung, die Flügel eines klein
gemusterten Schmetterlings.
Draußen vor der Stadt hört man das Stottern der Wälder

Lärm des Alphabets, so auch in den
Zonen das Reden der Frauen, die ihre Duden
zeigen, als wollten sie alles in einem
dunklen Teich waschen. Das Wetter ist
klebrig und klar

21. Mai 2014 16:34










Nikolai Vogel

Die Assoziationsmaschine füttern

Alltag, Bilder, ein über eine Brücke fahrender Zug, der Fluss steht, das Ufer bewegt sich, Erddrehung, Schlafphasen, Wachphasen, Ebbe und Flut,

(mit Dank an Andreas H. Drescher fürs Weißbier ein Stück weiter unten)

20. Mai 2014 20:37










Carolin Callies

Rohstoffe IV

nicht viel & wir schnitten die türen in äpfel;
nicht viel & wir sägten das fenster ins laub.
ich trug viel davon & zu tragen vermochten wir steinobst
& kehlbrandt & durstige mäuse aus unserem stall.

der bärbeißgestank überfüllte uns morgens
& mittags, da tranken wir laub vom Karton.

20. Mai 2014 15:11










Andreas H. Drescher

Weißbier – vermauert (für Nikolai Vogel)

Flugmöbel aus Mörtelstaub
wassergewaagt im Schlaf der
seinen Lauftraum stickt

Das Montagsblau hinter
der Apnoe Uhren mit der Er
kenntnis selbst Poliere

haben zwei Zeiten eingekellt

19. Mai 2014 07:14










Christine Langer

Postkartenbild

Der Anblick macht schwindelig
Ein Heißluftballon
Über dem Mohnfeld
Das runde Rot im Himmel
Bringt die Mohnblumen zum Schweben
Atmet sie ein und aus
Gespenster die Wolken
Blutsbrüder des eigenen Körpers
Hineinfallen ins mittige Gesicht
Aufgehen hinaufsehen
Ins ohnmächtige mohnlippige Wort

17. Mai 2014 23:31










Andreas Louis Seyerlein

~

2.28 – Das Museum der Nachthäuser befindet sich am Shore Boulevard nördlich der Hell Gates Bridge, die den Stadtteil Queens über den East River hinweg mit Randilis Island verbindet. Es ist ein recht kleines Haus, rote Backsteine, ein Schornstein, der an einen Fabrikschlot erinnert, ein Garten, in dem verwitterte Apfelbäume stehen, und der Fluss so nah, dass man ihn riechen kann. Während eines Spazierganges, zufällig, entdeckte ich dieses Museum, von dem ich nie zuvor gehört hatte. Es war ein später Nachmittag, ich musste etwas warten, weil das Museum niemals vor Einbruch der Dämmerung öffnete. Es ist eben ein Museum für Nachtmenschen, die in Nachthäusern wohnen, welche erfunden worden waren, um Nachtmenschen artgerechtes Wohnen zu ermöglichen. Als das Museum dann endlich öffnete, war ich schon etwas müde geworden, und weil ich der einzige Besucher in dieser Nacht gewesen war, führte mich ein junger Mann herum. Er war sehr geduldig, wartete, wenn ich wie wild in mein Notizbuch notierte, weil er spannende Geschichten erzählte von jenen merkwürdigen Gegenständen, die in den Vitrinen des Museums versammelt waren. Von einem dieser Gegenstände will ich kurz berichten, von einem metallenen Wesen, das mich an eine Kreuzung zwischen Gecko und Spinne erinnerte. Das Ding war verrostet. Es hatte die Größe eines Schuhkartons. An je einer Seite des Objekt saßen Beine fest, die über Saugnäpfe verfügten, eine Kamera thronte obenauf wie ein Reiter. Der junge Mann erzählte, dass es sich bei diesem Gerät um ein Instrument der Verteidigung handelte, aus einer Zeit da Nachtmenschen mit Tagmenschen noch unter den Dächern ein und derselben Häuser wohnten. Das kleine Tier saß in der Vitrine, als würde er sich ducken, als würde es jederzeit wieder eine Wand besteigen wollen. Das war nämlich seine vornehme Aufgabe gewesen, Zimmerwände zu besteigen in der Nacht, sich an Zimmerdecken zu heften und mit kleinen oder größeren Hammerwerkzeugen Klopf- oder Schlaggeräusche zu erzeugen, um Tagmenschen aus dem Schlaf zu holen, die ihrerseits wenige Stunden zuvor noch durch ihre erbarmungslos harten Schritte den Erfinder der Geckomaschine, einen Nachtarbeiter, aus seinen Träumen gerissen haben mochten. Es war, sagte der junge Mann, immer so gewesen damals in dieser schrecklichen Zeit, dass sich Tagmenschen sicher fühlten vor Nachtmenschen, die unter ihnen lebten, die mit Schritten die Zimmerdecken ihrer Wohung niemals erreichen konnten. Aus und fini! – stop

> particles

17. Mai 2014 14:45










Andreas H. Drescher

Steinstelz

17. Mai 2014 07:32










Hendrik Rost

Gedicht statt eines Denkmals

Jeden Tag gehe ich in Lessings
Schatten über den Gänsemarkt,
zu seinen Füßen sitzen Figuren,
die kein anderes Obdach haben,
oder Leute aus den Agenturen
und Banken, die hier ihr Unwesen
treiben. Vielleicht hat er Recht,
der Aufklärer: Ich nicht und keiner
dieser Menschen muss müssen.
Aber jeder von uns – wir werden
einander eines Tages vermissen.

Schemen des Ruhms. Mehr Denkmal
ist nicht als dies Gedicht. Es feiert
sich und sieht keinen großen
Unterschied zwischen der Tafel
aus Bronze am Sockel der Statue
und der Pappe, auf die ein armer
Teufel gekrakelt hat: Habe Hunger.
Das ist in jedem Fall Hamburgische
Dramaturgie. Über das Mitgefühl
mit anderen die Menschen zu
verstehen, die so sind wie wir.

Auf dem Gedicht landen keine
Tauben, es rostet nicht, keine
Aussicht auf künftige Größe
verzerrt seinen Blick auf die Welt.
Was es sieht, muss keinem
gefallen, nicht mal ihm selbst.
Die letzte Phase der Evolution
macht jeder mit sich aus:
für das Menschengeschlecht
Gutes zu tun. Bettler, Standbild,
Banker – ich geb dem einen
etwas Geld. Die anderen stehen
mir im Licht. Keiner verrät, was
ihn bewegt in seiner Position.

16. Mai 2014 09:34










Christine Langer

Maibaum

Der Himmel steht still
Nur die Bänder des Maibaums
Reißen sich los nach Süden

Im Rhythmus der Stille
Schlägt nur der Puls von
Gleichgewicht und irdischer Gewißheit

15. Mai 2014 23:25










Markus Stegmann

Rüeblibaum

Zutraulich fast
rentierhaft zahme Rüebli
baumeln am Baum
erhoben sich aus
unsichtbarem Raum
wuchtigen
Erinnerungsbeeten
fortschreitender Kindheit
als sich etwas
unbemerkt verschob
hängen am kugeligen
Baum treibt ein Traum
zwischen Verbot und
Vertreibung aus dem
Paradies wo ich sowieso
nie war geschweige
denn aber vielleicht
ja du

Zu Ramon Schnyders noch nicht existierendem, aber um so sichtbarerem „Rüeblibaum“

15. Mai 2014 22:14