Christine Kappe
Max Eydth. Mit manchem Brief falle ich selbst ins Haus. Ich sehe durch die Scheibe in der Tür, wie er sanft auf den Teppich segelt und möchte hinterher, über den Teppich auf die Terakotta-Fliesen und die weiße, hübsche Tür öffnen, mit der Gardine davor… hier stehe ich in einem Flur mit dunklem Parkett, in der Garderobe hängen Mäntel, solide Regenjacken, Hundeleinen; in den Flur fällt das Licht von mindestens drei nicht ganz kleinen Räumen, und dieses Licht flackert, durch die Laubschatten von mindestens drei nicht ganz kleinen Bäumen, die in einem großen Garten stehen; sicherlich befindet sich irgendwo ein Musikinstrument. Die Fensterscheiben sind fleckig, weil die Putzfrau Urlaub hat. – Es gibt aber auch ganz andere Häuser hier, Häuser, deren Fenster vergittert sind, in die ich aber auch ohne Gitter nicht hineinsehen könnte, weil sie dunkel sind und sich nichts in der Nähe der Fenster befindet; von den Briefkästen ist meist der Name abgerissen und vor dem Gartentor steht ein unbenutzter Zweitwagen.
15. August 2013 19:06
Gerald Koll
heute: ukemi

beachte: ein guter uke hält den kontakt auch in ungünstiger position. (nage: michael)
15. August 2013 08:06
Markus Stegmann
Dem Korallenstein Gesicht stand Verwahrung
im Verlies die verlängerten Körper Epochen
Nachfahren enterten im Geschwader den
achteckigen Hof wo oben zuerst Himmel
dann Gewitter zog während wir höher
in die Etagen stiegen am Ende der Wände
wollten durch den Stein weder Fenster noch
Berg nur der Ausgang aufs Land ungewiss stand
die Luft in den Lungen der Vergangenen im
Periskop sahen wir über den Wellen Gefälle
des Vulkans während die Nacht ihre Verluste
einsog und den Verregneten Sturm gab den
Zurückgesetzten der vorwärtsschraubenden Gelände
ihre verdrängten Verse während der Grabungen
standen wir im unvollendeten Kirchenschiff der
Krähen die voranflogen abdrehten wir
schaufelten das Geröll des Gewitters ins
einäugige Land stapelten querstehende
angetrocknete Trompeten knapp klappte
das Terrain über den Fenstern zum Himmel
lehnten abgeerntete Weizenfelder als
Schilde der Erde schienen sie uns fremder als
die Gedrehten der Nacht wuchsen nirgends
nässere Arme aus Gras
14. August 2013 19:40
Mirko Bonné
„Im Niemandsland zwischen Prag und Żmigród
brach die Lokomotive zusammen“, schreibst du,
„und wie bei der Teufelsaustreibung der Dämon,
so verreckte auch die herbeigekarrte Ersatzlok.“
Es war am Tag des Hitzerekords, und das Nest,
wo ihr festsaßt, hieß Scheusal. „Am Bahndamm
Eisenbahnergärten. In der Mittagsglut kescherten
Kinder dort verlangsamte Falter. Sie lachten uns
mit großen Augen aus, wie wir da in den Waggons
japsten, bis zischend endlich die Türen aufgingen.“
Du schreibst, aus Angst, es könnte weitergehen,
bliebst du für drei Stunden an den Gleisen sitzen,
hocktest an einem Baum, trankst ein Tyskie-Bier,
heiß wie ein Geysir, und sahst den Schweißern zu,
„braungebrannten, rußbeschmierten Schränken, die
in Flammen badeten und sich mit Feuer bespritzten.
Ein deutsches, lange totes Wort fiel mir ein – Glast,
als Leute aus dem Zug die Böschung runterkamen.
Sie keuchten, so wie das verbrannte Gras keuchte,
und da wusste ich: der Gespenster Traglast – wir.“
In Scheusal gab es keinen Schatten. Du schreibst,
„sogar im Keller der Schule, wo ich ein Klosett fand
und die Flasche füllte, war es stickig. Flirrende Luft.
Das Gelächter der Wasserspeier auf dem Hradschin
ging mir nicht aus dem Sinn.“ Laufen, so wie Wasser
laufen, dachtest du. „Ich muss laufen“, schreibst du,
und so endet deine Mail aus Scheusal. „Ich lauf los.“
Bei Jary in einem Hohlweg. Auf einem Erdbeerfeld,
wo Selbstpflücker standen. Und in der Dämmerung,
mit Hund, behörntem Helm. So sah man dich noch.
Für Katarzyna Fetlińska
*
13. August 2013 21:31
Gerald Koll
heute: kote-gaeshi

(mangelhaft: kontakt des uke, raumwahrnehmung des nage)
13. August 2013 15:58
Gerald Koll
heute: shomen-uchi

uke: gabriel. nage: maria. dojo: divae matri virgini, münchen
12. August 2013 14:44
Mirko Bonné
Wie das Licht
durch Birken fällt
und zitternd blinkt,
ist Einer für dich,
im Flüstern Stille,
Geraune nebenan
die Vogelstimme,
so hörst du sie,
Sommerpracht. So
muss Brennen sein.
Ein Feuer geht dir
über die Hände.
Was bist du, das
nicht innig zu feiern
unterm lila Himmel.
Sinnlos ein Gruß.
Lila. Alles ist da,
abendlanger Duft,
Flieder, Büsche
im Nirgendwie.
*
7. August 2013 21:27
Sylvia Geist
Der Kopf meines Vaters
lag auf dem Wasser,
schwer von Notfallplänen
gegen die Enttäuschung,
die ich ihm bereiten musste,
und nickte im Minutentakt:
zehn, dann hast du es. Rufe
aus der nächsten Bucht,
Licht wie Heu, Ruderer
beim Wenden. Nicken.
Ich hörte auf zu zählen,
paddelte, ein Otter,
bis über die Ohren
verliebt in die Azurjungfern
an den Schildern
vorbei in die Gezeiten,
die von Kaffeedampfern
über die Havel heran
schwappten, und aus
Vaters Mund: null.
Ich wusste das nicht, aber er
sah das Schiff ins Schilf,
mein Fell davonschwimmen,
in jeder Muschel die Turbine.
29. Juli 2013 19:56
Mirko Bonné
Den Komposthaufen abzufackeln, kam er mittags aus dem Haus.
Er schritt mir quer durchs Spielfeld der bepflasterten Terrasse
mit geballter Faust und in der Linken einer grünen Flasche:
Traumtanz-Endspiel. Kick du mir noch einmal eine Scheibe ein!
Mein Vater stapfte übers Gras davon, auf dem im Schattenkäfig
wie verkohlt starr mein Kaninchen saß. Es war sein letzter Sommer,
ehe es verschwunden blieb, ein Bussardopfer, stumm und schwarz.
Aus diesem Garten trat ich einmal einen Elfer in das Treibhaus rüber
und hör immer noch die Scheiben splittern. Aus der Küche wie von weit
Musik. Und Klirren. Mitte Juni. Meine Mutter wusch da ab, Libellengläser
von dem Gartenfest am Tag zuvor. Mein Vater stand vorm Kompost,
er goss Spiritus darüber, nahm die Schachtel aus der Hand, er sah
lang in der Faust das Zündholz an, den Schlüssel eines Höllentors.
Ich dribbelte. Ich sah ihn dastehn, überlegen, ob er werfen sollte.
Ich sah Feuer, einen Drachen, Schwall aus Licht und gleißend
Tier, das ihn verschluckte. Es war windstill. Aber in dem Lodern
schien der Wind zu leben, heiße Flagge, gelb, rot, bläulich grüner
Krieg, ein ungeheuer böses Glück, das sich an meinen Vater lehnte,
Pferd aus Flammen, das ihn mit sich riss, obwohl er stehenblieb, so
reglos war wie ich. Wir standen beide da, er brannte lichterloh,
ich brannte innerlich. Und aus der Küche wie von weit Musik.
*
15. Juli 2013 15:49
Christine Kappe
Bei einem Spaziergang durch die Stadt entdecke ich in einer schattigen Seitenstraße einen kleinen Buchladen, der mir nie zuvor aufgefallen ist. Ich gehe hinein und frage mich, warum es hier kein Licht gibt; aber dann sehe ich, dass es nur kaputt ist, denn ab und zu leuchtet schwach eine Neonröhre auf. Als ich mich an das Halbdunkel gewöhnt habe, erkenne ich, dass es in diesem Laden nur Taschenbücher gibt. Eins davon habe ich geschrieben. Wie der Klappentext mir verrät, handelt es von meiner Kindheit. Es trägt den Titel „Die Teebaumgesellschaft“. Ich muss meine Augen sehr anstrengen, um etwas lesen zu können. Der Text ist aber recht überschaubar. Die Mutter in der Geschichte sagt immer bloß ‚brrr‘, der Vater ‚frrr‘. Kein Wunder, erkenne ich doch auf einer Illustration meine Mutter, wie sie das Hemd von Vater bügelt – nackt, da friert sie natürlich. Und Vater friert ja, weil er das Hemd nicht anhat. Ob ich das Buch kaufen soll? Aber dann lasse ich es sein, grüße den Ladeninhaber, der seit meiner Ankunft in der Nische seines Verkaufstresens telefoniert und gehe wieder auf die Straße.
2. Juli 2013 11:44