Hans Thill
Die alte Zwölf wird kleingeschnitten,
mit kühlem Brot in einer Wurst
gegessen. Die Berge schmelzen
nicht. Eine Hand, durchs
Fenster eingeflogen, faltet
Taschentücher, Jogginghosen.
Es gibt ein Drittes, heisst es Hunger,
heisst es Nebel? Ein Vogel hat
unzählige Körper, schwer für
die Luft. Das Wetter geht mit
lauten Bäumen durch die Stadt
nach dem heurigen Kalender:
Baktun Katun Tun.
13, 31, 44
Le vieux douze sera haché, mangé
avec le pain froid d´aujourdhui
dans une saucisse. Les montagnes
ne fondront pas. Une main
entrera la fenêtre à plier
mouchoirs et pantalons
en coton. Il y a un troisième,
qui s´appelle faim ou
brouillard 44. L´oiseau a
autant de corps que l´air
pourra porter. Le temps
traverse les cités des arbres
sonores selon un calendrier
en papier:
Baktun Katun Tun.
13, 31, 44
Old twelve will be sliced, eaten
in a saussage with cool bread.
Mountains won´t melt.
A hand flies through the window
to fold a handkerchief
and saggy pants.
Tertium datur, mud on your face.
A bird has as many bodies as
the air could wear. The weather
goes through wooden cities
following a calender
without feasts:
Baktun Katun Tun.
3. Januar 2013 00:09
Christine Kappe
Zustell-Ende in der Heinrich-Heine. Ich geh kurz vor eins noch beim Bäcker rein. Bevor ich mein Brot bestellen kann, kommt eine ältere Frau hereingestürmt. „Ich muss mal kurz stören, ich hab was ganz Blödes gemacht. Ich habe zwei Tüten mit Kleidern in den Altkleidercontainer geworfen und meinen Schlüssel samt Portemonaie hinterher!“ Ihre Panik flirrt in der Luft. Die Bäckerin zwinkert: „Die ist immer so. Auch wenn sie nicht ‚was ganz Blödes‘ gemacht hat.“ Ich gehe mit der Frau hinaus, gebe ihr mein Handy; aber sie kann damit nicht umgehen. Kurz darauf hänge ich in Warteschleifen und fremden Geschichten. Gerade will ich fragen, was ich auf den AB sprechen soll, da sehe ich, wie sie in den Container klettert… Pünktlich Feierabend machen, mit einem Brot in der Tasche, davon träume ich nur.
22. Dezember 2012 14:59
Andreas Louis Seyerlein
6.45 – Im Warenhaus entdecke ich Preise, beispielsweise den Preis von 1.99 für ein Paar Handschuhe, gestrickt. Das fünfte Jahr in Folge ist es gekommen, dass die Preise für Handschuhe fallen. Sie scheinen inzwischen auf Bäumen zu wachsen wie Bananen. Auch Bananen werden immer billiger. An den Handschuhspitzen, dort wo man einen Zeigerfinger hineinstecken kann, entkommen dem Gewebe Fäden. An dieser Stelle, so nehme ich an, waren sie mit ihrem Baum verbunden, hier wurden sie getrennt vom Wind, der Schwerkraft oder von Menschen, die kaum etwas verdienen, nur gerade soviel, dass sie nicht verhungern oder verdursten, weil man sie noch gebrauchen könnte in den nächsten Jahren, geübte, geduldige Frauen und Männer. Vermutlich sind Handschuhbäume ganzjährig blühende Wesen, irgendwo ist immer Winter. Außerdem lassen sich Handschuhe gut aufbewahren, sie verderben nicht so schnell, man muss sie nicht einmal kühlen, nur gefräßige Tiere vertreiben. Das alles, dass Handschuhe von den Bäumen kommen, scheint noch sehr geheim zu sein. Ich habe vor wenigen Minuten versucht mittels der Suchmaschine Google herauszufinden wo Bäume, wie ich sie mir vorstellte, wachsen und wo man sie ihrer Früchte beraubt. –stop
> particles
18. Dezember 2012 16:41
Gerald Koll
…

(Aus: Edisons Glühbirne. In: Der geheime Garten vom Nakano Broadway. Von Masayuki Kusumi (Text) und Jiro Taniguchi (Zeichnung). Bei: Carlsen Comics. Hamburg 2012.)
9. Dezember 2012 11:31
Gerald Koll
Zu den aufmunternden Worten des namenlosen Mönchs nickte bescheiden der profane Novize, aus dem dieser Tage, der letzten des Jahres, alle Farbe floss, und dankbar blickte der Gast, der auch heute Morgen immerfort eingeschlafen war.
Das letzte Zazen, das vierundfünfzigste, beginnt in vier Minuten. Heute ist der 31.12.2011. Es ist 12:06.
9. Dezember 2012 11:26
Carolin Callies
das pflügen von haut
der duschvorhang brämig
und brennnässelschmämig der arm, der leckt.
wachwundes als schorf & scham, die versandet & leim,
der krustet und schurft in eimern sich aus,
der rindet sich fäulend ins becken hinab.
der saum, ockereitrig, als wär´s bloß urin.
8. Dezember 2012 14:43
Christine Kappe
Traum, am Nachmittag, auf dem Sofa, nach dem Zähneziehen, dass die Umkleidekabinen der Turnhallen in meiner Kindheit immer unvorstellbar hohe Decken und Fenster hatten, und dass der Junge, mit dem ich dort am liebsten tobte, behauptete, er würde schon seit 5 Jahren in unserer Wohnung wohnen; wir rangelten uns, und das tat natürlich viel mehr weh, als wenn unsere Eltern uns schlugen, aber darüber beschwerten wir uns nicht.
6. Dezember 2012 09:42
Gerald Koll
… könnten Stroh zu Gold spinnen !
2. Dezember 2012 11:49
Christine Kappe
MHH. Im Zimmer wurde es immer dunkler, niemand von uns wollte das Licht anmachen (es war zu hell), wir saßen einfach nur da, waren einfach nur da. Ben und ich warteten auf meine Entlassung. Ingrid hatten sie gleich wieder zugenäht, als sie gesehen hatte, dass alle Organe befallen waren. Mir war schleierhaft, wie sie das aushielt, was sie dachte. Ihr Sohn war ruhig, schön, traurig, im langen schwarzen Mantel und einem Alter, von dem wir nur träumen konnten. Ihr Mann fasste es zusammen: „Du bist halt was besonderes.“ Von unten drangen den ganzen Nachmittag die Geräusche der Gärtner durchs gekippte Fenster. Es gab viel zu ordnen für sie. Ich musste an meinen Bruder denken. Wenn er nur halb so lange wie ich hier warten müsste, hätte er einen Anwalt eingeschaltet.
28. November 2012 22:29
Sylvia Geist
überschreibt Christine Kappe einen Absatz in einem Text Über das Verschwinden: „Auch die Menschen, die hier wohnen, verschwinden. Besonders augenfällig im Eintrachtweg, ungerade Seite, wo die Namen so stokelig aus dem Russischen transkribiert sind, dass sie nie wieder ins Kyrillische zurückfinden. Hier ist keiner auf der Straße. Ein einziges Mal bin ich, bei Nummer 9, einer Frau begegnet, die kam neben mir aus der Hecke und hatte nur einen Schuh an. Wie ein Zitat.“
Die Rede ist von einer Straße in Hannover, einer kurzen, wie ich annehme. Sicher bin ich nicht, ich wusste nicht einmal, dass es hier einen Eintrachtweg gibt, geschweige denn, dass es sich dabei um einen quasi-magischen, etwas unheimlichen Standort (oder -punkt) handelt, an dem verschwunden wird.
Dabei ist das eigentlich nicht so überraschend – deutet nicht schon der Name darauf hin? Verschwinden die Dinge in Eintracht nicht besonders leicht, dort, wo sie einander durch die Flüchtigkeit des Blicks zum Verwechseln ähnlich werden, bis sie in Eintracht verschwimmen, oder aber in Eintracht mit meinen Sehgewohnheiten nur mehr dahindämmern? Christine Kappes Sprache kündigt Eintracht immer wieder auf, sukzessiv und subversiv biegt sie vom Gewohnten, Erwarteten ab und trifft die Dinge in den so alltäglichen wie merkwürdigen Allianzen an, in denen sie wieder sichtbar werden: „Wenn ich auch nur 10 Minuten später dort bin, ist der Geräuschpegel anders …, laufen weniger Kaninchen vor der Einfahrt von BASF weg – der Stadtteil (…) stellt sich quer, zerreißt wie eine billige Kopie …“
Ich freue mich, liebe Christine, künftig auch hier von dir zu lesen. Sei herzlich willkommen im Goldenen Fisch!
26. November 2012 15:25