Hendrik Rost

Nicolas Born arbeitet und lebt

Ein böser Husten, der alles verurteilt.
Trance bei der Tagesschau,
wie lange war ich weg?

Der Nachbar muss auf den Balkon
mit Zigarette. Der Rauch zieht zu uns,
markierter Atem.

Das Leben kennt nur Liebkosungen.
Gratulation zu dem Mut,
an der falschen Stelle zu lachen.

25. Oktober 2012 09:51










Mirko Bonné

Die Tür auf dem Meer

Du bist alt, sagt das Boot.
Yang Lian

(2/3)

Da gehen die weißen Türen auf,

und hindurch fahren die alten Fischer,
hinaus auf den Strom, Krabben zu fangen,

Krabben mit starken Scheren und Beinen,

die den überrunzelten Händen der Fischer
und den Gesichtern ihrer Frauen gleichen,

sodass manchmal wie unterm Brautschleier
eine Krabbe aussieht, die im Netz stillhält.

Küss sie, Xu Lian, lachend küss die Krabbe,
damit die am Ufer wissen: Gut war die Zeit!

*

22. Oktober 2012 13:07










Hans Thill

Crazy Horses (für Hanns Grössel) 11

sieht jeder Tag sich immer mehr vermindern,

Tag, laß nach, du folgst der Wiese,
auf der die Pferde ficken. Ich trage
jetzt die Nacht wie einen Anorak mit Mond.
Nimm die Weide mit und den Kaffee,
mein tickendes Gesicht sehr rund, sehr
rot auf einem Gaul aus Imitat

Des fils prodigieux qu’engendra la Nuée,

21. Oktober 2012 18:11










Mirko Bonné

Die Tür auf dem Meer

Du bist alt, sagt das Boot.
Yang Lian

(1/3)

Türen führen auf den Fluss, Segel,
so weiß wie ein Schlafzimmerschrank.

Zwei Brücken sind die Ufer, zwei Betten,
und am dritten Ufer warten die Toten.

Alle wollen sie münden, Xu Lian,
und wie du sein,

Tropfen,
der ins Gelbe Meer fällt.

*

17. Oktober 2012 16:41










Sylvia Geist

Kahl

mmmm mmmm„A world of bald white days in a shadeless socket.“
mmmm mmmm
Sylvia Plath

Ich schreie nicht. Kein Gott hat mich
an den Haarwurzeln gepackt und nie
hat meine Hoffnung fliegen gelernt,
richtig fliegen, wie die Krähen es tun,
achtsam mit dem Wind, die wilden
Schädel der Kastanien im Blick,
sie stürzte sich nur immer auf
in die Stratosphäre oder schmolz
auf irgendeinem Acker im Schlamm.

Kein Gott, der mich zog, Lichtbringerei,
die mich aus hunderttausend Ankern hob.
Müde Hakenwürmchen, Karabiner,
die sich lösen, Ösen, durch die Augenblicke
ihre Fäden schoben wie viel Jahr –
mmmm mmmm mmmm mmmmHeute
leben alle gleich, Brüder und Schwestern

eines Ordens der Steher, Jäger, Augentiere,
und ich mondköpfiges Mannequin
will die Toten nicht mehr zählen, kehre sie,
traurige, immer noch glänzende Berge,
zusammen, leicht wie die Erscheinungen
am Morgen, als die Krähen sich satt fraßen
am grün behaarten Dach und ich nicht schrie.

Es wird jetzt noch mal sonnig,
mit Brisen für meinen ersten sachten
Federflaum, und ich blende das Fenster,
indem ich es öffne. Picke Kastanien
aus ihren stachligen Perücken, streichle
blonde Innenfelle, Dunkelhäupter,
lippenglatt vor meinem achtsamen Verzehr.

15. Oktober 2012 17:57










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (40)

Ausklang zweielf Einklang zweizwölf, Einklang und Ausklang sind eins.
Viel hat der Sasse gesessen und Dielen gelesen, dass er dieses Ei legt.

Munterkeit spürt er, mit dem Tode zu handeln, um zu richtiger Zeit und in heiterem Umstand den Kult zu beleben, das Salböl zu reiben, den Atem zu enden, so ruhig ist der Sasse am letzten Morgen des Sesshin nach erstem Sitzen um sechsuhrundsechs. Die Rufe der Eulen und Käuze im Wald hallen im Körpergewölbe ohne Geweide, geräumt für Samen und Flechten, Weihrauch und Fette, Zederharz und Bienenwachs. Und einzwei Korn Pfeffer.

Immer noch wachsen aus Dielen Gesichte, Anker und Reis. Er lässt sie wachsen.
Hört er ein Kratzen, spürt er ein Jucken. Die Wirkung überlässt er den Ursachen.

7. Oktober 2012 08:12










Hans Thill

Crazy Horses (für Hanns Grössel) 10

Denn jenen hohen Stamm von Wolkenkindern

natürlich wie immer ein Brickett im
Portemonnaie. Ich unterm Dach wuchs zu
jenem Etwas, der Wunsch,
Baron auf hohem Roß, die Rasselbande
wurde blond und
bunter

Car la race de jour en jour diminuée

4. Oktober 2012 16:13










Thorsten Krämer

Im Vorwahlgebiet

Der Trotz ist groß hier, wir bauen
immer weiter. Die gegenwärtigen Debatten
sind von uns lanciert. Wir zahlen dafür

mit jedem Gang zur Paketstation. Das
Leben ist Geschrei am Morgen, und stolz
lächeln wir dazu. Und doch sind wir

die Unbeweglichen, wir pendeln nicht
mal mehr. Die Zukunft wird mit uns
gesund. Wir kommen bald zurück.

4. Oktober 2012 12:47










Mirko Bonné

Changning/长宁

1
Wenn die Vögel anfangen zu sprechen, sprechen sie Mandarin.

Sie werden sich beklagen, dass sie uns gleichgültig sind,
wir ihre Küken in Karamell tauchen und essen am Stiel.

Achtet auf ihr Schweigen! Klingt es nicht vorwurfsvoll?
Zehntausend Dynastien alt, das Sperlingsgedächtnis.

2
Der Lärm aus den Platanen scheint eine Aufgabe zu haben.

Durch das Knarren der Zikaden fällt als künstliche Nacht
die Stille auf den Zhongshan-Park, und wir unter Bäumen,
stumme, hektische Falter, müssen lesen im Schattenbuch,

in Gesichtern der für alle Besinnung Verlorengegangenen.

3
Tanzen wir! Wie schwarze Falter, für die Zeit Musik ist,
taumeln wir übers Pflaster, brechen durch die Masken,
fliegen als schlafende Kiesel durch verlassene Pavillons.

Wir werfen unsere Kinder, werfen sie hoch in die Luft!
Türme aus Erinnerungen bauen sie, wenn sie fallen,

doch wir fangen nur den Sockel, den schwarzen Stiel.

Für Wang Anyi
献给王安忆

*

2. Oktober 2012 04:00










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (39)

Geknickt ist nur das Knie, geknicktes Knie, du bist ein Knie, sonst nichts.

Geknacktes Holz im Ofen, knack nur, Ofenholz, öffne dein Haar für mich.

Geknirsche in Gedärmen, windet euch, windjammert und segelt im Wind.

Denn wir Sassen fasten von Fettlebe, lauschen nach Gehölz und Geweide.

Wir Sassen, wir jauchzen im Schweigen, wir schwelgen in Brei und in Tee.

Freiwillig eingegeiselt weben wir Webstühle zu weiterer Sesshaftigkeit. Da

29. September 2012 18:15