Mirko Bonné

303

Die Seele sucht sich die Gesellschaft selbst –
Und – schließt die Tür –
Für die erlauchte Mehrzahl ist –
Sie nicht mehr hier –

Sieht ungerührt – dass Kutschen stehen –
Vor ihrer Pforte –
Sieht ungerührt – den Kaiser knien
Auf ihrer Matte –

Ich sah sie – aus Nationen wählen –
Bloß Einen –
Schon – schloss sie ihre Zuwendungsventile –
Wie Stein –

Emily Dickinson

*

27. Oktober 2011 08:41










Nikolai Vogel

Die sichtbare Freude

im Gesicht einer jungen Frau, die laufend gerade noch den Bus erreicht, der nachts nur alle zwanzig Minuten verkehrt.

27. Oktober 2011 00:11










Nikolai Vogel

Und in der U-Bahn hocken die Zombies

kleine Displays in der Hand, aus denen sie ihre Befehle zu bekommen scheinen. Sogar beim Ein- und Austeigen, beim Gehen schauen sie auf ihren kleinen, stets vor sich gehaltenen Wächter, denn wenn die Verbindung reißt, sind sie verloren. So aber wirken sie traurig und alleine, ertragen die Haft apathisch und arbeiten emsig mit ihrem Daumen.

27. Oktober 2011 00:10










Björn Kiehne

Santa Maria del Mar

Ein Tag früh im Jahr,
das Licht noch fremd in der Stadt,
der Staub auf den Fassaden gefroren.

Noch weißt du nicht,
noch ahnst du kaum.

Sie flüstert:
„Das Meer findet dich!“

Eine Böe aus den Windkammern des Ozeans,
Fische springen aus den Straßen –
Schlieren auf dem Asphalt.

Ein Grollen, Heranrollen,
hungrige Wellentiere reißen ihre Mäuler auf,
Schuhe zu Booten,
Schaukeln auf Wellenkämmen –
unter dir die Blicke der Ertrunkenen.

Und du flehst:
„Santa Maria del Mar,
sprich dein Gebet für mich,
glätte die Wellen,
treib den Wind zurück!“

Das Meer findet dich
und mit dem Meer
kommt das Salz.

25. Oktober 2011 19:40










Gerald Koll

hip and happy

20. Oktober 2011 16:40










Sylvia Geist

Ruperts Piaf

Rauscht an. Rasselt, flattert auf den Eibenzaun und
die zwei alten Frauen auf dem Weg vorbei, über die
Parkenden zwischen Zellers und 7-Eleven, kreist, dreht
ab zu einem musealen Stück Rangiergeleise, hinunter
zum Ponton, von dem es fett ins Hafenwasser rinnt
und hallelujablau, wie Haut und die von Ort und Stelle
ausgeputzten Innereien des Halibuts in roten Händen sind.

Von allen Variationen ihres Lebens ist es die, in der sie
abends gegen sieben im Zierbeet ihres Rosenkleides
mit dieser Stimme vor den Rabatten steht. Mund
auf die Zähne gemalt, das dünne Haar toupiert
vom Wind, steht sie, für eine Stunde beäugt und
unbehelligt, mit vorgestreckten Armen, eine Statue,
die der Bucht den Segen gibt – es lebe der Abend!

unter dem das Nest wie eine Beute liegt, schon kalt und
von überall weggezogen unter der Harschdecke Blinken;
im Schlepptau der Tide der Fährenpalast, der erste Zug
nach Süden, der zum Vergessenwerden lang und leise
in den Uferfichten hält, die Entfernung, die sich verstellt
und alles mit Nebel begleicht und verbindet, der Nebel
lebe, wo wie in einem unbestimmten Vertrauen die Dinge

weiterlaufen, leben. Neben ihr auf seinem Hocker
der Rekorder spielt das Rauschen ab, die Regenbänder
Lieder, spult und blinkt – done, done. Acht gleich, aus
dem Wäldchen von McClymont jagt die Dunkelheit
noch ein paar Gäste vor sich her, eine neue Runde
Blechbackgammon auf dem Platz, gleich kommt auch
sie los, stellt sich, Ende meiner Vorstellung, dem Haus.

5. Oktober 2011 16:09










Mirko Bonné

Hope Park

Über Edinburgh wurde es Nacht,
und ich war allein in East Mayfield,
an einer leeren Straßenkreuzung
zwischen afghanischem Takeway
und zwei dunklen Friseursalons.
In der Tasche hatte ich die Pfund
für ein Sandwich und Dosenbier
und die Faust geballt vom Glück,
mitten durch mein Leben zu gehen.

Da rannte zerzaust von den Böen
atemlos ein dicklicher Junge vorbei,
Handy am Ohr die Böschung hinab,
überholt vom Heulen und Blaulicht
einer Ambulanz, die vor ihm einbog
in die Straße am Park. Der Hope Park
da unten war das nachtschwarze Meer.
Und der Junge lief ins Blau wie ein Ball
bei Sturm über den leergefegten Strand.

*

30. September 2011 09:07










Nikolai Vogel

Ich

28. September 2011 14:56










Kerstin Preiwuß

außen ist welt immer das ganz nahe
der kater blickt gelb
der schnabel des vogels ist aus horn
sein auge eine blaue höhle
der rest verfällt
morgens ist das gras immer frisch
ich bewege mich so lange nicht
durch den mückenschwarm
bis ich ihn einatmen kann
lasst alle tiere über mich kommen
welt ist immer so
atemlos für einen moment
kann ich sagen
was ich erfahren habe
kann jeder ertragen
was ich ertrage ist das was ist
dieses gleichgewicht
beginnt unter der haut und
auf ihr spürt man es kaum
dazwischen ringt es mit mir
um nichts in der welt gebe ich es auf

(mit Dank an alle guten Menschen, Tiere und Geister im Künstlerhaus Edenkoben)

23. September 2011 12:33










Gerald Koll

Katholiken

Ein wahrer Katholik wird sich nicht nur im Berliner Olympiastadion unter Aufsicht des Heiligen Vaters als Katholik betrachten und betrachtet fühlen, sondern auch fünf Minuten später, wenn er im Anschluss an die Heilige Messe seine Tasche im Taschenaufbewahrungszelt abholt. Dort, im Taschenaufbewahrungszelt, musste jeder noch so fromme Katholik seine Tasche abgeben, damit niemand Waffen ins Stadion schmuggelt, um Anschläge zu verüben. Aus den fünf Minuten werden allerdings schnell ein bis zwei Stunden, weil es für 80.000 Katholikentaschen nur ein einziges Zelt gibt. Deshalb ist Geduld gefragt. Katholiken haben keine Geduld. Jedenfalls nicht die im Olympiastadion. Wenn die Katholiken an der Himmelspforte so miserabel Schlange stehen wie vor dem Taschenaufbewahrungszelt, werde ich auf ihren Himmel verzichten. Alle drängeln wie die Teufel. Besonders die polnischen Katholiken. Und unter den polnischen Katholiken besonders die kleinen Frauen. Die schieben sich gegenseitig einfach durch. Hier also, dachte ich, sehe ich das wahre Gesicht des Katholiken.

Was für Lumpen, dachte ich, was für miese Lumpen diese Katholiken doch sind. Im Stadion noch drücken sie verzückt ihre eigenen arglosen Babys den Ordnungskräften in die Hand, damit sie sie dem Heiligen Vater zutrügen, damit er sie segne. Auch reichen sie mir ihre Hände und wünschen mir leutselig Frieden, und fünf Minuten später knüppeln sie mich nieder, um zehn Sekunden schneller an ihre Tasche zu kommen. Eine Frau bekam direkt im Zelt einen hysterischen Anfall, als ihre Drängelei aufflog und ihr die Tasche verweigert wurde. Sie wurde von Ordnungshütern gewaltsam aus dem Zelt entfernt. „Lassen Sie mich los!“ schrie sie, „ich will meine Tasche“, schrie sie weiter, übrigens in akzentfreiem Deutsch, und ich wusste, wie sie Petrus anschreien wird, wenn er sie nicht durchlassen will. Dabei dachte ich noch wenige Minuten zuvor, als ich Petri Nachfolger Benedikt XVI. zuhörte, dass er es mir mit ein wenig Geduld weismachen könnte, dass man nur innerhalb der Kirche ein wirksamer Friedens- und Liebesbote sein kann (fern des Weinstocks wird die Rebe wertlos, man „wirft sie ins Feuer und sie verbrennen“ … was für ein hartgesottener Gleichniswähler dieser Papst doch ist), zumindest, wenn ich nur mehr Zeit im Weinstock verbrächte, in des römischen Bischofs direkter Umgebung, im apostolischen Palast im Vatikan, zumindest, sofern man dort verschont ist von dieser völlig beschissenen Christen-Popmusik, die im Olympiastadion lief, und verschont von schlangestehenden Katholiken.

23. September 2011 00:45