Andreas Louis Seyerlein

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0.02 – Erscheinungen auf Bildschirmen, die sich wie Traumbilder, wie bewegte Gemälde verhalten. Wollte sie berühren, jenen isländischen Mann im Moment, da er aus dem Atem des Vulkans auf eine Wiese tritt, dieses vollkommen graue Wesen, staubig, steinern, und auch das Schaf an seiner Seite, unsicheren Schrittes, ein steinernes Schaf. Aber dann, in dem sie näherkommen, die Augen des Mannes und die Augen des Schafes, wie sie zwinkern, zwei Leuchtkörper in Dunkelheit, überlebt, eine Chiffre des Widerstandes. – Man müsste jetzt ein gut trainierter Atlantikschwimmer sein.

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20. April 2010 17:23










Marjana Gaponenko

Mascha

(Die Dramatische)

Unter Menschen hast du die Augen geschlossen.
Nicht diese. Andere. Jene, in denen du sanft
an Klippen zerschellst, von Brücken springst
und nicht fällst, brennst und nicht brennst.
Auf das Lachen der Anderen legtest du deines,
einen Stein.

Als hätte die Mutter niemals gesagt:

“Zwei kühle Saphire sind deine Arme,
in deiner Brust tickt ein Opal,
aus Jade sind deine Beine,
aus Eisen ist dein Leib.

Du sollst nicht weinen. Wenn du es tust,
dann rollen dir die Perlen aus dem Mund.
So legen Hühner ihre Eier, Kleine.
Du, Kücken, liebes dummes Huhn!”

13. April 2010 18:11










Hans Thill

Haus der Silben

fachwerk2

Foto: Jean-Philippe Baudoin


Der Turm
Daß die Kraft dich nicht verläßt, wenn es soweit ist. Daß du den Nagel findest für den letzten Hunger. Daß es noch ein Stückchen Land gibt, um es zu erschüttern. Du teilst die Wesen in Sie und Du, Flügel oder stumme Bodentruppen, die hinausfahren, wenn es soweit ist. Wenigstens ein Ruder sollten sie haben oder einen Mast. Wen wird man binden? Er hat Öl in den Ohren, das man in Lampen versauern ließ. Die Vögel packen den Wind in Säcke, man kennt das aus alten Quellen. Daß die Worte auf tönernen Füßen stehen, wenn es soweit ist. Daß sie dich rechtzeitig verlassen. Daß sie schnell sind wie Witze aus einem Bart. Es ist die alte Sacksprache, wir kennen sie von Fässern, erst zu öffnen, wenn es soweit ist.

13. April 2010 14:06










Andreas H. Drescher

Pferde

Ans Pferd gebunden
Der Schweif ein Knoten aus Horn
Ans Pferd gebunden
Durch meine Beine scheint der Mond
Ans Pferd gebunden
Die Stimme der Leibstandarte
Ans Pferd gebunden
Der Ochser über meinem Mund so hinterher
Ans Pferd gebunden
Das Geschenk ein Fähnleinführergeschenk

Das hatte ich mir anders vorgestellt

Cowboys im Ginster die breiten Hüte
rutschen ganz von selber ins Genick

Lassie ist noch nicht zum Zwergpudel geworden
Auf Zecken wird mit unreifen Erbsen geschossen

Pro Schuss mauert Großvater einen Stein in Palominos Stall der ist
noch nicht mit Hackfleisch-Reitern zu Black Beauty hochgefüttert

Bukephalos als Grauschimmel der für immer seinen letzten
Sprung über den Ginster steht das sind ganz einfach noch

ADAMS SCHWARZE STIEFEL
ADAMS SCHWARZES HAAR

9. April 2010 20:08










Mirko Bonné

Was wird

Gewitter mit Köpfen, Pferde
galoppieren übers Dorf.
Zügellos drischt Strom aus der Erde
den Sommerschorf.

Im Schuppen zittert der Torf.
An der Leine rennen Socken.
Waldarbeiter fragen, was werde,
Kreuzottern aus Licht in den Locken.

Die Unterhaltungen stocken –
man zählt die Entfernung, Blitz!
Ein Junge blieb am Bolzplatz hocken
und liest Briefe von Keats.

*

Album (5), 1991

*

9. April 2010 17:46










Sylvia Geist

Pferde

Ich hatte den Wunsch nicht. Ich kannte die Pferde
aus Lebkuchen und die aus Holz, und die anderen,
die den Karren mit dem Sarg zogen in dem Lied,
das meine Mutter mir vorsang. Die Mutter im Lied
schenkte ihrem Kind immerzu die falschen Pferde,
süße, harte Enttäuschungen aus Lebkuchen oder Holz.
Erst die Karrengäule am Schluss waren echt. Aber
ich hatte einen Apfelschimmel, der zum Fenster
raustänzelte wie ein Zeitungsschnipsel. In Wirklichkeit
ahnte ich, glaube ich, den Unterschied. Es gab das
Luftpferd, und es gab die echten Enttäuschungen,
die am Ende vom Lied den Karren zogen, vielleicht
kam es mir auch so vor, als könnte man darauf pfeifen.

9. April 2010 14:09










Sünje Lewejohann

in den hirschen II

legt seinen schönen körper
in sanftesten scheiben auf den teller diese
hirschgabe und doch
ganz weiß sein weißes fell in der erinnerung noch
sein großes rudel am gesäuge tröpfchen für tröpfchen genährt
an dem tag als der fremde ertrank im tückischen flüsschen
gewarnt hatte ich dich milchmaul
erstens: niemals von zuhause fortgehen
und wenn dann das dach mitnehmen den misthaufen die hohle eiche
zweitens: immer den teller leer essen einen
für den lieblingshund einen für die jungen kriechenden katzen
einen für die hand deines vaters einen für das gurgelnde rudel
einen für die mutter im fluss
in der nacht wird man sich erbrechen
drittens: trag den frost auf den armen ins dorf
einen für die ganze welt.

9. April 2010 08:37










Sylvia Geist

Hirsche

für Sünje

8. April 2010 10:29










Sünje Lewejohann

pferde

mit schweren stiefeln
zum schnüren
männerkleidung an dünner haut
führt die hand über den mund legt
die finger auf die augen
fasst zwei jahre lang niemanden an
ans gesicht
nichts lassen ans jochbein
nichts lautes nichts zerzaustes
blick über regenrinnen darauf elstern tauben und
unten auf der straße wird auch schon wieder geschrieen
eine frauenstimme schrill und hoch mit
den schultern gezuckt als
auf dem ausgebessertem asphalt
plötzlich pferde laufen scheuklappen kutsche.

pferde

wenn man zurück könnte dann auf einen sprung
dorthin sich das karierte kopftuch nehmen
zum rübenschälen und kälber füttern
das knarren der kleinen pforte hören
die saure milch riechen überall
die katzenschüsseln und die toten fliegen
darin
auf dem heuboden verschwinden alles von oben betrachten
die pferde von der weide holen
ramskopf und krötenmaul
heimlich im stall schlafen
das tränenbein mit den fingerkuppen zudecken sonst
nichts
als einzigen vogel noch die schwalbe hören kreisend
immer kreisend
mit geschlossenen augen endlich sehen
wie das licht sich selbst frisst.

6. April 2010 19:14










Andreas Louis Seyerlein

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2.12 – Als ich gestern erwachte, hörte ich meine denkende Stimme, die flüsterte, und ich hatte den Eindruck, vielleicht bereits an einem älteren oder an einem neueren Gedanken gearbeitet zu haben, während ich schlief. Das war ein seltsamer Moment gewesen, weil ich in den vergangenen Jahren immer wieder einmal wahrgenommen habe, dass meine denkende Stimme nicht leiser oder lauter werden kann, dass ich, zum Beispiel, im Kopf nicht zu brüllen vermag, auch wenn ichs ernsthaft versuche, es ist stets nur eine Gedankenstimme, die vorgibt zu brüllen. Und doch flüsterte es gestern in der ersten Minute des Tages. – Haben Sie schon einmal mit dem Gedanken gespielt, in einem Kolonialwarenladen für zwei Stangen Zimt den fünffachen des geforderten Preises in aufrichtiger Erwartung zu bezahlen, man möge das zugesetzte Geld an Plantagenarbeiter und ihre Familien nach Sri Lanka transferieren? Sie schmeichelten dem charmantesten Kopf einer Hydra!

> particles

4. April 2010 08:22