Thorsten Krämer
Frikadellen für Berlin: wir wollten den fremden Bruder
durchfüttern, in keinem der Klassiker war sein schwarzes
Schaf zu finden, eine Nachlässigkeit nur der Gegenwart.
Der Geruch beim Aufblättern der Zeitung war unübersehbar.
Uff, sagte die Mutter, und: Das hat er mit Absicht gemacht.
(für Thomas Maria Malangeri)
13. Mai 2010 18:06
Gerald Koll

Hintergrund: Carl Gustav Carus, Brandung bei Rügen, 1819.
9. Mai 2010 15:55
Thorsten Krämer
Schon seit Jahren gehe er nicht mehr ohne Tür aus dem Haus.
Auf einem Flohmarkt in Prag habe er eine faltbare aus Papier gefunden, die stehe auf seinem Schreibtisch im Büro. In Brasilien produzierten sie welche zum Aufblasen; es gebe sie auch gestrickt, aus Edelstahl, als Reiswaffel zum Essen und mit wärmeempfindlicher Oberfläche, die sich bei Berührung verfärbt. Die Vielfalt sei zwar schön, aber nicht notwendig – vielleicht reiche ihm schon bald eine App, er sei da sehr zuversichtlich.
(für Aléa Torik)
8. Mai 2010 20:03
Mirko Bonné
Hinter den Fliederbüschen
fassten sie dich an, da lebte
ein Igel ohne Stacheln,
bloß Haut, ganz Auge.
Als Mutter gestorben war,
my little boy, da hingen
drei graue Haare verfangen
an dem Totenbettgestell.
Es gibt den Gott, gibt ihn,
nur deinen Weg zu ihm, den
kennst du nicht. Du musst
das Finden finden. Bete!
Küsse! Und bleib rein.
Entsinn dich, Julien,
hinter dem Flieder
die Blässe, die Kälte
des Betts, der Glanz
in dem Auge des Igels.
Entsinn dich. Nimm dir
ein Herz und sei dein.
*
8. Mai 2010 14:14
Nikolai Vogel
frühmorgens, kaum ein Mensch, der ganze Englische Garten atmet Bärlauch, als habe er vortags im Pesto geschwelgt, eine Schafherde, zusammengedrängt unter einem alten Baum, der furchige Stamm ein Bild der Zeit, raumgreifend, als teste sie eine neue Welt, eine Ente auf Asphalt – und watschelt zurück, die Wiese ist besser – und der Bach erst!
8. Mai 2010 00:23
Marjana Gaponenko
(die Verbannte)
Wann war das, Daschkowa?
Du hast einen Degen geschwenkt
im Namen der Zarin,
die deinen nicht mit einem
Wort erwähnte,
bevor sie tanzend in die Erde sank,
den St. Andreas Orden
von der Grande Parure abreißend.
In deiner Equipage,
überzogen mit Samt,
wärmst du eine Tasse:
Goldrand, Blumenrelief,
ein Wunder aus Meißen.
Du bist die Frau, die eisern
ihren Tee trinkt bei voller Fahrt,
und wenn es sein muss,
wirst du Teeblätter kauen.
Du überlebtest alle deiner Zeit;
sie selbst sitzt neben dir
ein Luftzug, der zu ziehen vergisst.
Wärme die Tasse, Daschkowa,
wärme sie gut!
Als ginge es um etwas
Größeres als die Erlösung.
Schau auf den Kutscher –
er rutscht seit Jahren vom Bock
und kann gar nicht fallen.
5. Mai 2010 21:36
Sünje Lewejohann
tief in der erde wachsen mir haare die anker werfen
und hände zwanzig
für jede bewegung eine
treiben fühler aus den fingern treiben
durch das erdreich weite wege den untergrund
der stadt ertasten erkennen löwenzahn und randbepflanzung
baumwurzeln umschlingen mir die graue haut atme ich
staub dreck erdinneres meine lungen werden schwer
ein sack kartoffeln daraus treibt es
kommt licht durch die abwasserrohre
fällt etwas ein das augenweiß wird grau dann braun
staub rieselt aus allen poren
unter der erde kann ich schlängeln die beine winden
die füße schlagen die lippen schieben erde vor sich her
endlich still die zunge belegt die mundhöhle weit voll erde
darauf beißen die zähne
mit dem kopf voran stückchen für stück
aus den pupillen verschwindet die sicht es ist ein schlichtes dunkel
grau und weich wie schlaf.
3. Mai 2010 19:20