Björn Kiehne

Popmusik

Am Abend fahr ich in die Stadt.
Der Motor stottert,
kämpft gegen die
herannahende Nacht.
Musik aus dem Radio:
bum, bum, bum…
mein Herz poppt,
wächst, quillt aus seinem Beutel,
sprengt das Knochengefängnis,
explodiert –
auf der Autobahn
in Richtung Stadt.

10. September 2009 12:58










Mirko Bonné

Grippewelle

Im Hafenbecken brennt
ein Stückgutfrachter,
und die Crew,
die keiner kennt,
die singt.
Was Wunder, du,
was Wunder, wenn
auf der Mole der Beobachter
Herr Dr. Benn
so nihilistisch klingt:
Ein Volk, das untergeht,
muss Lieder spielen –

Tatsächlich? Spät!
Ein ganzer Chor versinkt.
Gesangslaufbahnen scheitern.
Kein Taschentuch, das winkt,
weil alle Nasennebenhöhlen
röcheln und vereitern.

*

5. September 2009 10:59










Hans Thill

Akkordeon: Madagaskar

Ja wenn das Schifferklavier
die Stimme der Nachbarin wäre
dann hätten wir Sonntagshunde
wieder Zähne im Rohr. Damalige
Damen. Gelötete Liesel (Zinn)
(braucht Mischung) mit ihrem
Faltenrock der den Atem
unterstützt. Wir ein Handbreit vor
der Heimat auf der Couch liegend
ganz aus Haar und eine Tastatur
statt Rippen am Fell

4. September 2009 10:02










Andreas Louis Seyerlein

~

6.00 – Flughafen. Terminal 1. Drei Uhr und fünfzehn Minuten. Ich stoße auf Charlie L., 36, Arbeiter. Der Mann, der in Togo geboren wurde und lange Zeit dort gelebt hatte, sitzt unter schlafenden Reisemenschen an der Nachtzeitküste. Er sieht seltsam aus an dieser Stelle, ein Mann, der in seinem Leben noch nie mit einem Flugzeug reiste, stattdessen in Zügen, Bussen, Schiffen durch den afrikanischen Kontinent Richtung Europa geflüchtet war, ja, merkwürdig sieht Charlie aus, wie er so unter schlummernden Nordamerikanern, Usbeken, Chilenen, Japanern, Neuseeländern sitzt. Er trägt Sicherheitsschuhe, ein kariertes Holzfällerhemd und Hosen von kräftigem Stoff, mit Katzenaugen besetzte dunkelblaue Beinkleider, die in jede Richtung reflektieren. Nein, unsichtbar ist Charlie, auch im Dunkeln, sicher nicht. Er macht gerade Pause, trinkt Kaffee aus einer schreiend gelben Thermoskanne und genießt ein Stückchen Brot und etwas Käse, den er aus einer Dose fischt. Sorgfältig kaut er vor sich hin, nachdenklich, vielleicht weil er sich auf ein Spiel konzentriert, das er seit Jahren bereits an dieser Stelle wartend studiert. Charlie tippt Lotto. Charlie ist ein Meister des Lottospiels, Charlie spielt mit System. Er hat noch nie verloren. Er hat noch nie verloren, weil er noch nie einen wirklichen Cent auf eine der Zahlenreihen setzte, die er in seine Notizbücher notiert. Ein beobachtender Spieler, Vater von fünf Kindern, immer ein wenig müde, weil er eben ein Nachtarbeiter ist. Und wenn ich mich neben ihn setze und ihm zusehe, wie er mit einem roten Kugelschreiber Zahlenkolonnen in seine Hefte notiert, freut er sich, macht eine kleine Pause, erkundigt sich nach meinem Befinden, und schon schreibt er weiter, analysiert, rechnet, sucht nach einer Formel, die seine Familie zu einer reichen Familie machen wird. Einmal frage ich Charlie, ob er noch Briefe schreiben würde an seine Eltern in Lomé. Ja, sagt Charlie, jede Woche schreibe er einen Brief an seine Eltern, die am Meer leben, am Atlantik nämlich. Ein andermal will ich wissen, warum er nicht einen Computer einsetzen würde, um vielleicht schneller finden zu können, was er sucht. Charlie lacht, sieht mich an durch kräftige Gläser einer Brille, sagt, dass er wisse, wie bedeutend Computer seien für die Welt, in der wir leben, seine Kinder spielten mit diesen Maschinen, für ihn sei das aber nichts. Und sofort schreibt er weiter. Eine ruhige, klare Schrift. Rote Zeichen. In diesem Moment begreife ich, dass ich einer Beschwörung beiwohne, einem Gebet, Malerei, einer Komposition, der allmählichen Verfertigung der Idee beim Schreiben.

> particles

3. September 2009 06:17










Hans Thill

Mundorgel: Madagaskar

in der Klasse beidhändig die scharfen
Griffel an der Tafel geschliffene Zahlen
daneben zu stehen als langer Hans
Schwamm aus dem die Kreide aufs
Linoleum tropfte

31. August 2009 11:21










Hendrik Rost

Kurzvita

kurzvita

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28. August 2009 13:51










Sylvia Geist

Serendip

Gleich hinter der Wasserfront
beginnt die Fahrt nach Indien,
übersetzt in erst gestern

der Abzweig, den man übersehen kann,
weiter die Stelle, wo es Beeren gibt
statt der ersehnten Raben.

Mit dem Aroma einer verschenkten
Mühe, genauer: von Brombeeren aber
wird es an einen Findling gelehnt leichter

Schlaf, der die Augen vergessen lässt,
dass sie geschlossen nicht sehen, und bis
heute fällt in Cambridge ein Apfel ins Gras.

25. August 2009 20:02










Hans Thill

Mundorgel: Madagaskar

das harte Gras erreichte den Asphalt wo
er platzte überm Kies wir mit Messern
kratzten das Schwarze vom Grund der Kessel
in den Tälern duckte sich das Nutzholz
unter die gedachten Wolken nach
dem letzten Kellertanz (Regen)

24. August 2009 23:36










Markus Stegmann

mit erblicher

Teer treidelte
aussen lang die
Meere Bedarf
Samstage lang im lieb…
log der Beeten der
buchlahm ablangt und
sauerte den Plan erlahmt
als langten die Friedriche
nimmer die
Lomabardischen Seen
färben längern sodann fischen
kescherte der dran anderer rief
im Narben
rief
Schreber wo der Länge
der Schreber wo
er in der innersten
erkommt und verbeantwortete
Errufener du
sonder
erblicher Geburt als mit
mit

23. August 2009 22:28










Hartmut Abendschein

Die Durchschnittskunst

Und faszinierend: Das sich allmähliche Ablegen des Fleckviehs auf dem Weideland zum Vormittagsschläfchen. Die dabei entstehenden Muster, Raum-Körper-Ordnungen, Bedächtigkeiten. Symphonien des Kauens. Das Wetter: bedeckt. Die Luftfeuchtigkeit: eher noch. Der Bleistift: stumpf.

Und: U.E. hat die Beine breit gemacht. Wie H. vielleicht sagen würde. Bin bestürzt. Ein Vorbild weniger. (Überhaupt: das Vorbildersterben und die daraus resultierende Zwangsläufigkeit des Transzendierens eigener Vorbildlichkeit zum Statut. Auch: dem Tod ein Stückchen näher sein.)

„Ich betreibe cross-mapping. Das ist das Gegenteil einer Formel. Mich interessieren Einzelheiten. Private und öffentliche Schwierigkeiten zusammenzubauen, das nennt man cross-mapping (…)“ (Alexander Kluge in: Max Dax, 30 Gespräche, 304)

Oder: Im Grunde stelle ich ja Gespräche dar, oder, wenn man so will: ein einziges langes Gespräch. Sprache scheint ja naturgemäss gesprächig. (Und die Sprachfacetten: die Sprache der Praxis und die der Theorie wissen oft nur wenig voneinander. Suchen aber den Dialog, wollen einander verständlich machen und sei es nur in ästhetischem Sinne. Das Gespräch zwischen theoretischer und praktischer Sprache ist also eines, das nicht nur andere Ästhetik erprobt. Es ist gleichzeitig ein Gespräch über Ästhetik.

Theoretisch und praktisch.

(Und: „Jesus Christ is now following you on twitter“).

Tote, verdrehte, vertrocknete, zerkleinerte, gebrochene, zerschmetterte, halbierte, zerpresste Fliegenleiber auf dem Fussboden und dem Fenstersims. (Dort liegt auch die Tasche mit der ganzen Technik. M.F. War wohl etwas grob. Die Gespräche, das Fliegen und Summen aber unvermindert.)

Und: weiss man nicht, ob man mit einem Buchpreis glücklich würde. Vielleicht im Gegenteil. Ein Textpreis, dagegen, das wär schon mal was, das wäre vorstellbar.

(Und, zum Hund: „Der macht doch nichts / der will doch nur töten“. Und, nach den jüngsten Wetterereignissen: die Relation Bambus / Anderes nun im Verhältnis von ca. 1:1. Überhaupt: Die Durchschnittskunst.)

[notula nova 48]

Achtung!: dieser Text ist einige Wochen alt und bezieht sich auf keinerlei Aktualia. Dafür gibt es Zeugen. Sollte er sich doch zufällig auf Aktualia beziehen, ist das rein zufällig und geschieht nicht im Sinne des Autors und nur in alleiniger Verantwortung des Textes … Und: auch die Wahl des Zeitpunktes des Erscheinens des Textes folgt einer genauen Festlegung, einer seit langer Zeit feststehenden Planung …

21. August 2009 16:11