Kerstin Preiwuß

Den Vögeln ergeht es wie den Menschen: sie fangen an zu pendeln. Der Habicht brütet mittlerweile in der Stadt. Weil dort nicht genügend Platz für alle ist, wandern in der Stadt aufgezogene Junghabichte aufs Land aus, um dort ein Jagdrevier zu erobern. Manche Habichte allerdings entscheiden sich für beide Lebensräume. Sie pendeln zwischen Stadt und Land. Ein Habichtmännchen aus einem Hamburger Park sieht man regelmäßig bei Jagdausflügen in Wald und Feld der Umgebung.

8. Juli 2009 15:55










Hans Thill

Hans Test im Aquarium

In einer sonntäglichen Radiosendung zum Thema Tiefsee hörte Test den Reporter aus dem Aquarium von Neapel berichten, er habe unlängst Moränen dabei beobachtet, wie sie immer wieder in dekorativ am Grund des Aquariums ausgestreuten antiken Amphoren Schutz gesucht hätten, ein ständiges Hin und Her, bei dem oft nur ein Teil des Kopfes oder eine Schwanzspitze zu sehen gewesen wäre. Neben ihm habe ein älterer Tourist aus Berlin zu seiner Frau gesagt: »Kiek de Aale, immer mang de Pötte!«

7. Juli 2009 10:02










Sylvia Geist

Silicium

wandwuchs als
würde morgen mit sand geflogen und auf zukunfts
asche gesiedelt. silo schwebgarten

haus: jeder
aushub ein sog der möglichkeiten negativ einer lawine.
wen ließ los was

einmal rollte?
wann? vater lehm ist gesellig in den schachteln
den wohnhalmen wankt wind.

keine frage
gibt er lieber zurück als die von kies
im zement. rieselnd. silent.

3. Juli 2009 10:09










Mirko Bonné

Jacko

Auf dem Sitz über dem Radkasten,
während draußen vorm Busfenster
die sonnabendliche Stadt einkaufte,

zeigte er mir auf dem Oberschenkel
den besten Tänzer des Universums
in seinen Augen, mit zwei Fingern,
die vor und zurück schritten, rollten,
dabei sich doch nicht fortbewegten,

bis mit einer Pirouette seiner Hand
Jacko von der Jeans verschwand
im normalen Gewimmel des Lichts.

Für Nick

*

29. Juni 2009 21:34










Andreas Louis Seyerlein

~

1.17 – Ein Freund erzählte von Nächten, die er vor 30 Jahren in den gefährlich gewordenen Strassen und auf den Dächern über der Stadt Isfahan verbrachte. Das Rufen tausender Stimmen: Allah-o-Akbar. Wir haben das erfunden, um den Schah zu vertreiben, auch ältere Menschen konnten sich in dieser Weise bemerkbar machen. Wir kämpften für Demokratie, hörten BBC, um herauszufinden, ob irgendjemand wahrnimmt, was mit uns geschieht. Kannst Du verstehen, wie ich mich jetzt fühle? – Wie furchtbar wurden sie betrogen, eine Generation im Exil. – Kurz nach Mitternacht. Fereshteh Ghazi, junge Journalistin, notiert: Tonight, like past nights, the chants of „Allah-o-Akbar“ were heard on roof tops of Tehran & other cities. Seit Tagen schreibt sie sich die Finger wund. Persiankiwi aber, dessen Zeichen ich viele Stunden lang auf dem Bildschirm erwartete, ist verstummt. Vorgestern noch Zeilen auf Twitter folgende: > just in from Baharestan Sq – situation today is terrible – they beat the ppls like animals 3:34 PM Jun 24th I see many ppl with broken arms/legs/heads – blood everywhere – pepper gas like war 3:35 PM Jun 24th 
they were waiting for us – they all have guns and riot uniforms – it was like a mouse trap – ppl being shot like animals 3:53 PM Jun 24th saw 7/8 militia beating one woman with baton on ground – she had no defense nothing – sure that she is dead 3:55 PM Jun 24th so many ppl arrested – young & old – they take ppl away – we lose our group 3:59 PM Jun 24th ppl run into alleys and militia standing there waiting – from 2 sides they attack ppl in middle of alleys 4:01 PM Jun 24th all shops was closed – nowhere to go – they follow ppls with helicopters – smoke and fire is everywhere 4:03 PM Jun 24th phone line was cut and we lost internet – getting more difficult to log into net 5:05 PM Jun rumour they are tracking high use of phone lines to find internet users – must move from here now 5:09 PM Jun 24th reports of street fighting in Vanak Sq, Tajrish sq, Azadi Sq – now – Sea of Green – Allah Akbar 5:14 PM Jun 24th in Baharestan we saw militia with axe choping ppl like meat – blood everywhere – like butcher – Allah Akbar – 5:16 PM Jun 24th they catch ppl with mobile – so many killed today – so many injured – Allah Akbar – they take one of us – 5:18 PM Jun 24th Lalezar Sq is same as Baharestan – unbelevable – ppls murdered everywhere – 5:19 PM Jun 24th they pull away the dead into trucks – like factory – no human can do this – we beg Allah for save us – 5:23 PM Jun 24th Everybody is under arrest & cant move – Mousavi – Karroubi even rumour Khatami is in house guard – 5:28 PM Jun 24th we must go – dont know when we can get internet – they take 1 of us, they will torture and get names – now we must move fast – 5:34 PM Jun 24th thank you ppls 4 supporting Sea of Green – pls remember always our martyrs – Allah Akbar – Allah Akbar – Allah Akbar 5:36 PM Jun 24th Allah – you are the creator of all and all must return to you – Allah Akbar 5:39 PM Jun 24th

> particles

27. Juni 2009 20:42










Thorsten Krämer

Cade’s Cove, Great Smoky Mountains

Adlerauge vs. Weichzeichner, die assemblierte Landschaft
beruht auf Mischtechniken: Nach hinten raus gerissene
Papierstreifen vom Bastelblock, im Vordergrund Foto-

Realismus. Jeder Baum ein Déjà-vu, die Vögel dort zwei
Flecken auf dem Objektiv. Ein Katalog von möglichen
Perspektiven blättert sich auf, das Alleinstellungsmerkmal

bist du.

25. Juni 2009 21:19










Mirko Bonné

Bremer Erinnerung

Ich erinnere mich an winzige finstere Zimmer,
in schmalen rußfahlen Häuschen,
an Durchbrüche zum Keller,
Wendeltreppen und Wellensittiche,
die ins violette Auge der Gastherme flogen,
um mit einem Zischen in Flammen aufzugehen.

Gelenkbusse schlängelten sich nach Huckeried.
Die Häuser wurden älter und schwärzer.
Margeriten im Regen, es gibt
keinen Weg zur Welt als den Weg
des Mitgefühls. Autokolonnen bis Gröpelingen.
Man bessert die Mauern aus und streicht sie weiß.

Dagegen erinnert sich nichts hier an mich, keiner
scheint sich meiner erinnern zu können.
Regen prasselt auf die Weserufer.
Straßenbahnen schwimmen nach Walle.
Bloß das alte Thermenauge flackert lila und
öffnet sich, sobald ich mich Bremen nur nähere.

*

25. Juni 2009 10:13










Hans Thill

Erster Schritt ins Fenster

Soba (Zimmer), More (Meer), Cape Maybe und
ein auf Sandalen gebauter Himmel Himalaya. Neon Lyra,
Mädchen im Mandolinenslip, beim Zählen der Vögel, der
Plastikflügel über Illyrien. Hotel Donau, hier endet
Edekobe, fest stehen die Karawanken, wo der Srebrobär
sein Sägemehl frißt wie wir die Sprachwolken.
Auf deinen Augen, inneres Mädchen, rudern wir
für einen Würfelzucker, für eine Handvoll vergessener
Kirschen, für die geworfene Peperoni der Revolution.
Teheran. Genosse Absolut an die Korinther: Ha! Ha!
Upha! Gebt mir ein Blei dann rufe ich die Heilsarmee
der Worte. Johann Köhl, der die Klarinetten zählt, die
toten Fische im blauen Kaltwasser. Alte Wasser, bittere
Früchte. Wir küssen das Meer. Strah (Angst), Ime (Name),
Prah (Staub)

Begrüßungsgedicht für Tomica Bajsic, Gordana Benic, Ivana Bodrozic Simic, Branko Cegec, Delimir Resicki, Zvonko Makovic, Urs Allemann, Arnfrid Astel, Kurt Drawert, Ann Cotten, Karin Kiwus. Poesie der Nachbarn Kroatien. Edenkoben 24.6.2009

25. Juni 2009 09:43










Sylvia Geist

Bewegung des Tages

So viele hat es gegeben im Lauf der Zeit, dass man sie kaum aufzählen kann. Man hat die Arme in die Luft geworfen und in die Hände geklatscht. Manchmal hat man die auch überm Kopf zusammengeschlagen. Man hat vor offenen Schnürsenkeln gekniet, mit den Fingern Finger angestupst: „Schau mal, so…“ Man hat sich über aufgeschürfte Knie und eingewachsene Zehennägel gebeugt. Man ist über Spielplätze und Straßen gerannt, während man irgendwelche Beschwörungsformeln murmelte. Man hat die Arme ausgestreckt und kam gerade noch rechtzeitig. Man hat den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Man hat den Kopf in den Nacken geworfen und gelacht. Man hat den Kopf geschüttelt. Sich an ihn gefasst. Man hat sich den Bauch gehalten. Man hat genickt. Ratlos die Hände gehoben. Auch den Zeigefinger, das kann man nicht bestreiten. Man hat sich erst mal hingesetzt. Man stand herum und an. Man sprang auf. Man war stolz, gerührt, entsetzt, gespannt, verängstigt, mitgenommen, begeistert, erstaunt. Man blieb auf Trab und war daneben. Alles kam in Gang und ging weiter. Jetzt geht jemand los. Man steht da und hält einen Moment lang ganz still. Man stellt sich auf die Zehenspitzen. Dann hebt man zwei Finger an den Haaransatz. Man zieht den Hut.

für Kai

24. Juni 2009 12:59










Kerstin Preiwuß

Was ich einmal wie zum ersten Mal sah

Dass das Geräusch niedergehenden Regens und das Geräusch aufkommenden Windes sich gleichen. Dazwischen der Ton der Schwalben.

Spielende Kinder am Teich. Wie sie alle ohne ihre Hosen so aussehen wie Generationen spielender Kinder zuvor. Die Zeit setzt sich mal und schaut ihnen zu.

Bäume am Rand einer Straße: Straßenköter, struppige Wegelagerer, Vagabunden. Angepflanzt im Sinne einer Allee.

Etwas anderes habe ich dagegen gelöscht. Es waren drei schlechte Nachrichten, ein Kind, das ums Leben kam, ein Mann, der seine verstorbene Frau noch im Nachhinein ehelichte und der zur Trauungszeremonie symbolisch die Kirche mit ihrem Hut im Arm betrat, und etwas über die Logik terroristischer Effizienz: nachdem die Bombe explodiert war, eilten viele Menschen den Verletzten zu Hilfe. Dann explodierte die Bombe.

23. Juni 2009 14:57