Hans Thill

Erster Schritt ins Fenster

Soba (Zimmer), More (Meer), Cape Maybe und
ein auf Sandalen gebauter Himmel Himalaya. Neon Lyra,
Mädchen im Mandolinenslip, beim Zählen der Vögel, der
Plastikflügel über Illyrien. Hotel Donau, hier endet
Edekobe, fest stehen die Karawanken, wo der Srebrobär
sein Sägemehl frißt wie wir die Sprachwolken.
Auf deinen Augen, inneres Mädchen, rudern wir
für einen Würfelzucker, für eine Handvoll vergessener
Kirschen, für die geworfene Peperoni der Revolution.
Teheran. Genosse Absolut an die Korinther: Ha! Ha!
Upha! Gebt mir ein Blei dann rufe ich die Heilsarmee
der Worte. Johann Köhl, der die Klarinetten zählt, die
toten Fische im blauen Kaltwasser. Alte Wasser, bittere
Früchte. Wir küssen das Meer. Strah (Angst), Ime (Name),
Prah (Staub)

Begrüßungsgedicht für Tomica Bajsic, Gordana Benic, Ivana Bodrozic Simic, Branko Cegec, Delimir Resicki, Zvonko Makovic, Urs Allemann, Arnfrid Astel, Kurt Drawert, Ann Cotten, Karin Kiwus. Poesie der Nachbarn Kroatien. Edenkoben 24.6.2009

25. Juni 2009 09:43










Sylvia Geist

Bewegung des Tages

So viele hat es gegeben im Lauf der Zeit, dass man sie kaum aufzählen kann. Man hat die Arme in die Luft geworfen und in die Hände geklatscht. Manchmal hat man die auch überm Kopf zusammengeschlagen. Man hat vor offenen Schnürsenkeln gekniet, mit den Fingern Finger angestupst: „Schau mal, so…“ Man hat sich über aufgeschürfte Knie und eingewachsene Zehennägel gebeugt. Man ist über Spielplätze und Straßen gerannt, während man irgendwelche Beschwörungsformeln murmelte. Man hat die Arme ausgestreckt und kam gerade noch rechtzeitig. Man hat den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Man hat den Kopf in den Nacken geworfen und gelacht. Man hat den Kopf geschüttelt. Sich an ihn gefasst. Man hat sich den Bauch gehalten. Man hat genickt. Ratlos die Hände gehoben. Auch den Zeigefinger, das kann man nicht bestreiten. Man hat sich erst mal hingesetzt. Man stand herum und an. Man sprang auf. Man war stolz, gerührt, entsetzt, gespannt, verängstigt, mitgenommen, begeistert, erstaunt. Man blieb auf Trab und war daneben. Alles kam in Gang und ging weiter. Jetzt geht jemand los. Man steht da und hält einen Moment lang ganz still. Man stellt sich auf die Zehenspitzen. Dann hebt man zwei Finger an den Haaransatz. Man zieht den Hut.

für Kai

24. Juni 2009 12:59










Kerstin Preiwuß

Was ich einmal wie zum ersten Mal sah

Dass das Geräusch niedergehenden Regens und das Geräusch aufkommenden Windes sich gleichen. Dazwischen der Ton der Schwalben.

Spielende Kinder am Teich. Wie sie alle ohne ihre Hosen so aussehen wie Generationen spielender Kinder zuvor. Die Zeit setzt sich mal und schaut ihnen zu.

Bäume am Rand einer Straße: Straßenköter, struppige Wegelagerer, Vagabunden. Angepflanzt im Sinne einer Allee.

Etwas anderes habe ich dagegen gelöscht. Es waren drei schlechte Nachrichten, ein Kind, das ums Leben kam, ein Mann, der seine verstorbene Frau noch im Nachhinein ehelichte und der zur Trauungszeremonie symbolisch die Kirche mit ihrem Hut im Arm betrat, und etwas über die Logik terroristischer Effizienz: nachdem die Bombe explodiert war, eilten viele Menschen den Verletzten zu Hilfe. Dann explodierte die Bombe.

23. Juni 2009 14:57










Carsten Zimmermann

nächtliche einflüsterung nach den spätnachrichten

wußtest du nicht:
was die fernseher senden,
existiert nicht.
es gibt keine fernseher.

wußtest du nicht:
die welt ist ein marketing-gag
der konzerne.
es gibt keine welt.
es gibt keine konzerne.

wo du hier bist,
ist nirgendwo.
es gibt kein nirgendwo.

22. Juni 2009 09:50










Björn Kiehne

Wenn Du singst –

höre ich mein eigenes Lied;
auf den Bürgersteigen,
auf den Straßen,
mit der Ausdauer des Suchenden,
mich selbst in den Asphalt getreten.

Fußabdruck am Sunsetboulevard
der verstummenden Träume;
dieser Himmel, den ich mir malte,
in blauen Scheiben liegt er da,
wartet auf den nächsten Wagen.

Es ist zu laut in den Städten,
zu leise auf dem Land.
Ich lausche in den Lärm,
lausche in die Stille und…
höre nichts.

Halt die Einsamkeit lebendig,
komm nicht an!
Scheuch das Ziel über den Horizont,
verbrenn den Stadtplan auf der Straße,
zertritt das Navi auf dem Bürgersteig.

Und dann singst Du,
und ich höre mein eigenes Lied.

21. Juni 2009 13:48










Hartmut Abendschein

Ruiniert

Wir wechseln das Thema. Wir berichten vom Springbreak in Bambusia. Die Bambushexe fegt die Veranda. Zaghaft werden die Isolatoren von den Kübeln gewickelt. Pläne werden geschmiedet. Der eine oder andere Strauch wird betrauert und gestreichelt. Man reckt sich zur Sonne hin. In schwarzen Leggins und darüber etwas, das einmal orange war. It shalle beginne …

(Was treibt eigentlich Kerben Kleinstein? Und: Warum erhält diese Figur immer mehr einen double-bind-Status? Erinnerung und Beobachtung sind tückisch. Ordnungstrieb prägt mnemonische Gruppen. Diese sind schwer aufzulösen.)

Wieder, wie ein ewiger, ein vom Wind gehauchter Refrain: Das Wilener Gotteslob der Bauherren. Vom Bänkli vor em Huisli da gseh-i-a diä Pracht / wo d’r liäb God im Maiä fir d’Mäntschä hed gmacht. (Wir meinen Individualität und Identität: Wird Göttliches erst sichtbar vom Eigenheim aus. Korreliert Glauben mit einer gewissen Unbeweglichkeit. Kann ein Punkt das Andere nur punktförmig denken?)

Oder: Entspricht
das Andere stets
nur der Form
des Eigenen?

Hier könnte Ihr Satz stehen …

Am 2. Abend
An gelben Blumen gerupft
Die blauen geraucht

Merke: den Unterschied zw. Bloggen und postalischem System nach Derrida / Siegert. In Lovink, 70. Und: „Alles, was der Fall ist, wird weitergeleitet“. Und darum zitieren wir auch: Versuche dich selbst zu errichten, und du wirst eine Ruine erbauen. (Augustinus). (Aber, oder nicht?: Die notula als Maschine wechselseitiger Intro- und Extrospektion. Vielleicht ein „digital self-fashioning“ eines – aber schon – hybriden Selbsts. Wie kann in solcher Gespaltenheit auch imaginärer Raum und sharkiness erzeugt werden? Der Stil bleibt stets ein Stil der Aussagenprotokolle im Kampf mit einem verzweifelten Kommentar. Die Bedeutung bleibt reines Deuten auf Der-Fall-Seiendes in Bewegung.)

[notula nova 40]

20. Juni 2009 19:07










Kerstin Preiwuß

Statt Tauben

Heute sitzt die erste Taube sehr früh auf dem Schlag und fliegt nicht hinein, obwohl Herr Matuschek weiß, wenn sie hineinflöge, hätte er den Wettflug für sich entschieden. Er beobachtet sie, nimmt sie mit der Flasche aufs Korn und ist schon ganz betrunken. Hält sich dann die Flasche vom Hals und macht es ihr auf dem Erdboden vor, wie man hineinzufliegen hat. Dabei kriecht er und schuppt sich den Bauch auf, na und? Rucke-di-du macht die Taube währenddessen über ihm.
Na warte Liebchen, sagt er noch hitzig dem Erdboden zugewandt und rappelt sich wieder auf, damit du es weißt: Ich reiß dir die Federn aus und stopf dich ins Flugloch zurück. Sagt’s und versucht im gediegenen Seemannsschritt seinem Täubchen näherzukommen, was hier bedeuten soll, die Leiter zum Schlag beim dritten Versuch schon zu ergreifen und sich dann an ihr emporzuklimmen, bis er mit beiden Beinen auf der vorletzten Sprosse zum Halten kommt.
Derweil sein Täubchen gurrt und trippelt ganz aufgeregt auf dem Dachgiebel hin und her, es ist doch ein wenig sonderbar, was heute geschieht, schließlich steckt hier nicht jeder in einem Federhemd und hält sich durch mit Luft gefüllten Röhren auf den Beinen.
Währenddessen kümmert Herr Matuschek sich nicht um die Verkehrung solcher Tatsachen, schließlich hat das hier immer noch ein Wettflug zu sein, den er gewinnen will, was nützt ihm da die Taube auf dem Dach. Hinein soll sie, das muss sie doch verstehen, er macht es ihr mit großer Geste vor, dass sie sich eingeladen fühlen kann, hinein heißt in den Taubenschlag und durch das Einflugloch, heißt –
Dass das Täubchen mit dem Köpfchen ruckt und immer aufgeregter in Bewegung gerät, nur leider in die falsche Richtung, denn anstatt Matuscheks Einladung Folge zu leisten und sich an seinen Handbewegungen entlang geradewegs ins Innere des Daches geleiten zu lassen, nimmt es eher noch Abstand und zieht sich leichtfüßig auf die Mitte des Giebels zurück.
Matuschek ist darüber ganz empört, schließlich ist es immer noch seine Taube, die auf seinem Hausgiebel sitzt, und er hat ja auch noch mehr davon, fast könnte er sich mit ihnen eine Hochzeit ausrichten, bei der dann so viele weiße Tauben aufflögen wie er und seine Braut an Jahren zählten, an gemeinsamen wohlgemerkt. Jetzt aber geht es um die erste heute hier, die schon da ist, aber nicht hinein will, davon wird ihm ganz heiß im Kopf. Die Guten ins Köpfchen, die Schlechten in Töpfchen, sagt er sich auf einmal grinsend laut vor, bevor es ganz nach oben geht aufs Dach und der Taube hinterher.
Flugs erinnert sich diese daran, dass sie nicht nur Trippelfüßchen besitzt, und hebt ins Bodenlose ab, wo mittlerweile auch schon einige ihrer Mitstreiter darauf warten, in den Schlag hineinzukommen, den Weg hinein aber versperrt nun gerade der Matuschek, na und?
Die zweite Taube wäre immer noch die erste gewesen, aber es ist auch noch früh und obendrein darf auch nicht vergessen werden, in welchem Zustand Herr Matuschek schon auf dem Erdboden versucht hat, seinem Täubchen zu zeigen, wie man ordentlich ins Loch zu fliegen hat.

19. Juni 2009 15:25










Mirko Bonné

Drei Tauben

Immer unverblümter kommt
die komische, wilde
Lust, alt zu sein –

vorauseilender Gehorsam
eines Hundes mit drei Beinen,
auf mehr Gebrechen zu hoffen, Weisheit
des an den Gaumen gepressten Schlucks.

Einen alten Straßenkehrer in Köln,
der drei Tauben fütterte (oder vergiftete),
nach dem Weg gefragt, stand ich

im Flandrischen Viertel im selben
Hotelzimmer wie vor zehn Jahren, Tauben,
gleichgültig gegen Glück oder Zufall,
überlebt zu haben, flatterten im Hof

zwischen „Phantomschmerz“-Plakatschwarten
und Türen eines Schranks an einem Baum,
bevor sie im Spiegel verschwanden.

*

18. Juni 2009 12:50










Hans Thill

Das heisse Fleisch der Wörter XXX: Abdelkebir Khatibi

Gedächtnis-Notizen (für Männer)

Er sagt: gib mir dein intimes Denken.
Sie sagt: gib mir sein Einverständnis.

Sie sagt: ich selbst bin fremd meiner Umarmung.
Er sagt: in der Reglosigkeit des Begehrens ohne ein Morgen.

Sie sagt: der Engel erscheint den Frauen nicht.
Er sagt: er erscheint und verschwindet, dabei mißt er die Entfernung.

Er sagt: ich schenke, empfange dich, indem ich dich anerkenne.
Sie sagt: stell dir vor, du wärst verfolgt, aufgelöst in deiner Kindheit.

Sie sagen: soviel Lust für eine flüchtige Nacht.
Sie sagt: jede Nacht wendet sich ab vom Tag im Aufblitzen eines Augenblicks.

Er sagt: schreib!
Sie sagt: vergiß dabei die Götter und ihre Engel.

18. Juni 2009 12:26










Thorsten Krämer

Holly Springs, Mississippi

Mit den Würmern kommt die Bedeutung, die expansive
Schwärze der Zeichen: We’ve never seen mushi
this far out before!

                                   Ein Spezialist aus Japan
wird eingeflogen, Narration nach Belieben. Was bleibt
sind Trübungen des Bewusstseins, ein leichter Schwindel
zwischen den Gedanken.

16. Juni 2009 22:16