Hartmut Abendschein

Ruiniert

Wir wechseln das Thema. Wir berichten vom Springbreak in Bambusia. Die Bambushexe fegt die Veranda. Zaghaft werden die Isolatoren von den Kübeln gewickelt. Pläne werden geschmiedet. Der eine oder andere Strauch wird betrauert und gestreichelt. Man reckt sich zur Sonne hin. In schwarzen Leggins und darüber etwas, das einmal orange war. It shalle beginne …

(Was treibt eigentlich Kerben Kleinstein? Und: Warum erhält diese Figur immer mehr einen double-bind-Status? Erinnerung und Beobachtung sind tückisch. Ordnungstrieb prägt mnemonische Gruppen. Diese sind schwer aufzulösen.)

Wieder, wie ein ewiger, ein vom Wind gehauchter Refrain: Das Wilener Gotteslob der Bauherren. Vom Bänkli vor em Huisli da gseh-i-a diä Pracht / wo d’r liäb God im Maiä fir d’Mäntschä hed gmacht. (Wir meinen Individualität und Identität: Wird Göttliches erst sichtbar vom Eigenheim aus. Korreliert Glauben mit einer gewissen Unbeweglichkeit. Kann ein Punkt das Andere nur punktförmig denken?)

Oder: Entspricht
das Andere stets
nur der Form
des Eigenen?

Hier könnte Ihr Satz stehen …

Am 2. Abend
An gelben Blumen gerupft
Die blauen geraucht

Merke: den Unterschied zw. Bloggen und postalischem System nach Derrida / Siegert. In Lovink, 70. Und: „Alles, was der Fall ist, wird weitergeleitet“. Und darum zitieren wir auch: Versuche dich selbst zu errichten, und du wirst eine Ruine erbauen. (Augustinus). (Aber, oder nicht?: Die notula als Maschine wechselseitiger Intro- und Extrospektion. Vielleicht ein „digital self-fashioning“ eines – aber schon – hybriden Selbsts. Wie kann in solcher Gespaltenheit auch imaginärer Raum und sharkiness erzeugt werden? Der Stil bleibt stets ein Stil der Aussagenprotokolle im Kampf mit einem verzweifelten Kommentar. Die Bedeutung bleibt reines Deuten auf Der-Fall-Seiendes in Bewegung.)

[notula nova 40]

20. Juni 2009 19:07










Kerstin Preiwuß

Statt Tauben

Heute sitzt die erste Taube sehr früh auf dem Schlag und fliegt nicht hinein, obwohl Herr Matuschek weiß, wenn sie hineinflöge, hätte er den Wettflug für sich entschieden. Er beobachtet sie, nimmt sie mit der Flasche aufs Korn und ist schon ganz betrunken. Hält sich dann die Flasche vom Hals und macht es ihr auf dem Erdboden vor, wie man hineinzufliegen hat. Dabei kriecht er und schuppt sich den Bauch auf, na und? Rucke-di-du macht die Taube währenddessen über ihm.
Na warte Liebchen, sagt er noch hitzig dem Erdboden zugewandt und rappelt sich wieder auf, damit du es weißt: Ich reiß dir die Federn aus und stopf dich ins Flugloch zurück. Sagt’s und versucht im gediegenen Seemannsschritt seinem Täubchen näherzukommen, was hier bedeuten soll, die Leiter zum Schlag beim dritten Versuch schon zu ergreifen und sich dann an ihr emporzuklimmen, bis er mit beiden Beinen auf der vorletzten Sprosse zum Halten kommt.
Derweil sein Täubchen gurrt und trippelt ganz aufgeregt auf dem Dachgiebel hin und her, es ist doch ein wenig sonderbar, was heute geschieht, schließlich steckt hier nicht jeder in einem Federhemd und hält sich durch mit Luft gefüllten Röhren auf den Beinen.
Währenddessen kümmert Herr Matuschek sich nicht um die Verkehrung solcher Tatsachen, schließlich hat das hier immer noch ein Wettflug zu sein, den er gewinnen will, was nützt ihm da die Taube auf dem Dach. Hinein soll sie, das muss sie doch verstehen, er macht es ihr mit großer Geste vor, dass sie sich eingeladen fühlen kann, hinein heißt in den Taubenschlag und durch das Einflugloch, heißt –
Dass das Täubchen mit dem Köpfchen ruckt und immer aufgeregter in Bewegung gerät, nur leider in die falsche Richtung, denn anstatt Matuscheks Einladung Folge zu leisten und sich an seinen Handbewegungen entlang geradewegs ins Innere des Daches geleiten zu lassen, nimmt es eher noch Abstand und zieht sich leichtfüßig auf die Mitte des Giebels zurück.
Matuschek ist darüber ganz empört, schließlich ist es immer noch seine Taube, die auf seinem Hausgiebel sitzt, und er hat ja auch noch mehr davon, fast könnte er sich mit ihnen eine Hochzeit ausrichten, bei der dann so viele weiße Tauben aufflögen wie er und seine Braut an Jahren zählten, an gemeinsamen wohlgemerkt. Jetzt aber geht es um die erste heute hier, die schon da ist, aber nicht hinein will, davon wird ihm ganz heiß im Kopf. Die Guten ins Köpfchen, die Schlechten in Töpfchen, sagt er sich auf einmal grinsend laut vor, bevor es ganz nach oben geht aufs Dach und der Taube hinterher.
Flugs erinnert sich diese daran, dass sie nicht nur Trippelfüßchen besitzt, und hebt ins Bodenlose ab, wo mittlerweile auch schon einige ihrer Mitstreiter darauf warten, in den Schlag hineinzukommen, den Weg hinein aber versperrt nun gerade der Matuschek, na und?
Die zweite Taube wäre immer noch die erste gewesen, aber es ist auch noch früh und obendrein darf auch nicht vergessen werden, in welchem Zustand Herr Matuschek schon auf dem Erdboden versucht hat, seinem Täubchen zu zeigen, wie man ordentlich ins Loch zu fliegen hat.

19. Juni 2009 15:25










Mirko Bonné

Drei Tauben

Immer unverblümter kommt
die komische, wilde
Lust, alt zu sein –

vorauseilender Gehorsam
eines Hundes mit drei Beinen,
auf mehr Gebrechen zu hoffen, Weisheit
des an den Gaumen gepressten Schlucks.

Einen alten Straßenkehrer in Köln,
der drei Tauben fütterte (oder vergiftete),
nach dem Weg gefragt, stand ich

im Flandrischen Viertel im selben
Hotelzimmer wie vor zehn Jahren, Tauben,
gleichgültig gegen Glück oder Zufall,
überlebt zu haben, flatterten im Hof

zwischen „Phantomschmerz“-Plakatschwarten
und Türen eines Schranks an einem Baum,
bevor sie im Spiegel verschwanden.

*

18. Juni 2009 12:50










Hans Thill

Das heisse Fleisch der Wörter XXX: Abdelkebir Khatibi

Gedächtnis-Notizen (für Männer)

Er sagt: gib mir dein intimes Denken.
Sie sagt: gib mir sein Einverständnis.

Sie sagt: ich selbst bin fremd meiner Umarmung.
Er sagt: in der Reglosigkeit des Begehrens ohne ein Morgen.

Sie sagt: der Engel erscheint den Frauen nicht.
Er sagt: er erscheint und verschwindet, dabei mißt er die Entfernung.

Er sagt: ich schenke, empfange dich, indem ich dich anerkenne.
Sie sagt: stell dir vor, du wärst verfolgt, aufgelöst in deiner Kindheit.

Sie sagen: soviel Lust für eine flüchtige Nacht.
Sie sagt: jede Nacht wendet sich ab vom Tag im Aufblitzen eines Augenblicks.

Er sagt: schreib!
Sie sagt: vergiß dabei die Götter und ihre Engel.

18. Juni 2009 12:26










Thorsten Krämer

Holly Springs, Mississippi

Mit den Würmern kommt die Bedeutung, die expansive
Schwärze der Zeichen: We’ve never seen mushi
this far out before!

                                   Ein Spezialist aus Japan
wird eingeflogen, Narration nach Belieben. Was bleibt
sind Trübungen des Bewusstseins, ein leichter Schwindel
zwischen den Gedanken.

16. Juni 2009 22:16










Andreas H. Drescher

Fundsache Vogelsang

[DINA4] Wir glauben, dass Gott all=
mächdig ist also, das er alles kann.
Er (konn) [Punkt] kann und will uns
all (desitzen) beschutzen. Aber nur,
dann wenn wir auch es zullassen. []
denn er (res) die Freiheit in (Entsei)
(Entschei) [ze ausgestrichen] Ent=
scheidungen und im Handlen, die er
uns geschenkt hat sehr respektiert.
Das (heist) heißt, das wir uns (imer)
immer [vielleicht Komma] wieder für
das Gute (d) oder für das Böse für
die Allmacht Gottes oder gegen sie,
(d) aber mit allen (Kon) (Konsek) []
Konsequemen entscheiden können.
Gott beschekt uns mit seinen Ge=
boten, die das Mit [DICK] einander
der Menschen regelen (ka) können.

16. Juni 2009 08:16










Markus Stegmann

Magere

Verfachte angestuft fährt
Holbein belangte Angst
belahmten Hand
lockerte Wasser drin einblindet
die lange totenhaft abgefilmt
flammt verfärbte
Macht angegiebelte vogellose
Hals am Schnitt sie
Gras drin eingebücktes
Gelände Fracht solare
Segel solche Papier
magere Krume

12. Juni 2009 23:37










Andreas Louis Seyerlein

~

22.05 – Da war ein Tisch. Auf diesem Tisch lag ein menschlicher Körper. In nächster Nähe lehnte eine hochgewachsene junge Frau mit dem Rücken an einer Wand, Augen geschlossen, als wäre sie eingeschlafen. Ihre Hände betasteten einen Kehlkopf, das heißt, genauer betrachtet hüpften ihre Finger über den kleinen hellbraunen Körper hin, als wären sie Lebewesen für sich. Wenig später war die Frau wach geworden. Sie legte die filigrane Struktur auf den Tisch zurück, zog ihre Handschuhe aus und sagte: Aber natürlich darfst Du das wissen. Ich habe nachgedacht und geträumt zur gleichen Zeit. Rasch machte sie mit einer Hand eine Schale, hob den Kehlkopf mit der anderen Hand vom Tisch und legte ihn in die Handschale ab: Ein Larynx! Grandios, nicht wahr! Was ich mit meinen Fingern angeschaut habe, geht nie wieder fort! – Taubengrauer Himmel. Leichter Regen. Sturm von Südwest.

> particles

12. Juni 2009 22:20










Sylvia Geist

Ein, zwei Bemerkungen über die vielen Möglichkeiten, „Willkommen“ zu sagen

Um das hier habe ich mich gerissen. Unbedingt wollte ich das Vergnügen haben, Christoph W. Bauer im Goldenen Fisch willkommen zu heißen – obgleich der Geistesblitz, ihn hierher einzuladen, gar nicht von mir stammt, sondern von Mirko.
Ja, ich habe mich regelrecht vorgedrängelt, und jetzt, da es ernst wird mit der Begrüßung, stehe ich vor einem Problem. Denn wie stelle ich das nun am besten an, bei so jemandem?
Ich könnte aus einer Laudatio auf ihn zitieren: „Bauer gehört zu den Autoren, die rar sind im Lande. Er ist voller Skrupel, behelligt Menschen nicht aufdringlich mit seinen Texten.“ Und: „Diese Gedichte sind Christoph W. Bauer.“ (Anton Thuswaldner)
Ich könnte Christophs produktive Vielseitigkeit erwähnen, seine Romane, Herausgaben, Lyrik. Ich könnte über die Freude schreiben, die seine Gedichte in mir auslösen, über den Rausch beim Inhalieren der glänzenden, rasanten Wortschöpfungen, der lebendigen, hochkomplexen und dabei ganz kristallinen Syntax, über das erstaunliche Vermögen auch, Fremdwörter zu fremden Worten zu machen, zu verführerischen, coolen Sirenen, und über das, noch erstaunlicher: dermaßen leichtfüßig das „land in unsichtbaren atlanten“ abschreitende Wissen, das diese Gedichte mit dem Leser teilen wie gute Gastgeber, freigebig und so selbstverständlich, dass man sich fühlt wie zuhause.
Ich könnte erzählen, wie ich ihn, nachdem wir vor Jahren schon im Rahmen des schönen, von ihm initiierten Zeitschriftenprojekts „Wagnis“ Schriftkontakt hatten, erst kürzlich kennengelernt habe, als herrlich unkonventionellen Denkspieler und Gedicht-Gesprächspartner.
Und ich könnte – endlich! – ihn zu Wort kommen lassen, mit einem Auszug aus seinem Gedicht aus 70 Gedichten „supersonic“, aus dem Abschnitt „aprikosen“:

XVI

läufst die glieder gegossen zu klöppeln
im stirnrad der pflichten
aus dem dickicht
aufgefächerter gebärden

denen du die tage bezwingst stadtein
übern markt dir selbst feil
geboten und taub
für offerte längst wieder

verkauft zwischen geflechten voll licht
aus den sekunden gepflückt
von gesängen über
mütigen schüben ganz

plötzlich
die saftigen lieder in aprikosen
fabulierender kindersommer im mund

*

Lieber Christoph, gemeinsam mit Mirko und allen im Goldenen Fisch freue ich mich über Deine Ankunft hier.

9. Juni 2009 14:07










Thorsten Krämer

Memphis

Hallo Parallelfahrt, hallo Plansequenz: die filmischen
Mittel schweigen still, genau wie die Kanonen: la guerre
est finie
, der Trümmerchic ist nur ein Zwischenstadium.

Wo Hoffnung ist, ist Leben; wo Leben ist, geht es
vorbei: Sieh hier den Straßenzug, den Schatten, den der
Müllkorb wirft – ist das nicht Wirkungsmacht der Immanenz?

Sei das Unkraut, sei Graffiti, überwuchere und überzieh.
Sei das, was Rest wird; sei der Anfang, der schon angefangen hat.

8. Juni 2009 16:50