Tobias Schoofs
von seitlich hinten von der bei
fahrerseite rammt uns ein bus
damit ich als erster tot bin und
dich im sterben seh noch unver
sehrt erschrocken zwar doch un
versehrt ich stell mir gern den
wecker zu früh damit ich merke
dass ich schlaf dann kommt von
vorn ein zehntonner damit wir
wirklich tot sind und rammt
den bus und reißt ein paar
der passagiere mit sich
3. Juli 2021 16:43
Andreas H. Drescher
Meine gemeinzeitige Zärtlichkeit für Rüttelmaschinen
die die Wirrblätter der Pionierart (Birke) und selbst die
naher Brunnen (Spring) in die Stummfilter rücksetzen
Anderen (Nachbarschafts) Arten dagegen ist das vor
allem bei einlaufenden (Gassi) Gängen lange ein großer
Graus und Kreuzweg mir dagegen lange Naherholung
Inzwischen hole ich noch weiter zum Lob des Bauamts aus
(T. Shandy zugeeignet)
2. Juli 2021 07:05
Hendrik Rost
Ich geb mir 100 Sekunden zum Nachdenken.
Nach 50 fällt mir etwas ein. Nach 80 krieg
ich Hunger. 90: Ich werd erwachsen. Noch
10 Sekunden bis zum Vergessen.
25. Juni 2021 10:03
Mirko Bonné
Als ich Strindberg las, waren alle Bäume
anders. Umschlossen von glasigem Licht,
wirkte jeder beschützt. Er verwahrte sich.
Nachmittage lang lief ich mit den Hunden
über die Felder und an Waldrändern hin,
Hohlwege, durch die ich träumend ging,
und immer Überraschung: Wolkenbruch;
offene Scheune; verschwundenes Moos.
Die Hunde waren beide schwarz, liebten
einander, rangelten, lösten jedes Rätsel
verschieden. Sie kannten alle stärkeren
Äste auswendig, und was sie rochen, ja
war ein Zeichen: Minutenlang sahen sie
gedankenversunken in die Baumkronen.
Strindberg rief einmal einem Kritiker zu:
„Warten Sie, bis ich mit Ihnen abrechne
in meinem nächsten Stück!“ Das hab ich
nicht vergessen können. Die Kastanien,
dachte ich, sie sind Strindbergkastanien,
aus einem glasigen Licht, das dir etwas
zu sagen hat. Nur was? Dieselbe Frage
stand oft den zwei Rumtreibern im Blick.
Einmal, es war ein schwüler Mittag Mitte
August, jagte uns ein Schwarm Bremsen
die Felderraine entlang, und da segelten
aus dem abgestorbenen Zaubergezweig
einer Eiche dunkel wie drei Pfeilschatten
drei Schwalben, und sie fingen alle weg.
Alles kann geschehen, alles ist möglich
und wahrscheinlich, schreibt Strindberg,
Personen spalten sich, verdoppeln sich,
vertreten einander, sie gehen in Luft auf,
verdichten sich, zerfließen und fügen sich
erneut zusammen. In Ein Traumspiel ruft
Indras Tochter wieder und wieder, es sei
schade um die Menschen, und das ist es,
was ich seit dem Sommer mit Strindberg
glaube: Es ist um uns Menschen schade.
*
20. Juni 2021 17:56
Christine Kappe
An der Tramperstelle traf ich heut Marry. Im Dorf erzählt man sich, sie sei verrückt geworden, aber nachdem, was ich mit ihr erlebt habe, glaube ich das Gegenteil.
Es war der 27. Dezember 1987. Marry trug ganz viele Klamotten übereinander und über all dem noch einen gelben Mantel mit Kapuze. Das sah wild aus, aber war vernünftig bei dem Schneegestöber.
Eine Ewigkeit kam kein Auto, ich wurde nervös.
Mich mit Marry zu unterhalten schaffte ich irgendwie nicht.
Plötzlich zog sie eine Tüte aus ihrer Tasche und hielt sie mir vor die Nase:
Eine Instant-Suppe, auf der Rückseite war ein Comic. Marry zwinkerte mir zu. Die Comic-Figuren waren unzweifelhaft Marry und ich. Und die Geschichte war genau das, was wir gerade erlebten, und es endete damit, dass wir uns in den Schnee setzten und die Suppe aßen.
Das nächste Auto, was kam, nahm uns mit. Ich sah aus dem Rückfenster den Schriftzug der Suppenfirma am Himmel. Wir befanden uns in einem Werbespot, ich merkte es erst jetzt. Doch Marry hatte es schon vorher gewusst, legte den Arm um mich und lachte.
9. Juni 2021 10:08
Mirko Bonné
Erneut nach Erich Fried
Die Faulen werden wiederbelebt.
Fleißig genug ist die Welt!
Die Hässlichen werden wiederbelebt.
Die Welt ist schön genug!
Die Narren werden wiederbelebt.
Weise genug ist die Welt!
Die Kranken werden wiederbelebt.
Die Welt ist gesund genug!
Die Traurigen werden wiederbelebt.
Lustig genug ist die Welt!
Die Alten werden wiederbelebt.
Die Welt ist jung genug!
Die Feinde werden wiederbelebt.
Freundlich genug ist die Welt!
Die Bösen werden wiederbelebt.
Die Welt ist gut genug!
*
1. Juni 2021 01:45
Nikolai Vogel
Mehr Wand als sonst der Ausblick kleiner
Im Netz lösen sich die Selfies ab
Auslöser gibt es viele Daumen
Der Mond kommt gefühlt auch jeden Tag
Ein Stückchen näher wie die Decke
Teilt Spritzen und die frischen Pflaster
Noch nie war so viel Oberarm
Keinen Termin bislang hat meiner
Stattdessen fließt die Timeline nur
Aderlass das Konto Abgesang
Außenposten gibt es nicht
Die ganze Welt ein Home Office
Schlafzimmer gekapert Anker
An den Ohren neuer Zug
Nach draußen komm mir nicht
Zu nah die Nähe suche ich
In der Distanz ist sie geborgen
Und die Lieblingsbücher stehen stumm
Als wären sie rundum gebunden
An Schweigegelübde Wartezeit
26. Mai 2021 23:52
Julia Trompeter
Ich hatte früher einiges im Kopf
Windungen aller Art
Schrauben und Drehungen
Sturm und Sterne
Im Traum finde ich ein verborgenes Zimmer
im Haus meiner Eltern
den glücklich machenden Raum
Wenn ich meine Gedanken durchforste
wie der Gärtner, der Mörder
vermisse ich Zutritt
An seiner Tür hängt heute ein Schild
„gesperrt: zuflucht verboten“
Habe den Schlüssel
im Neocortex verloren
bin ausgesperrt
Habe nicht aufgepasst
als Wind einsetzte
und die Tür zufiel
25. Mai 2021 09:35