Christian Lorenz Müller

ZWEI STAATICHE GESÄNGE

I
Alles ich meins, ich mag es icht
wenn die Dinge verwirt werden.
Ich bin Anhängerin eines pragmatichen
Kollektitvichmus‘: Zusammenarbeit
nur dort, wo es mich macht!
Nein, das ist keine Possesichsucht,
das ist nur vernünftich.
Wenn jeder auf mich selbst schaut,
ist jedem geholfen.
Ichmichmiristan heißt mein Staat,
dort regiert eine Könichin.

II
Nmein, das will mich nicht –
aber es ist icht so, dass ich alles vermeine.
Resichnation kommt nach
der Erkenntnich.
Kulturpessichmichsmus ist leider
aus der Ode, genau, keiner,
der noch Oden, das Erhabene –
alles so schmerzich, schmerzich
spüren Sie mich icht, wie weh
es mir – ich wohne in Gramland,
ganz unten im vierten Stock, sie werden
den Aufzug icht finden.

 

20. Juli 2021 09:21










Konstantin Ames

Eiffelschwimmer*

für Marius Who Hulpe

niechts so undenkbar wie Munds Mund
der Mund wird nicht müd/ dem Mund wird nichts schön

niechts ist so leicht zu haben wie Munds Müdigkeit
denk dir die Zunge als Adler/ Zähne als Tasten

niechts so kitschig wie Wind im Dickicht
dehn die Ohren mit/ Müdigkeit wird in Ewigkeit nicht Mund

Ichs Ist und Ist ist ein Tintenfass ist ichnass
Lippe wenn zittert/ Mund dann verbittert

Luthers Nase reizte selbst Lavatern nicht weshalb
Des einen Gnade/ Des andern Luhmannkalb

Kranich halb und halb Konterfei
Einem Mensch sich nähern/ Einem Knie

* Titel des Gedichts wurde kurzerhand umgeändert. Wer das dem Clan verrät, kriegt in 13 Jahren ne Tür ins Kreuz gezimmert, vielleicht sogar eine wahre … 

15. Juli 2021 18:13










Mirko Bonné

Elligersweg

Auszug

(…)

Bücher an die Straße gepackt,
auf die violette Backsteinmauer,
die in wärmeren Nächten immer
dieser junge Igel langtigert: Marx,
Manifest, Uhland, Gedichte, 1984
mit den Anstreichungen von 1984.
Ottmar Elliger d. Ä., Die Stillleben.
Ottmar Elliger d. J., Die Stillleben.

Irgendwann findet jemand heraus,
nicht nur alle Gemälde der beiden
malte der Sohn, er erfand einfach
den Vater, er wurde sein eigener!
Oscar Wilde liegt keine Minute da.
Der Gärtner hat einen dottergelben
laubbläserartig röhrenden Rollator,
an Don Quijote aber kein Interesse.

Auf Mascha Kaléko sitzt ein Sperling.
Während sich die Zimmer leeren und
in Kisten wandert ausnahmslos alles.
Ensemble schließt das alte Kapitel.
Das zitierte ist das wahre Leben,
die letzte unleserliche Schrift
Staub aus vier Sommern,
vier Sommer lang Staub.

(…)

*

11. Juli 2021 22:10










Christian Lorenz Müller

GRÜNERES WUNDER

Abendlicht samtet auf den Hängen.
Hier unten im Schatten
tragen wir Kannen voller Kühle
zu den Beeten, ein Lachen gluckst
zwischen den Bohnenstangen,
überraschte Schreie spritzen
in die beginnende Tropennacht:
Mitten in der Tageshitze
wuchs die erste Gurke, speicherte Wasser,
wo nur noch Staub statt Erde ist.
Wie durstig wir sie mustern,
grüneres Wunder, aus dem wir trinken,
wenn es in Scheiben
auf dem Teller liegt.

6. Juli 2021 10:07










Tobias Schoofs

EWIGES LICHT

von seitlich hinten von der bei
fahrerseite rammt uns ein bus

damit ich als erster tot bin und
dich im sterben seh noch unver
sehrt erschrocken zwar doch un
versehrt ich stell mir gern den

wecker zu früh damit ich merke
dass ich schlaf dann kommt von
vorn ein zehntonner damit wir
wirklich tot sind und rammt

den bus und reißt ein paar
der passagiere mit sich

3. Juli 2021 16:43










Andreas H. Drescher

LOB DES BAUAMTS

Meine gemeinzeitige Zärtlichkeit für Rüttelmaschinen
die die Wirrblätter der Pionierart (Birke) und selbst die
naher Brunnen (Spring) in die Stummfilter rücksetzen

Anderen (Nachbarschafts) Arten dagegen ist das vor
allem bei einlaufenden (Gassi) Gängen lange ein großer
Graus und Kreuzweg mir dagegen lange Naherholung

Inzwischen hole ich noch weiter zum Lob des Bauamts aus

(T. Shandy zugeeignet)

2. Juli 2021 07:05










Hendrik Rost

Luna mentitur

Ich geb mir 100 Sekunden zum Nachdenken.
Nach 50 fällt mir etwas ein. Nach 80 krieg
ich Hunger. 90: Ich werd erwachsen. Noch
10 Sekunden bis zum Vergessen.

25. Juni 2021 10:03










Mirko Bonné

Der Sommer mit Strindberg

Als ich Strindberg las, waren alle Bäume
anders. Umschlossen von glasigem Licht,
wirkte jeder beschützt. Er verwahrte sich.
Nachmittage lang lief ich mit den Hunden
über die Felder und an Waldrändern hin,
Hohlwege, durch die ich träumend ging,
und immer Überraschung: Wolkenbruch;
offene Scheune; verschwundenes Moos.
Die Hunde waren beide schwarz, liebten
einander, rangelten, lösten jedes Rätsel
verschieden. Sie kannten alle stärkeren
Äste auswendig, und was sie rochen, ja
war ein Zeichen: Minutenlang sahen sie
gedankenversunken in die Baumkronen.
Strindberg rief einmal einem Kritiker zu:
„Warten Sie, bis ich mit Ihnen abrechne
in meinem nächsten Stück!“ Das hab ich
nicht vergessen können. Die Kastanien,
dachte ich, sie sind Strindbergkastanien,
aus einem glasigen Licht, das dir etwas
zu sagen hat. Nur was? Dieselbe Frage
stand oft den zwei Rumtreibern im Blick.
Einmal, es war ein schwüler Mittag Mitte
August, jagte uns ein Schwarm Bremsen
die Felderraine entlang, und da segelten
aus dem abgestorbenen Zaubergezweig
einer Eiche dunkel wie drei Pfeilschatten
drei Schwalben, und sie fingen alle weg.
Alles kann geschehen, alles ist möglich
und wahrscheinlich, schreibt Strindberg,
Personen spalten sich, verdoppeln sich,
vertreten einander, sie gehen in Luft auf,
verdichten sich, zerfließen und fügen sich
erneut zusammen. In Ein Traumspiel ruft
Indras Tochter wieder und wieder, es sei
schade um die Menschen, und das ist es,
was ich seit dem Sommer mit Strindberg
glaube: Es ist um uns Menschen schade.

*

20. Juni 2021 17:56










Christine Kappe

Marry

An der Tramperstelle traf ich heut Marry. Im Dorf erzählt man sich, sie sei verrückt geworden, aber nachdem, was ich mit ihr erlebt habe, glaube ich das Gegenteil.
Es war der 27. Dezember 1987. Marry trug ganz viele Klamotten übereinander und über all dem noch einen gelben Mantel mit Kapuze. Das sah wild aus, aber war vernünftig bei dem Schneegestöber.
Eine Ewigkeit kam kein Auto, ich wurde nervös.
Mich mit Marry zu unterhalten schaffte ich irgendwie nicht.
Plötzlich zog sie eine Tüte aus ihrer Tasche und hielt sie mir vor die Nase:
Eine Instant-Suppe, auf der Rückseite war ein Comic. Marry zwinkerte mir zu. Die Comic-Figuren waren unzweifelhaft Marry und ich. Und die Geschichte war genau das, was wir gerade erlebten, und es endete damit, dass wir uns in den Schnee setzten und die Suppe aßen.
Das nächste Auto, was kam, nahm uns mit. Ich sah aus dem Rückfenster den Schriftzug der Suppenfirma am Himmel. Wir befanden uns in einem Werbespot, ich merkte es erst jetzt. Doch Marry hatte es schon vorher gewusst, legte den Arm um mich und lachte.

9. Juni 2021 10:08










Konstantin Ames

Famos an diesem Gedicht ist, dass es, wie jedes, lebenslang ohne Titel auskommt

4. Juni 2021 11:29