Thorsten Krämer
Auf dem Weg nach Akihabara
schrieb ich dieses Gedicht. Allerdings
war nicht ich es, der unterwegs war,
und dieses Gedicht ist nicht das, was
hier steht. Es ist der Ruf einer Krähe
am anderen Ende der Welt.
schrieb ich dieses Gedicht. Allerdings
war nicht ich es, der unterwegs war,
und dieses Gedicht ist nicht das, was
hier steht. Es ist der Ruf einer Krähe
am anderen Ende der Welt.
Der Reflex der Apo
thekenlichter auf blatt
feuchten Trottoirs das
Knirschen der Ab
sätze von ersten Halb
bekannten die Regen
halle halb in sich hin
eingesammelt mit ih
rem Schweiß mit ih
rem Schmutz der Abend kommt aus seinem Vorspann nicht heraus und selbst das
Schlucken hat seinen S-Fehler Endlos Wo aber steht etwas von dieser Pf
licht geschrieben rostige Fahrradständer als Hosen anzuprobieren?
grünes geschwisterkind der schatten
geduldig in feuchte ecken geschmiegtes
kriechendes so fern aller erhabenheit
dass sich kein fuß daran stößt
trocken grau bei großer hitze
sporenreicher staub zwischen staub
tief durchasselt und durchkäfert
in den wäldern gedeiht es
zu einer mächtigkeit
von zehn zentimetern
zieht alles wasser an sich
polstert die wurzelbeugen der bäume
für die köpfe der liebenden
ihr seufzen versteckt sich
in seiner weichen stille
sondert alle schritte
wächst nachgiebig wartet wächst
erfriert wird staub
samtet wieder auf zartet zäh
über die jahrtausende
LUFTWURZEL
Wiehernder Zivilschutz
in Pappeln versteckt
im Plappern am Schulhof
Sie lauern sich aus um
alles Weiß und alles Schwarz von diesen Mauern abzuhalten Folglich und sam
sind sie schon bald mit Pausenbroten aufgepäppelt Dieser Umsetzung reichen
Mikroben Ergo setzt
Untersee und Magma
e
i
n
Tatsächlich gibt es Leute, die gegen dir-Maßnahmen demonstrieren. Und ich schreibe extra nicht „gegen die dir-Maßnahmen“. Denn das klingt, als wäre ich gegen die, die gegen die dir-Maßnahmen wären. Und ich bin ja weder gegen noch für. Ich bin für das Ende des Dilemmas. Und zwar nicht wegen der dir-Maßnahmen, sondern wegen dir.
Wer behauptet, er könne das unterscheiden, irrt natürlich. Doch es fühlt sich besser an, wütend zu sein, als zweifelnd. Verzweifelnd.
Mit dir würde ich jetzt gern in einem Raum sitzen, bei einer Tasse Tee. Die Füße unkonventionell hochgelegt. Und in aller Ruhe über alles sprechen. Nicht merken, wie die Zeit vergeht, weils schon dunkel ist. Und dann legst du dir ein buntes Tuch um die Schultern. Und siehst aus, als würdest du morgen wiederkommen. Aber diese Tücher täuschen.
31. Mai 2020 08:19Nur ein ganz leichtes Trampeltier
Ein wenig gedunsen zwar doch
eben dadurch in die Wipfel leckend
Wurfblüten bläst es aus dem geh
leerten Rüssel Jedes Fräulein das
getroffen verdoppelt flugs die Kunst
der Transparenz Je nach Lichteinfall
ist es ganz z/du Vor Freude wächst
dem Trampeltier ein blauer Bart
Vorher
immerschon
vorher
Wir müssen den Blaudisteln folgen.
Falls Blaudisteln ihr richtiger Name ist.
Immer die sonnenverbrannte Mauer lang.
In das Wäldchen hinein dann. Von dort
ist der Blick ins Tal ein Traum. Nein,
kein Traum. Wirklich, ein Tal-
see ohne einen See.
Hier pfiff mal der Wind
meinen Namen. Hier lagen sie,
meine Eltern, als sie noch studierten,
Licht, die Pinien, die Linien. Hier bin ich
bei dir. Hier können wir zusammen
hinuntersehen auf den Sommer,
hören Zikaden, ihre Rhapsodie.
Hier diese Rillen in den Steinen,
meine Mutter erzählte, hier
fuhr ein Klostereselgespann. Hier
schoss mein Vater Fotos von Bussarden,
meinem ausflippenden Bruder, mir als ich schlief.
Alles erzählte sie mir von dem wundersamen Ort.
Wäldchen, Vogelbrunnen, Blick in die Weite.
Und alles fand ich wieder in Ganagobie.
Falls das sein richtiger Name ist.
*
25. Mai 2020 13:573.12 UTC — Nabokov schrieb, er habe mir eine ungewöhnliche Uhr geschickt, ich solle ihm notieren, sobald sie angekommen sei. Wenige Wochen später erneute Frage: Lieber Louis, ist die Uhr, die ich vor zwei Monaten sendete, angekommen? Eine erste Uhr Nabokovs lag kurz darauf im Briefkasten, zollamtlicher Vermerk: Zur Prüfung geöffnet. Nun, in diesem seltsamen Mai, habe ich eine weitere Uhr von Nabokov erhalten. Zollamtlicher Vermerk, derselbe. Ich will an dieser Stelle bemerken, von der Öffnung des Päckchens war wiederum nicht die mindeste Spur zu erkennen, kein Schnitt, kein Riss, keine Falte. Im Päckchen diesmal eine Schachtel von rotem Karton, in der Schachtel Seidenpapiere, von Nabokovs eigener Hand vermutlich zerknüllt. In weitere Seidenpapiere eingeschlagen, besagte Uhr, wunderbares Stück, rechteckiges Gehäuse, blechern, vermutlich Trompete, welches schwer in der Hand liegt. Kurioserweise fehlt auch dieser Uhr das Zifferblatt, weiterhin keinerlei Zeiger, weder Dioden noch Leuchtzeichen. Ich versuchte das Gehäuse der Uhr zu öffnen, erneut vergeblich. Wenn ich auf das Gehäuse der Uhr Druck ausübe, öffnet sich am Uhrboden ein schmaler Schacht, dem, wie zum Beweis der Existenz der Zeit, ein Streifen feinsten Papiers entkommt, auf welchem ein Uhrzeitpunkt aufgetragen worden ist: Achtzehnzwölf. – Es ist Nacht geworden. Ich liege im Halbschlaf auf dem Sofa. Meine Schreibmaschine atmet leise, ein beständiges Fauchen. Seit einigen Tagen arbeitet sie auch während ich schlafe, rechnet vor sich hin für ein besonderes Projekt: Rosetta@home – stop
8.56 UTC – Einmal, Jahre sind vergangen, hatte ich mir vorgenommen, eine Notiz über eine Ameise zu schreiben, die ich an einem Nachmittag in einem U‑Bahnwaggon angetroffen hatte. Aber dann beobachtete ich meine Hände, Hände, wie sie dicht über der Tastatur der Schreibmaschine schwebend auf Anweisung warteten. Ich bemerkte damals, dass meine Hände jene anatomischen Strukturen meines Körpers sind, die ich am Besten kenne, weil ich sie sehr oft betrachtet habe. Alle meine Hände, die ich erinnern kann, sind die Hände eines Menschen, der nicht mehr Kind ist. Aber ich erinnere mich an Bewegungen, die Kissen in einem Kinderwagen sortieren. Ich erinnere mich an meinen Wunsch, in meinem Kinderwagen Ordnung zu halten. An hölzernes Spielzeug erinnere ich mich, das vor meiner Nase baumelte. Da sind jetzt sehr kleine, blaue Schuhe in meinem Kopf. Sie bewegen sich, wenn ich wünsche, dass sie sich bewegen. – Heute am frühen Morgen wartete ich vor einem Laden auf Einlass. Ich trug eine Mundbedeckung, noch immer versuche ich mich an Stoffstreifen vor meinem Gesicht zu gewöhnen. In meiner nächsten Nähe ging eine uralte Frau auf ihren Stock gestützt auf und ab. Ich glaube, sie wollte trainieren. Sie war sehr klein, zierlich, zerbrechlich. Auch sie trug einen Mundschutz vor dem Gesicht, der zerknittert war, als würde sie ihn bereits seit Jahren tragen. Ich wollte sie auf den Arm nehmen, um sie zu beschützen. ich glaube, sie fürchtete meinen Blick. – stop