Mirko Bonné

Steg

Die Stühle sind angekommen!
  In Reihen stehen sie im Licht
des Saals, als könnten sie sich
  unauffällig geben und davon-
laufen, sobald jemand vergisst,
  die Tür zu schließen. Genauso
wartet das Licht. Es sinkt auf die
  Stühle. Wer später darauf sitzt,
weiß das dunkle Holz ebenso gut
  (ebenso wenig) wie irgendeiner
sonst. Aber das ist ja zum Glück
  auch überhaupt nicht die Frage,
du Stuhlforscher! Ahnen die Stühle,
  wer auf ihnen Platz nehmen wird?
Ahnt es irgendeiner? Wer denn? Wo
  ist der Weg, der Steg aus Licht quer
durch den Saal der ganzen Ignoranz?

*

10. Januar 2018 21:17










Andreas H. Drescher

EHEPAAR I

Die Betten ab
gezogen dann ins Salz ge
t
auch
t
in den Fingergelenken das
Geräusch des
Was
s
er
koch
er
s
Auf der Zunge der Geschmack von Fenst
er
led
er
Schwer der Klostein schwer
Warte
bald kommen die Kinder nach Hause
und bringen dich mit um dich aus dem
Salz aus dem Leinen zu nehmen – Dort

10. Januar 2018 13:58










Thorsten Krämer

Гегель

Was es zu wissen gibt über Gegel,
kann dir ein Russe in fünf Minuten erklären.
Aber in der Londoner Nacht
ist kein Russe zur Hand.
Und die Gespräche überkreuzen sich
bis zur Unverständlichkeit.

Gegel.
Hēgeru.
Hēigéěr.

Es gibt einen Witz, dessen punch line lautet:
„Everybody’s got to be somewhere.“
Auch das hat mit Gegel zu tun.

Schwarz.
Gitter.
Du.

Ich schreibe nach dem Hören.
Es gibt ja keinen Mangel an Sinn,
nur den Überfluss der Zeichen.

Gegel mit Gegel.

Gegel ohne Gegel.
Gegel gegen Gegel.

Was sich zu verstehen lohnt,
lässt sich nicht verstehen.
Wer das sagt, ist kein Russe
und hat keine Ahnung von Gegel.
Aber in der Londoner Nacht
liegt noch immer Mǎkèsī begraben.

(für Isolda Mac Liam)

7. Januar 2018 19:20










Andreas H. Drescher

Heimatrecht in dieser Stadt hat
Nur wer den Verstand verliert

Zum Beispiel das Doppeln das
Mit-Zwei-Köpfen-Lutschen

Känguruspiel Matronen Mutter
säcke Herren die sich glücks

säuselnd drin verkriechen in
diesem pflaumenblauen Rauch

MYRI AD ISCH BEFINGERT
E VERGNÜGUNGSPFL ICH T

4. Januar 2018 08:38










Andreas H. Drescher

LEGO-SCHWALBE

Lego-Schwalbe eigentlicher nie
das größte Volk der Erde ruht
in einer Spielzeugkiste vergisst
sich knabbert Mandarinen dies
er Nachmittag dehnt sich noch
im Flug braucht keine Fliegen

Das Rechteck der Wiese wird
auf ihren Ruf hin bis an seine
Grenzen über Haus gebaut win
zig Fenster die zu schließen die
zu öffnen sie vergessen haben
Allein von ihrem Anblick schon

in Obhut der genoppten Raserei

2. Januar 2018 14:38










Christian Lorenz Müller

ADE, DU SÜSSES SCHREIBEN! (Neujahrsvorsätze in Haiku)

– Bilder, Metaphern
reduzieren. Maximal
zwei, drei pro Gedicht.

– Und keinen melan-
cholischen Qualm mehr, keine
tränenden Augen.

– Dafür Bewegung.
Der Nadaismus* sei mein
neuer Fitnesstrend.

Ade, du süßes
Schreiben! Nun gilt das schlanke,
gesunde Gedicht.

*www.nadaproductions.at/img/pdfs/das%20BMN.pdf

2. Januar 2018 12:57










Christian Lorenz Müller

BLUMEN FÜR 2018

Blumensträuße aus Licht,
ein Bouquet aus weißen Explosionen.
Rot aufzuckende Rosen,
das gelbe Knallen
unzähliger Narzissen.

Hunderte von Gläsern werden befüllt,
Vasen, fassen sie vielleicht
den Augenblick.

Alles welkt binnen Sekunden.
Die verwesende Süße verschütteten Alkohls,
der schmutzig getrampelte Schnee.

Am Morgen überall
die dürr gewordenen Stängel der Raketen,
zu Scherben zerfallenes Grün
das ein Betrunkener durchknirscht.

1. Januar 2018 13:04










Hendrik Rost

Spieltrieb
Seit Jahren und heute betrachte
ich den Kampf einer Wahrheit
gegen eine andere. Jede mischt
ihr Gift in den Zustand,
bis er als Krankheit wirkt.
Die Zähne haben sie
der einen ausgeschlagen.
Die andere muss damit leben,
dass sie gesiegt hat.
Das Beobachten entpuppt sich als blutig.
31. Dezember 2017 23:08










Christine Kappe

Bach würde zu ihr passen

Bach würde zu ihr passen
auch wenn sie ihn nicht hört
auch wenn sie am Ende mich anguckt
als sei ich wahnsinnig
jetzt noch eine Frage zu stellen
sie hat mehrfach bewiesen
dass das alles geht
mit der Menschlichkeit
als Göttin

30. Dezember 2017 16:55










Mirko Bonné

Wulin

Von den binnen Wochen erbauten Wolken-
  kratzern hängt das Grün aus dem Himmel
in die Straßen hinunter. Alte mit einem Eisberg
  aus Styropor fahren vorbei, und in den Augen
der Kinder liegt die Tiefe der konfuzianischen
  Zeit. Kummer ist eine Art schwerer Zweifel.

Eine Reklame, groß wie eine Schule, bunter als
  die Nacht unter Vögeln: Betrink dich im Bezirk
Wulin! Spür den Wind dort! Die schlaflose Stadt
  ist das Paradies! Im selbstfahrenden Bus nach
Wulin. Der eingeschlafene Fahrer, dem ich den
  Anorak über die schlotternden Beine breite.

Kanalbaumuseum, Schiffbaumuseum, Vögel-
  museum, Scherenmuseum, Messermuseum,
Wundenmuseum, Schießpulvermuseum, Katzen-
  museum, Tannenbaummuseum, Regenschirm-
museum, Regentropfenmuseum, Tränenmuseum.
  Komm nach Wulin! Bleib in Wulin! Für immer!

*

29. Dezember 2017 17:00