Christian Lorenz Müller

UND WENN DU HINAUSGEHST

Langsam verlanden die Farben,
das Jahr zieht sich zurück.
Schlickiger Nebel,
Tage ohne festen Grund.
Hie und da nur
zappelt ein Sonnenstrahl
in einer Pfütze.
Irgendwo, ganz fern,
das Rauschen der Stadt.

Du wohnst in einem
kantigen Leuchtturm
mit blinder Linse.
Wenn du hinausgehst
muscheln Silben im Laub.

7. November 2017 18:39










Mirko Bonné

Säge

wer wüsste mehr von trennen und gelingen
zugleich? die feinen zähne des piranha,
der schlanke griff – und schimmern wie die klinge,
die zwischen sigurd und der keuschen bryn-

hild ruhte, bis die morgensonne
durchs fenster auf das bettuch rieselte.
und plötzlich kehrt der duft der sägespäne
zurück, jener moment im zirkuszelt,

in dem die jungfrau lächelnd in zwei teilen
sich wiederfand, der große zambonini
den hut abnahm, um ihn just dort zu wedeln,

wo beides wahr schien, zwischen rumpf und beinen
im trommelschwellen, im wirbel des lichts
nicht etwas da war, aber auch nicht nichts.

Jan Wagner

Herzlichsten Glückwunsch, Jan, Du großer Zambonini!

*

28. Oktober 2017 12:54










Gerald Koll

Dieser Kafka wieder …

… schrieb am Sonntag des 12. November 1911 im Alter von 28 Jahren in sein Tagebuch, nachdem er am Vorabend einem Vortrag des französischen Schriftstellers Jean Richepin

beigewohnt hatte:

„Ein großer starker Fünfziger mit Taille. Die steif umherwirbelnde Frisur (Daudets zum Beispiel) ist, ohne zerstört zu werden, ziemlich fest an den Schädel gedrückt. Wie bei allen alten Südländern, die eine dicke Nase und das zu ihr gehörige breite faltige Gesicht haben, aus deren Nasenlöchern ein starker Wind wie durch Pferdeschnauzen gehn kann und denen gegenüber man genau weiß, daß dies der nicht mehr zu überholende, aber noch lang andauernde Endzustand ihres Gesichtes ist, erinnerte mich auch sein Gesicht an das Gesicht einer alten Italienerin hinter einem allerdings sehr natürlich gewachsenen Bart.“

Das war der zweite Absatz. Der erste:

„Sonntag. Gestern Conference Richepin: ‚La légende de Napoléon‘ im Rudolfinum. Ziemlich leer. Wie zur Prüfung der Manieren des Vortragenden ist auf dem Weg vom Eingangstürchen zum Vortragstisch ein großes Klavier aufgestellt. Der Vortragende kommt herein, will, mit dem Blick ins Publikum, auf dem kürzesten Weg zu seinem Tisch, kommt daher dem Piano zu nahe, staunt, tritt zurück und umgeht es sanft, ohne mehr ins Publikum zu schauen. In der Begeisterung des Abschlusses seiner Rede und im großen Beifall hat er das Piano natürlich längst vergessen, da es sich während des Vortrags nicht bemerkbar gemacht hat, er will möglichst spät, die Hände auf der Brust, dem Publikum den Rücken kehren, macht daher einige elegante Schritte seitwärts, stößt natürlich ein wenig an das Piano und muß auf den Fußspitzen den Rücken ein wenig durchbiegen, ehe er wieder in freies Terrain kommt. So hat es wenigstens Richepin gemacht.“

Einziger Tagebucheintrag vom 13. November: „Und dieser Mann ist, wie ich heute erfahren habe, zweiundsechzig Jahre alt.“

24. Oktober 2017 09:08










Tobias Schoofs

ABSPANN

der moment in dem du im kino sitzt
und siehst wie einer im film aus dem
kino kommt und musik aus dem saal
dringt durch die offene tür durch die

zuschauer ehemalige zuschauer des
films herausströmen aus dem saal
in dem gerade noch der film lief und
immer noch der abspann läuft nein

nicht dieser moment eher der andere
später während du wie betäubt vor
dem abspann deines films sitzt und

dir dämmert dass die musik die du
hörst die ist die du gehört hast als
der im film aus seinem kino kam

22. Oktober 2017 16:01










Christian Lorenz Müller

LAUB (JANWAGNERISMUS IN HAIKU)

Das rote Schwänzeln
des wilden Weins. Ein Windstoß
und er verschwindet.

Keine Radfahrer,
Scheren blitzen. So lassen
die Hecken ihr Laub.

Nur für Sekunden
ein gelber Wind im Park. Die
Ahornfarbe: Kahl.

Als Zigaretten-
glut steht die Buche. Noch ein
Lungenzug Herbstluft.

Die Kehrmaschine
quirlt die Blätter. Wie schön doch
die Farben schäumen.

Das frisch gespülte
Glas der Luft. Lippenstiftrot
leuchten die Blätter.

19. Oktober 2017 10:10










Christine Kappe

Im Unterbewusstsein werden wir um 1 verschoben. Wir geben uns nicht genug Liebe / mit. Wir reißen uns morgens aus dem Bett und müssen los, bevor wir wachgeworden
sind. Wir fahren im Dunkeln irgendwohinwo wir gar nicht hinwollen wo
stimmen inneres und äußeres Bild überein – so gibt es ein inneres und ein äußeres Bild,
Tage, die immer wieder um sich selbst kreisen und dadurch kein Ende nehmen und schließlich ein einziges Knäuel bilden vom Wind vertrieben werden in die Nacht getrieben
werden, dieser Wind. Dieser Abendwind.
Fische.

(Antwort auf: Andreas Louis‘ russischen Gedankengang)

18. Oktober 2017 18:23










Konstantin Ames

Kleine Promenadologie

Es ist die erste und einzige Regel des Promenadologen
keine Barschaft bei sich zu führen. Solche / Gänge
(seien’s die kleinsten Wege) sind Geschäftsreisen.

Ein Promenadologe wird während seiner Streifzüge zum man.
Man passiert einen Basssaxofonisten, lispelt innerlich etwas.
Geht weiter. Wird mehr und mehr zum Beuteltier, das was kann.

Man schreibt auch Liebeslieder, aber auch Lieder auf Molche
in der Enge einer Parkbank. Das Abfackeln der Parkbänke*
dauert Spaziergangsgeleerten zu lang (=) in Neopreußen

Askesekoketterie abzuziehen, auf die in diesen Tagen so viele flogen.
Janwagnerianern den Nadaismus beizubiegen macht nicht weniger Spaß.

* Pawlenski: «Parkbanken.»

18. Oktober 2017 14:12










Karin Fellner

chroniksch

wellig gehen Orte auf und unter
Miesfäden, Moosfäden,
verfilzte Generationen

Torf, Bregen, abgedeckt
die Schädelplatten der Haie
weißt schon, Haie mit Bärten

abgedeckt auch die Soden
von mageren Jongens, ha
ihre verbrannten Gebeine

und am Kliff, war das Schilf, ging das schief
ein und aus
unterm Ab-Abdecker

Torf, am Totenfenster
steht noch der Leuchter, sah
seine Arme schmerzen

indes hocken Haie und Jongens gemeinsam am Hafen und
lachen und essen einander
hier alles in deutscher Hand

18. Oktober 2017 07:35










Gerald Koll

Don Quixote, aufgenommen mit Phantom-3-Drohne des chinesischen Herstellers MeLi

14. Oktober 2017 00:08










Konstantin Ames

Kein Fachkräftemangel

Wer immerzu nur Sprüche machte, und damit unter DIY-Fanfarenschall
einen Dichter in die Tiermetaphorik und die rechten Hammer-Philosophie-Ecke
abschöbe, bliebe doch auch bloß ein
bloßstellerischer Sprüchemacher. Im Verhältnis zu Schriftstellern: „germanisten
nisten[.]mager“ (Mautz): überwögen solche Fachkräfte samt Gehilfen stets im
Verhältnis 3:1. Zur Freude jeder Porzellanfabrik nebst angestellter Gäule. Hü!

für Christian Lorenz Müller

10. Oktober 2017 05:32