Christian Lorenz Müller

DREI SPRÜCHE FÜR DICHTER

Jeder Dichter ist seines eigenen Glückes Schmied,
aber ganz besonders der, der sich nicht scheut,
jederzeit zum Hammer zu greifen.

Ein Dichter sprach gerne über „abgehalfterte Kollegen“.
Er selbst tat nichts lieber, als sich ordentlich
ins Geschirr zu legen.

Am Anfang war das Wort, und das Wort war beim Dichter;
am Ende stand ein Werk, es war für Germanisten.

9. Oktober 2017 09:15










Andreas Louis Seyerlein

Ход мыслей

Я иду несколько шагов налево, затем я иду несколько шагов направо. Как только я хожу, я думаю иначе, чем если бы я думал сидя. Я многое уже передумал в то время, как я ходил. И я многое уже забыл в то время, как я ходил. Когда я хожу, мысли возникают из воздуха и исчезают обратно в воздухе. Когда я сижу, мысли возникают из моих рук. Как только я перестаю писать, мои руки покоятся на клавиатуре печатной машинки и ждут. Они ждут того момента, когда голос в моей голове продиктует, что писать. Я мог бы, наверное, сказать, что мои руки ждут того момента, когда они смогли бы разгрузить мою память. О том, что я моими руками пишу в клавиатуру печатной машинки, я думал, но я не выучил, не сохранил того, что я написал, поскольку я знаю, что я мог бы вернуться обратно и прочитать то, что я отметил. Странные вещи. О некоторых странных вещах я думаю во второй или в третий раз. Только что я заметил, что невозможно в один и тот же момент написать два знака на моей печатной машинке, один знак всегда на долю секунды опережает другого знака. Когда я думаю о странных вещах, я радуюсь. Когда я радуюсь, я не могу оставаться там, где я нахожусь. Радость — ето чувство, которое приводит меня в движение. Я вспрыгиваю, если я сидел, или я прыгаю в воздух, если я уже стоял на ногах. Тогда я иду несколько шагов налево, затем я иду несколько шагов направо. Как только я хожу, я думаю иначе, чем если бы я думал сидя. — Стор

(Text übersetzt von
Anastasiya Nonenmacher,
Deutschland 2017)

Gedankengang

Ich gehe ein paar Schritte nach links, dann gehe ich ein paar Schritte nach rechts. Sobald ich gehe, denke ich in einer anderen Art und Weise, als würde ich noch sitzen. Ich habe schon viel nach­ge­dacht während ich ging. Und ich habe schon viel vergessen während ich ging. Wenn ich gehe, kommen die Gedanken aus der Luft und verschwinden wieder in die Luft. Wenn ich sitze, kommen die Gedanken aus meinen Händen. Sobald ich einmal nicht schreibe, ruhen meine Hände auf den Tasten der Schreib­ma­schine und warten. Sie warten darauf, dass eine Stimme in meinem Kopf diktiert, was zu schreiben ist. Ich könnte viel­leicht sagen, dass meine Hände darauf warten, mein Gedächtnis zu entlasten. Was ich mit meinen Händen in die Tastatur der Maschine schreibe, habe ich gedacht, aber ich habe, was ich schrieb nicht gelernt, nicht gespei­chert, weil ich weiß, dass ich wieder­kommen und lesen könnte, was ich notierte. Selt­same Dinge. Ich denke manchmal selt­same Dinge zum zweiten oder dritten Mal. Gerade eben habe ich wahr­ge­nommen, dass es nicht möglich ist, zwei Zeichen zur selben Zeit auf meiner Schreib­ma­schine zu schreiben, immer ist ein Zeichen um Bruch­teile von Sekunden schneller als das andere Zeichen. Wenn ich selt­same Dinge gedacht habe, freue ich mich. Wenn ich mich freue, kann ich nicht bleiben, wo ich bin. Die Freude ist ein Gefühl, das mich in Bewe­gung versetzt. Ich springe auf, wenn ich saß, oder ich springe in die Luft, wenn ich bereits auf meinen Beinen stand. Dann gehe ich ein paar Schritte nach links, dann gehe ich ein paar Schritte nach rechts. Sobald ich gehe, denke ich in einer anderen Art und Weise, als würde ich noch sitzen. – stop

> particles

8. Oktober 2017 18:24










Tobias Schoofs

PUDELSKERN

enrico hatte gewarnt aber keiner hörte
der pudel war so niedlich: bellte nur
wenn es angebracht war und machte

den clown wenn uns kinder besuchten
unbeobachtet hatte er böse gedanken
harry biss er in die hand sie verdorrte
und harry starb schon im monat darauf

als louis seine hand schützend über ihn
hielt biss er wieder zu louis starb zwei
wochen später. zeugen überlebten jahre
zum teil aber starben oft an den folgen

mehr vorsicht hatte enrico gefordert
doch keiner hörte auf ihn. es war doch
ein so nützlicher niedlicher pudel

8. Oktober 2017 14:19










Konstantin Ames

s’ top Eishörnchen lag

da noch. Bei uns gibt’s keine Nüsse, Herr Freud,
nur Leid. Und Schilder. Keiner glaubt mehr daran.
Sie werden immer vollgeklebt, immer überfahren.
Alles hier ist ein Flop, selbst dieser faustförmige
Ketschupfleck an meinem Arm. Ich klopfte jeden Tag damit an
die Türen der Nachbaumeister. Ihre Secondshowshops*
florierten; verwaisten: Die Gestalten brauchten zu viel Eis
während der Brandrodung der Kritischen Wälder, alles
erkaltet (lies ruhig mal wieder Brecht, aber ruhig), prächtig veraltete Scharen
Stoppschilder auf Feldherrenhügel gepflanzt wie Befehle in Ohren, ihr Echo
hallt wieder(!) in den Mittelfingergebirgen, und ob-ob-ob-ob-ob …, sasa ke?
Wenn Ketschupfaust und Faunenschädel zusammenstoßen und es klingt hohl,
ist das allemal im Ketschupfaust? * Kling klang schon verklungen
[Hier bitte klinkeln, Kernölkompetenzkollege kommt gleich.]

8. Oktober 2017 10:33










Thorsten Krämer

Das Eichhörnchen

Ankomme Freitag STOP Halte Nüsse bereit STOP

Planänderung STOP Ankomme Donnerstag STOP Nüsse vorhanden STOP

Keine Nüsse STOP Falsche Adresse STOP Reise verschoben STOP

Ankomme Sonntag STOP Sind zu zweit STOP Abholung erwünscht STOP

Krank STOP

Wieder gesund STOP Ankomme Dienstag STOP

Zwei Stunden gewartet STOP Niemand da STOP Was war los STOP

Entschuldigung angenommen STOP Freitag optimal STOP

Finde Nüsse nicht STOP Samstag besser STOP

Nüsse verfault STOP Großer Hunger STOP Bin unterwegs STOP

Tauwetter STOP

(Ein Klick aufs Cover führt zur vertonten Version.)

7. Oktober 2017 15:45










Konstantin Ames

Das Eichhörnchen rennt zu den Mülltonnen

Wir. Ein Kind, ein großes Kind, ganz leise, friedlich, beinah passiv.
Wir sind. Das Eichhörnchen rennt. Kein einziger Flüchtigkeitsfehler.
Zwei. Zu den Mülltonnen; unds dort gestern entsorgt in Massen.

Nichts, das die Welt macht zur Stiefwelt. Die Straßen sind zu leer,
d.h. lesen auf verbogenen Plastikspielzeugen, Redewendungen, maßen
der Laubbläser dahinrafft ein paar aberwitzige Reste Zeitkitsch aufm Dütti.

6. Oktober 2017 11:37










Julia Trompeter

Berlin am Meer

Wo kommen all die Hausboote her?
Vollgestopft mit Heimatlosen
schieben sich die Karawanen
blago bung
blago bung
an unserm untern Augrand vorbei

Is ja nicht das Mittelmeer hier
bloß son Ausläufer der Havel
plattes, süßes Wasser drin
da hinten die Glienicker Brücke
vor ihr die fahrenden Häuser
hölzerne Unterbauten, rote Dächer

Flüchtende Touristen suchen Schutz
vorm Großstadtlärm oder Leben
und ich suche Schutz vor deinem Profil
deinem hingerissenen Blick
mit dem du die Farben
des Spätsommers fängst

5. Oktober 2017 09:16










Thorsten Krämer

*

Der Moment in dieser Bucht vor Cres, wenn du in der Sonne
auf dem Deck stehst, um die Badehose zu trocknen (denn zum
Wechseln hast du nichts dabei), und dein Blick verliert sich
in den Wellen, die sich unscharf überlagern und ein Muster
bilden, das dich fortziehen will von diesem Boot, fort von
allem, was dich hält, hin in ein anderes Leben, eine neue
Existenz — bis dir dann einfällt, dich zu drehen, damit
auch die andere Seite trocknen kann.

3. Oktober 2017 08:52










Mathias Jeschke

Synopse

Die vom Wind berauschten Bäume, keine Eichen wie in Dodona
(Peter Handke weist in einem Interview, dem ich auf YouTube
gefolgt bin, auf das Orakel hin), Birken und Eschen, umstehen
die Erzgrube, in der ich eben noch geschwommen war, ich legte
das Buch aus der Hand, um die Sätze nun meinerseits aus den
Bäumen zu ziehen, da fiel mir die morgendliche Herrnhuter
Losung ins Hirn zurück, wo der Evangelist Lukas erzählt, dass
Jesus sich zu Petrus umwendet, und als ich wieder zu Hause in
der Konkordanz nachschlug, stieß ich darauf, dass Jesus sich
in den Berichten der Evangelisten zwölf Mal zu Menschen
umwendet und daraufhin zu ihnen spricht, was mich wiederum
an das Schwimmen im See erinnerte, bei dem es, wie genauso
beim Schwimmen im Meer, für mich immer vor allem darum
geht, vom Ufer fortzuschwimmen, mich zu entfernen, um dann
mich umzuwenden, den Blick zurückzuwerfen und das, was
mich vormalig umgab in der Zusammenschau, der Synopse,
wahrzunehmen (wie Jesus es tat, wenn er vom Boot aus zu den
am Ufer wartenden Menschen sprach), auch die Bäume, vom
Wind berauscht und zu mir, ja, mir, geheimnisvoll sprechend.

3. Oktober 2017 00:20










Konstantin Ames

Pfalz (weltweit)

Mit einem Opa aus der Pfalz machst du keine Sprünge.
140 erigierte Lettern immer und immer wieder.
Schicht auf Schicht aus kleinen Raketen.

«Droppin’ fuckin’ loads all over …» Corean faces. Den Hass
gibt’s nur, weil’s Hassenswertes gibt. Den Haag
Ihn. Die Trump. Kaum noch Zeit fürs Enjambement. Ach.

Das war Kaindeutsch für Businessastronauten.
Jeder Traum kann das übersetzen. Nutzt Lyrikbände.
Zum Beispiel. Mario Santiago krakelte Pounds Cantos voll.

Mit einem Opa aus der Pfalz hast du Schlingen unter der Alsohaut.
Deine Doppelhelix hängt sich jeden Tag selbst auf beim Denken.
Trump ist eine Einheit zur Messung des Snafu-Grads des
Danterückbaus, hörte ich neulich im Goethe-Döner.

Das ist das Ende der Pfalz. Wenn schon, dann hoffentlich
vor der nächsten Stockholmer Fehlentscheidung oder vor
derjenigen in einer anderen westhässlichen Darmstadt.

2. Oktober 2017 15:50