Christian Lorenz Müller

DREI APHORISMEN FÜR REZENSENTEN

Die Rezensenten schrieben den Erfolg herbei. Als er angekommen war,
erwies er sich als lustloser Geselle, der dem Autor auf die Bühne folgte
und kein Wort herausbrachte.

Hauptsatzprosa: Arm- und beinamputierte Sprache, für die Rezensenten
nicht selten die Prothesen liefern.

Man lobte die Autorin für die „Alltagstauglichkeit ihrer Sprache“.
Was war damit gemeint? Dass sich dieses Buch in der U-Bahn lesen
lässt oder aufgeschlagen werden kann, bevor man den Müll runterbringt?
Alltagstauglich wie ein Waschlappen, ein Stück Seife oder das
Wohnzimmerparkett?

23. März 2017 11:50










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (167)

22. März 2016, ein Dienstag

Sehne mich nach Nachtruhe. Und kaum, dass ich gestern vor dem Dojo auf Frau S. stoße, schlage ich auch schon vor, ob sie nicht die Nacht bei mir verbringen wolle. Gleichzeitig lähmt mich Mattigkeit, fast wie kränkliche Schlaffheit. Der Alkohol der Sonntagnacht. Heute erwacht in trübem Kreiseln: Leerlauf permanenten Urlaubs. Hin zum Training, zum Dojo, auf die Matte. Auch da: Mattigkeit, trotz guter Kondition. Mein versteiftes Ukemi nervt mich an, wenn der sensei mich nach vorn holt, und dieses Genervtsein lässt mein Ukemi nicht besser werden lässt. Geradezu Angst befällt mich dann vor solchem Schau-Ukemi, obwohl ich danach lechze. Selbst im Aikido kocht und brodelt es aus meinen Zwiespalten, die ich im Aikido zu lösen suche.

22. März 2017 10:31










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (166)

21. März 2016, ein Montag

Großes Abendessen bei Frau S. mit Aikidoka: überaus vergnüglich, gelächtersatt, mit einer Lasagne wie Eintopf.

Hernach – Frau S. hatte Whisky ausgeschenkt – geriet das erotische après-ski ein wenig grotesk. Frau S. verfocht ihre Verführungen energisch ungestüm. Ich beharrte auf dem freien Willen, hielt einigen Schmerz aus und duckte mich hinter Palisaden gewisser Reserviertheit und literarisierter Ironie. Da sah ich, während all des Treibens, vor mir Thomas Mann.

21. März 2017 10:00










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (165)

20. März 2016, ein Sonntag

Heute ist Frühlingsanfang. Soeben ermuntert mich Frau S., das vernachlässigte Tagebuch aufzunehmen. Ich erwähnte, dass es derzeit leidet. Wenn sie wüsste! Denn was zu Buche schlüge, ist nicht leicht zu beschreiben: auflodernder Widerwille gegen körperliche Nähe. Es ist beschämend. Aber immer wieder überkommt er mich. Er überkommt mich, wenn Frau S. selbstvergessen meine Finger streichelt, sehr sacht und leicht, aber dieses Sachte und Selbstvergessene enerviert mich, und ich ersinne Schlichen, diesen Streichelattacken zu entkommen. Ich nehme ihre Finger in die Hand, drücke sie, verankere sie, lege sie in Ketten. Dazu das Gefühl sexueller Nötigung. Gestern Abend – ich sah es kommen, denn zwei Tage waren ohne Sex verstrichen – war es also wieder so weit, und ich spürte Forcierung und Forderung, der ich nachgab ohne rechte Lust, oh weh – wohin soll das führen? Zermürbte Nacht, versalzener Morgen, ausgeschlafener wird man nicht davon.

Nebenan wohnt ein lieber Nachbar mit Familie – und seit neuestem mit Katze, die sich immer mal wieder im Haus herumtreibt. So auch gestern Abend, als Frau S. und ich nach vollem Tag die Treppen stiegen. Am Absatz meiner Wohnung trafen wir also auf den lieben Nachbarn mit Tochter auf Katzensuche. Die Tochter war erst etwas schüchtern, denn man kennt einander doch nur flüchtig, doch der liebe Nachbar war ungewöhnlich aufgeräumt, ermunterte die Tochter, einen Guten Abend zu wünschen, uns, die wir spürbar in die Wohnung drängten, gleichsam auf der Flucht, denn auf dem Vollbart des lieben Nachbarn lag senkrecht ein Schleimfaden, dick wie ein Tau und böse-gelb. Fast waren wir, höflich ignorierend, glücklich entschlüpft in die Wohnung, als die Tochter lauthals aufschrie, was ihm, Papa, denn da aus dem Mund fließe. Sie schrie so laut, dass ans Türenschließen nicht zu denken war, sondern wir gezwungen waren, stumm und betreten Zeuge zu sein, wie der liebe Nachbar zunächst ungläubig nachfragte, sich in den Bart griff, den sämigen Schleim abzog, in seine Hand starrte und ausrief: „Das ist ja schrecklich!“ Er wünschte uns darauf sehr traurig einen schönen Abend, worauf wir, die nun als Mitwisser enttarnt waren, leise die Tür schlossen und dahinter zu Boden sanken in tonlosem Lachkrampf. Hätten wir nur früher Signale gesendet und mit dem lieben Nachbarn gemeinsam in heiteres Lachen ausbrechen können! Vielleicht wäre alles gut geworden. Nun ist da ein tosender Makel, eine Blamage, ein schreckliches Etwas getreten.

20. März 2017 13:31










Konstantin Ames

Lustich. – Einem Luhmannredeclip auf youtube Gibt es in unserer
Gesellschaft noch unverzichtbare Normen Keine Beschreibung möglich

beigeordnet finden + + + Jürgen Habermas im Privatfernsehen
sehen + + + Ein kurzes Gedicht von Norbert Lange lesen und
umgekehrt. +++ Ist das ein Gaunerzinken? + + + Nö. + + +

1. Liebe als Passion
14 Min.
2. Ökologie
27. Min.
3. Systemtheorie
13 Min.

(Küsst sie/ wo ihr sie findet!« 22.4.2012)

Aus: roughbook 024, S. 73

Für: Andrzej Kopacki

19. März 2017 12:52










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (164)

16. März 2016, ein Mittwoch

Gestern mit Frau S. zur Beratung in Sachen Schwangerschafts-Verhütung: Spirale oder natürliche Messmethode? Was für einen Minenfeld: Seltsamer Geleitschutz mit erhöhter Wachsamkeit, auch hinsichtlich von Genderfragen. Zugleich sich aufbäumender Unwille, so viel Zeit dreinzugeben für Fragen mit massiv minoritärer Entscheidungsbefugnis. Zudem bringen Gespräche über Schwangerschafts-Verhütung vor allem Gespräche über Schwangerschaften mit sich. Zwischendurch sah ich mich immer wieder im Hallenbad mit schwimmringberingten Schwangeren Gymnastik treiben.

16. März 2017 12:07










Tobias Schoofs

IN MEMORIAM

wortlos und ängstlich wächst das
gedicht aus dem fleisch seinem boden
nichts als zittern ist es und wild
und geschmack – es kommt hervor

wie blut wie der schatten von blut
auf den wänden der adern den
labyrinthischen wegen durchs leben

(Herberto Hélder, 1930 – 2015)

16. März 2017 00:15










Julia Trompeter

Schwazz Boxx

Nun, da wir endlich im Bett liegen!
Die Beine engumeinandergeschlungen
wie sehr lange Worte,
vollkommen unverständlich.
Haben ja vorher im Kino
was Grelles getrunken,
das jetzt durch den Kopf jagt,
poppig gegessen, ich glaube
genetisch verändernden Mais.
Die Leinwand wird dunkler,
auch der Mond taucht ab,
schließlich Filmriss.
Alles nichts, oder?
Nur noch, naja:

Und dein verwilderter Mund.

15. März 2017 19:24










Andreas H. Drescher

Die führenden Nieren empfehlen
sich auszuwachsen in den Stein
Je ein Standbild mit Sporen pro
Organ wenn es sich auch um
herum schon jetzt als Kolik wirft

Denn die Logik des Vertrauens
gilt nur noch bis zum Rand heißt
zur Membran Schonzeit für körper
eigene Bakterien bis auch unter ihnen
Wilderer auf Volkstribunisch machen

PHAGEN IM REIZDARM REPUBLIK

15. März 2017 17:23










Konstantin Ames

Jedem Direktor seinen eigenen
Sender, RTEs Gleiwitz
heißt Rotterdam. RTE ist
natürlich keine Abkürzung für
Ratte und reimt sich so ziemlich
auf RT, es fehlt nicht mehr viel.

(Aus dem Leben eines Augenreims« 13.03.2017)

13. März 2017 13:24