Gerald Koll
10. Februar 2016, ein Mittwoch
Frau S. befiel während einer abendlichen Diskussion über das leidige Thema „Fleisch essen oder nicht“ eine mentale Übelkeit. Sie ging auf die Terrasse, ich hinterher, lockte sie auf das flache Dach: hinlegen, sterneschauen, weiteratmen.
Ich erzählte Frau S. meinen liebsten und meinen schlimmsten Traum, beide geträumt im Alter zwischen 20 und 30 Jahren: zum einen mein Heraustreten aus einem Hochhaus, dem Fahren mit dem Fahrrad auf hellem Kiesweg, dem Knirschen, dem Bretagne-Flair, dem Waldstück mit dem flachen Haus und den Liegen mit nackten Menschen mit Getränken und dem Ausruhen; und jener Traum aus wohl der gleichen Zeit: von unserer Familie in einer mexikanischen Gegend mit einsamer Kirche in windiger Steppe; mit der Schwester, die sich von der Portalspitze in die Tiefe stürzt und mit verrenkten gebrochenen Gliedern liegen bleibt, dann sich aufrappelt, wieder in die Kirche geht, wieder an der Spitze erscheint und sich wieder hinunterstürzt, immer wieder aufs Neue, so wie, so weit ich mich erinnere, auch die anderen Familienmitglieder. Das sind die bislang intensivsten Träume meines Lebens.
Dann Schlafen. Aber was für ein Geschlafe: ein Traum über das Haus von Helmut Schmidts Mutter (weder Haus noch Mutter sind mir bekannt). Man konnte sich diesem spitzgiebligen, grau-verputzten Häuschen auf einem schmalen Sandpfad nähern, der hinter dem Haus verlief. Man wusste, dass es Helmut Schmidts Mutter sei, die drinnen wohne. Keine erstklassige Gegend; vom Charme her eher Revensdorf. Ich wunderte mich sehr: Mitglieder der Schmidt-Familie, dachte ich im Traum, werden offenbar sehr alt, denn der verstorbene Helmut ist ja auch nicht mehr der jüngste gewesen – und die Mutter lebe also noch … so setzte ich den Spaziergang entlang der Zäune fort. Auslöser dieses Traums mag ein Foxterrier sein, der zu unserer Feriensiedlung gehört. Er heißt Loki.
10. Februar 2017 17:10
Konstantin Ames
eine ganz normale presseabteilungslyrik; wer wollte wirr redeln (vertere), wenn jeder vierte aufgab?
10. Februar 2017 12:35
Julia Trompeter
In Büsche huschende Buben
tuscheln Listen, husten in Schüben.
Wurschteln im Hüben, während im
Drüben dünne Cousinen was für
die Schnüffler zum Himmel lügen.
Künnten die Lümmel nur lüben,
die trüben Basen sich vergnügen.
10. Februar 2017 00:08
Mirko Bonné
Die Eltern selbst fanden ihr Totes
im nördlichen Weilerfeld,
keine Rufweite vor den Gehöften.
Man stellte die Füchse im Hohlweg
unweit der alten Sägemühle,
zwei Geschwister,
und erschlug sie sofort.
Die Kindseltern sind in die Großstadt,
in eine Doppelhaushälfte gezogen.
Eine Adresskarte kam.
Zwischen Haus und Carport
der schöne Brennholzstapel,
von dort sprangen sie in den Boden.
Kaum dass sie den Bau noch verließen.
Die Füchse waren eingerichtet.
*
8. Februar 2017 16:47
Gerald Koll
8. Februar 2016, ein Montag
O. ist ein glücklicher Mensch. In Berlin kannte ich ihn kaum, bevor wir uns anlässlich gemeinsamer Vorbereitung zum Schwarzgurt entschieden hatten, einander zu mögen. Jetzt besteht eine behauptete Freundschaft, die nie nötig hatte zu wachsen oder sich zu bewähren. O. lebt inzwischen auf Lanzarote. Ein Mensch, der sein Glück mit lächelnden Händen bäckt.
O. nimmt uns mit zu einer Wanderung zu Fünft am Kliff zu einer hochgelegenen Felsterrasse mit Behausung. Niemand war dort, aber O. weiß: Sie dient einem Späthippie zur Unterkunft. Die Wände sind vollgestellt mit farbig sortierten Flaschen und bemalten Steinen. Immer Meerblick, auch draußen vom grünlich verwucherten Steinbassin, gespeist von einer Bergquelle, deren Wasser über das Bassingesimse quillt. Dort ließe sich eine Episode lang leben, zusammen mit Meer, das heute der Wind fegt. Über die Dünung weht die Gischt.
8. Februar 2017 13:50
Hendrik Rost
Alles, was jetzt noch kommt,
ist Bonus. Das Wichtigste
im Leben habe ich erreicht:
bin geboren, nicht
verzweifelt. In Teams
bin ich verloren – meine Stärken
liegen im Betrachten
der freien Stellen.
8. Februar 2017 13:37
Gerald Koll
7. Februar 2016, ein Sonntag
Am Freitag gab es erste Spannungen anlässlich des von Frau S. initiierten „Besserwisser“-Spiels, dessen Regeln, obwohl den meisten neu, jeder zügig besser wusste als deroderdie andere. Zu Bette. Nach ergiebiger Versöhnung zu Zweien münzten wir die Zickerei zur Lernphase um und vereinbarten, künftig ansteigende Spannungskurven betablockend zu senken, indem wir dem anderen über einen geheimen Code signalisieren: ‚Achtung, hier beginnt die Lernphase.‘ Wir schuftenden Hoffnungsträger!
Gestern Abend folgte unser Quartett einer Einladung zu einem Dinner bei einem sehr gastfreundlichen deutschen Lanzarote-Auswanderer, der in unserer Bungalow-Siedlung wohnt: Dort trafen sich lauter deutsche Lanzarote-Auswanderer, die einander über ihre Lanzarote-Auswanderungs-Tristesse hinwegtrösteten. Mit Meerblick.
7. Februar 2017 10:42
Mirko Bonné
Terrasse. Die Nacht, der Tabak und
Sturm seit Tagen, wieso auch nicht.
Warum ist man traurig nach einem
Zahnarztbesuch? Fischreiherbesuch.
Ich rauche, du schläfst. Töchterlein.
Dennoch wahrlich vorbei die Trauer,
die troglodytische Zeit. Schlank bist
worden, du Freund mit dem Schnabel.
*
6. Februar 2017 21:43
Markus Stegmann
Schmaler Mund
aus leisen Linien
vor dem gasförmigen Kopf
steht eine Pupille
mittig davor
Blicklos blass
schaut sie mich an
aber sie sieht mich nicht
und ich erkenne
keine Person
Vor dem Körperkopf mit
schädelhaften Vertiefungen
schwebt einsam
die zentrale Pupille
als Zyklop
Zu: Francis Picabia, Untitled, 1946-47
6. Februar 2017 17:13
Gerald Koll
5. Februar 2016, ein Freitag
Nachdem die hilfsbereite Arztgehilfin eine Paste in meinen hohlen Zahn schmierte, strich sie den Rest (der Paste) in eine Plastikbüchse, gab mir Zahnarztbesteck (bitte zurückbringen) und riet mir, nach Lanzarote ein Spieglein mitzuführen – dann könne ich, wenn die provisorische Füllung herausfalle (was wahrscheinlich geschehe), selbst neue Paste in den Zahn stopfen. So bin ich jetzt auf Lanzarote mit Frau S. sowie dem befreundeten Zweitpaar A+L in einem Bungalow mit Spiegeln.
Heute Vormittag tollten Frau S. und ich willkömmlich zum Strand und in grandiose Wellen hinein. Umgehend schnurrten lustige kleine Fahrzeuge auf dicken Reifen am Ufer entlang. Zwei zornige Badewachtmeister pfiffen uns heraus und wiesen wechselnd auf sieben rote Flaggen, die, für jeden Badegast unübersehbar, eindeutig das Baden verböten. Wir dankten fröhlich und erfrischt. Frau S. erwies sich als famos.
Der erste Wander-Ausflug führte durch karge und farblich eintönige – nämlich blass-grün-sandige – Natur. Die Insel gibt sich sparsam. Da sind Kakteen zuhauf. Auch Terrassen auf vulkanschwarzem Geröll, aus dem bemitleidenswert schüchtern angebautes Grün winkt, und mehr ist da lange nicht, bis das Auge auf eine Schnecke fällt, die an einem Stengel klebt. Danach noch eine. Und immer mehr. Stengel voller Schnecken wie weiß kandierte Traubenlollis, eine wahre Schneckenpest.
5. Februar 2017 14:15