Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (161)

9. März 2016, ein Mittwoch

Erstmals seit langer Zeit ein wirklicher Frühlingstag. Am See gesessen und gelesen. Beim Spaziergang plänkelte es aus der Sonne mantrisch: „Nicht schlimm, alles nicht wirklich schlimm“. Dann schrieb ich Zweien, denen zu schreiben ich vor mir hergeschoben hatte in den Wochen der Bewölkung.

9. März 2017 09:19










Konstantin Ames

Sudelbuch und die Idee hinterm Moorhuhnhügel

„Danke““für““die““humorartigen““Lektüreeindrücke„“!““Möglich““wäre““auch““die““Übersetzung““Sudelbuch““für““Roughbook““:“Lichtenzwerg“,“Aufklägerei“,““diese““Kiste““;““sonst““legt““sich““noch““ein““Schmierantentum““-„“Schalter““bei““solchen““um““,““die““die““Referenzfläche““nicht““kennen““.““(„“Wobei““:““Die““sind““eh““verloren“.““)““Es““ist““immer““so““ein““Dilemma““von““wirklich““kreativen““Menschen““:““Sie““machen““das““,““was““sie““machen““,““locker““vom““Höcker““,““so““lecker““(„“Wessiwort““)““,““dass““Stutzer““,““Strizzi““,““Streber““glauben““,““sie““können““das““auch““,““die““dann““aber““nicht““mehr““viel““können““müssen““.““Nur““noch““draufhalten““.““Bäm““-„“Bäm““-„“Bäm““.““Zeilenumbrüche““bitte““selbst““einfügen““!“

8. März 2017 10:19










Andreas H. Drescher

Die . Fernwehorte . gehen . mir
aus . wie . untreue . Religionen
Pfützenmeere . sammeln .. sich
um . verspätete … Gelassenheit
die . die Kinder aus der .. Lehm
gischt . ins Haus ruft ins . Haus
Die … Feuerwehren …. strömen
fern . der . Keller .. in die Rohre
und selbst .. der Sand von Rititi
ist morgens . nicht mehr feucht
morgens nach ….. der Fahrt der
Leguane in den .. Motorschaden
Denn der Teufel ….. wohnt jetzt
unterm …… Rücksitz trennt das
Polster auf …. und zieht ihn ein

GEDREHT …… INS ….. STUMME

7. März 2017 22:10










Hendrik Rost

Bruch

Aus allem, was keiner sagte,
kann eine Strömung werden,
ein Luftzug, eine Weltreligion.
Immer noch rinnt das Wasser.
Ein Wort nur, und deine Seele
ist flüssig: Aus vorsokratischen
Fragmenten wurde zuerst Fluss,
dann Weltbild. Ein Quantum Blut
aufs Volumen des Lake Superior
reicht aus, schon erkennt ein Hai
dich als Beute. Besteig einen Berg
und sag – nichts. Der Blick reicht
bis nach Lesbos, und es pulsiert
das Wort noch, nach dem Gesetz,
wie es schon galt, als du schliefst,
allein. Ganz allein bei den Scherben
am Ufer. Bevor die Vase zerbrach.

7. März 2017 12:11










Nikolai Vogel

Amerika

Die Wolken sind so schnell,
keine Ahnung, wo sie hinmüssen,
nach Amerika vielleicht,
bevor dort alles verödet
noch mal Regen abwerfen,
Verschlossene ans Leben erinnern,
an Reisen mit neugierigen Augen
und die Errungenschaft, dass jeder Mensch
gleich sei vor dem Gesetz, weil es nur dann
keine Kriege geben muss, wenn man teilt,
bis jeder versorgt ist, und die Anstrengungen
darauf richtet, statt auf Zäune und Mauern
und das Wachstum der Wirtschaft.
Wenn wir die Wolken nicht ziehen lassen,
gibt es auch keinen blauen Himmel
oder nur noch stechende Sonne,
da Überschwemmung, dort Wüste,
die Welt will nicht nur rund sein, sie ist es.

Nikolai Vogel, 1. März 2017

6. März 2017 17:00










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (160)

6. März 2016, ein Sonntag

Die Barke durch die Riffe lotsen / die Ungeheuer mit Namen zu bannen …

… besuchten mich die Schwestern zum Geschwistertreffen: eine Familienaufstellung. Erst zusammen in Giselle und seine weltfremde Ballettakrobatik. Eine Ouvertüre für unseren pas de trois. In Potsdam sitzen wir am Samstag lange im „Drachencafé“. Wir reden über Andere, um verhohlen über uns zu reden. Wir tasten uns an uns heran. An unser Grauen. Meine Blicke grapschen einer Schwester heimlich ans Kinn. Dort hat sich erstmals ein Hautsack ausgestülpt. Sie versucht ihn zu kaschieren. Als sie vor meinem Computer sitzt, bricht erstmals seit dessen Anschaffung das Bildvorschau-Programm zusammen; als sie mein Auto steuert, funktioniert erstmals seit dessen Anschaffung die digitale Zahlenanzeige. Ob die Schwester ein spezielles elektromagnetisches Feld habe? Sie sei sich dessen sicher, sagt sie, und wir …

… lotsen die Barke durch Riffe / die Ungeheuer mit Namen zu bannen …

… besuchte ich am Abend mit Freund K. Wagners Rienzi. Philip Stölzl hat Regie geführt und Rienzi als Hitler-Mussolini-Groteske inszeniert, was sehr naheliegt, weil Rienzi für Hitler 1907 eine so wichtige Oper war. Ohne Rienzi kein Hitler. Ungeheuer, wie sehr mich diese Ästhetik in ihren Bann zieht. Allein die Tragik des todesnahen und schon verdammten Rienzi, der kindhaft-irre mit seinen Modellbauten spielt, ist für mich entzückend-liebreizend. Was waren das für verquere 1840er Jahre, in denen Giselle und Rienzi entstanden, diese mythensatten dunklen Stoffe für verzweifelte Idealisten und ihre vernebelte Todessehnsucht …

… und wir die Barke durch die Riffe lotsen / die Ungeheuer mit Namen zu bannen …

… besuchten die Schwestern und ich heute Morgen das Museum „Ministerium für Staatssicherheit“ in der Ruschestraße. Es gab sie also wirklich, die Aktenkoffer mit eingebauter Kalaschnikow! Und aufregend: einige Täter äußerten sich vor der Kamera ganz unbefangen über ihre Tätigkeit. Einer bekam richtig leuchtende Augen, als er vom „operativen Vorgehen“ sprach. Dazu rieb er mit dem Daumen seine Zeigefingerspitze – ein Mann mit Fingerspitzengefühl. Es sei da, geriet er ins Schwärmen, eine solche Abwechslung gewesen … tja, aber dann fehlten ihm doch die Worte, und so beließ er es beim: „Man muss dabei gewesen sein … es war faszinierend.“ Man muss dabei gewesen sein – der Mann hat Gespür für Pointen.

6. März 2017 09:18










Mirko Bonné

Ajgi,

ich weiß
dich und die
Schneewehen
überall dort in

Tschuwaschien.
Ajgi, ich weiß, du
bist gestorben, nur
was heißt das denn,

weiß ich dich doch da,
beim Schach im Park,
oder wie du schreibst:
Samoskworetschje.

Du weißt, entgegen-
kommend dir halte ich
ein Leben lang Ausschau
nach allem, ja nach allem.

*

6. März 2017 00:10










Markus Stegmann

Strand

Wie es da ist
wie es etwas weiter ist
wie es auf den Felsen ist
auf den rauen Oberflächen
in leicht erhöhter Lage
wie es weiter draussen ist
wie

5. März 2017 21:34










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (159)

3. März 2016, ein Donnerstag

Frühstück mit Meg. Lange nicht gesehen. Sie sprach von Vermissen. Ich nahm’s an wie einen Orden und dachte im Nachhausefahren „tss-tss“.

Ich bin mir so einer. Heute über sieben Folgen Weissensee, ein Weissensee-Marathon, um morgen damit durch zu sein. Morgen kommen die zwei Schwestern zu Besuch. Mit einer der beiden hatte ich gebrochen und mich mit ihr erst versöhnt, nachdem die Mutter aus Protestkummer mit broken-heart-syndrom beinah zerbrochen war. Ein Familienharmoniedemonstrationstermin.

3. März 2017 15:47










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (158)

2. März 2016, ein Mittwoch

Ein erster Tag nach vielen Tagen ohne Mamsell S. Sie scheint in meine Träume mit ihrem runden Gesicht, und ich vermisste im Traum ihre Hege kluger Liebe. Mich beruhigte das, nachdem ich Sorge hatte, sie im Teufelsstüblein meines Unterbewusstseins zur Stillung überfälliger Familienbildung zu missbrauchen.

Beim ukemi mit dem Sensei etabliere mich weiterhin als komische Nummer. Gestern erinnerte ich ihn, wie er dem knieend lauschenden Auditorium launig mitteilte, an „diese Männchen mit dem festgeschraubten Ellbogen“. Wie hellauf da die Aikidoka lachten und giggelten! Daheim erhöhter Süßigkeitenverbrauch.

Danach sah ich die komplette erste Staffel von „Weissensee“, denn ich bin Weissenseer. Ich knüppelte die Serie nieder, bis sie sich so schwer auf meine Träume legte, als hätte ich zu spät zu schwer gegessen. (Oder doch der Naschkram?)

In Berlin geht ein Virus um wie ein Mörder.

2. März 2017 13:26