Mirko Bonné

Ajgi,

ich weiß
dich und die
Schneewehen
überall dort in

Tschuwaschien.
Ajgi, ich weiß, du
bist gestorben, nur
was heißt das denn,

weiß ich dich doch da,
beim Schach im Park,
oder wie du schreibst:
Samoskworetschje.

Du weißt, entgegen-
kommend dir halte ich
ein Leben lang Ausschau
nach allem, ja nach allem.

*

6. März 2017 00:10










Markus Stegmann

Strand

Wie es da ist
wie es etwas weiter ist
wie es auf den Felsen ist
auf den rauen Oberflächen
in leicht erhöhter Lage
wie es weiter draussen ist
wie

5. März 2017 21:34










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (159)

3. März 2016, ein Donnerstag

Frühstück mit Meg. Lange nicht gesehen. Sie sprach von Vermissen. Ich nahm’s an wie einen Orden und dachte im Nachhausefahren „tss-tss“.

Ich bin mir so einer. Heute über sieben Folgen Weissensee, ein Weissensee-Marathon, um morgen damit durch zu sein. Morgen kommen die zwei Schwestern zu Besuch. Mit einer der beiden hatte ich gebrochen und mich mit ihr erst versöhnt, nachdem die Mutter aus Protestkummer mit broken-heart-syndrom beinah zerbrochen war. Ein Familienharmoniedemonstrationstermin.

3. März 2017 15:47










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (158)

2. März 2016, ein Mittwoch

Ein erster Tag nach vielen Tagen ohne Mamsell S. Sie scheint in meine Träume mit ihrem runden Gesicht, und ich vermisste im Traum ihre Hege kluger Liebe. Mich beruhigte das, nachdem ich Sorge hatte, sie im Teufelsstüblein meines Unterbewusstseins zur Stillung überfälliger Familienbildung zu missbrauchen.

Beim ukemi mit dem Sensei etabliere mich weiterhin als komische Nummer. Gestern erinnerte ich ihn, wie er dem knieend lauschenden Auditorium launig mitteilte, an „diese Männchen mit dem festgeschraubten Ellbogen“. Wie hellauf da die Aikidoka lachten und giggelten! Daheim erhöhter Süßigkeitenverbrauch.

Danach sah ich die komplette erste Staffel von „Weissensee“, denn ich bin Weissenseer. Ich knüppelte die Serie nieder, bis sie sich so schwer auf meine Träume legte, als hätte ich zu spät zu schwer gegessen. (Oder doch der Naschkram?)

In Berlin geht ein Virus um wie ein Mörder.

2. März 2017 13:26










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (157)

1. März 2016, ein Dienstag

Gestern Abend ein „rein theoretisches“ Gespräch über Ehe, in dem Frau S. ihre grundsätzliche Abneigung gegen so eine Institution und die damit verbundene Zeremonie äußerte. Dagegen meine Lust auf Zeremonie. Mein ärgster Hieb: eine kategorische Ablehnung von Heirat könne eine Art Reserve aktivieren, die bindungsabträglich sei. Das war etwas arg. Heute morgen ruderte Frau S. zurück: eine kategorische Ablehnung sei nicht vorhanden, sie sei für gute Argumente offen. Das klang nun wiederum wie ein unerfragtes „Ja“ und macht klar, dass dieses ganze Gespräch über Ehe zur völligen Unzeit stattfand.

Streit in der Sonnabend-Nacht – nach dem Doppelpaar-Konzertbesuch von Friedrich Liechtenstein (supergeil) und seinem Trio mit anschließendem Besuch einer Cocktail-Bar. Nun ergab es sich, dass dieser Ausflug misslich wurde, nachdem Frau S. erstens bei der nächtlich-kalten Suche nach einem Imbiss unbedingt den Imbiss wechseln musste (etwas kapriziös, aber warum nicht?), zweitens auf dem Konzert herumhackte (wieder warum nicht?) und mir drittens meine gewonnen geglaubte Wette über Liechtensteins Alter regeltechnisch streitig machte (warum? warum?) – und diese drei Blödheiten ließen uns nicht in Ruh, bis vier Uhr nachts, und da fragt man sich doch, warum. Wenn der Humor austrocknet, wird alles so spröde.

1. März 2017 14:38










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (156)

26. Februar 2016, ein Freitag

Heute leitete ich meine erste eigene Aikido-Stunde. Die Hälfte aller Schüler habe ich selbst mitgebracht: das war Frau S.

26. Februar 2017 13:37










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (155)

25. Februar 2016, ein Donnerstag

Bin wieder in Berlin. Etwas bedauerlich, dass ich das Ladegerät nach Lanzarote mitzunehmen vergaß, denn innerhalb der Doppelpaar-Dynamik ergaben sich immer wieder Vibrationen. Das Zweisamkeitsbedürfnis von Frau S. ist höher als meines. Das andere Paar, spürbar länger verpaart als wir, geriet in wunderliche Reizbarkeiten, angespornt durch unterschwellige Konkurrenz.

Lanzarote liebenswert zu finden, ist nicht schwer. Es hat Kliffe, Berge, Vulkane, Küsten, Grotten, eine Ortschaft namens Nazareth und viele Bewohner namens Jesus. Einer davon ist Aikido-Lehrer und betreibt ein sehr schönes und warmherziges Training.

Auf Lanzarote hat übrigens jemand anders mehr zu sagen als Jesús. Das ist César. Lanzarote steht fest im Bann des Lanzarote-Erfinders César Manrique. Um ihn wird ein seltsamer Kult betrieben. Seine obsolete 70er-Jahre-Kunst definiert das (künstlerische) Selbstverständnis der Insel. Manrique gilt als Vorreiter des naturverträglichen Tourismus, stak aber so tief in den 70ern, dass sein „Garten der Krebse“ heute irgendwie verhunzt wirkt. Ein echtes Scheißmuseum mit furchtbaren Räumen voller Diagramme und verblichenen Erklärungen. Hinwiederum apart: Kellner mit altmodischen Westen, womöglich vom Meister selbst geschneidert. Sie bedienen an Tischen mit monströsen Aschenbechern, die Generationen von Rauchern überleben werden. Fraglich, ob Lanzarote Manrique verträglich fand. Auch ohne ihn verfügt diese sehr wüste und verschüttete Insel über eine erfrischend robuste Natur: mondhafte Gesteinsfelder, pompöse Gischten, abenteuerliche Versandungen.

Peinlichkeit beim Bezahlen im Verwalterbüro. Die Vermieterin verlangte mehr, als unser Kontaktmann und Wahl-Lanzarotiner O. (auch er liebt übrigens einen Mann namens Jesus) gesagt hatte. Wir hatten also zuwenig dabei, nörgelten halbherzig, und man vertagte sich schmallippig auf den nächsten Tag, um die Nachzahlung zu leisten. Zu unserem Unglück kam aber unser Wahl-Lanzarotiner O. ins Gehege und wollte die Sache klären, schritt forsch aus unserem Bungalow ins Büro, schritt bald forsch aus dem Büro in unseren Bungalow und verkündete forsch, wir müssten tatsächlich nachzahlen. Zu dem unliebsamen Termin erbot sich Frau S., die ich aus einem unsinnigen Galanterie-Reflex heraus begleiten wollte, um als Adjutant meine Kavaliers-Pflicht zu erfüllen. So also betraten wir beide am Folgetag das Verwalterbüro, Frau S. flötete Entschuldigungen gegen die deutlich angepisste Vermieterin, die nun leider kein Wechselgeld hatte, sodass Frau S. zum Geldwechseln in den Supermarkt musste und mich, der ich als unsinniger Schattenmann hinter ihr gestanden hatte, als Geisel zurückließ. In dieser Wartezeit, bestimmt fünf Minuten lang, schwiegen die Vermieterin und ich, taten aber auch sonst nichts, sondern tasteten lediglich mit unseren Blicken die leeren Wände ab. Diese Zeit gehört zu den großen, ja: unvergesslichen Momenten der Verlegenheit.

Der Rückflug verlief ohne Erbrechen.

25. Februar 2017 18:30










Thorsten Krämer

Schrödingers Staubsauger

Wir machen es uns im Vakuum gemütlich und machen
das Vakuum kaputt dabei. Was bleibt, ist ein ausgestopftes Gerät.

Der Präparator, ein großer, hagerer Mann, nickt
mit der Autorität dessen, der den Tod unter rein
kosmetischen Aspekten betrachtet.
In seiner Hand: ein vielfach verknotetes Verlängerungskabel.
Das Oberlicht streut methodisch.

Für das bloße Auge nicht sichtbar, liegt in der hinteren
rechten Ecke der Erklärbär und schläft. Sein Schnarchen
ist schon von draußen zu hören. Es bringt alles zum
Vibrieren: den Boden, die Wände, den Staubsauger
und sogar den aufgeblähten Beutel in seinem Innern.

In diesem Experiment sind wir nicht die Betrachter.
Wir sind die Aufgesaugten, deren Zustand kritisch ist.

Der Präparator, ein kleiner, dicklicher Mann, legt
Nadel und Faden beiseite. Er kann sich nicht erinnern,
wann er zuletzt Ferien gemacht hat.
Auf dem Tisch: die Betriebsanleitung, ein vielfach über-
schriebener Stapel Altpapier.

*

gerlach en koop, Gebalgde stofzuiger (Stuffed Vacuum Cleaner), 2015

23. Februar 2017 14:07










Hendrik Rost

Beweisfoto

Schweden

Sieh genau hin: Eine Meinung wird gebrochen durch den, der sie hat,
und zeigt seine eigentliche Position.
Ich war von morgens bis mittags im Zimmer
der Sterbenden. Sie atmete nur noch aus.
Bin dann zum Essen gegangen. Es gab Huhn,
Rüben und eine Art Kartoffelbrei mit säuerlicher Soße.
Der Schokopudding hatte Altersflecken.
Als ich zurückkam, war sie gestorben. Eine Hand
lag auf der Brust.
Ich atmete ein, was von ihr noch im Raum war,
die Gardine wehte hinter ihr,
auf dem Regalbrett stand Lebenshilfe, unangerührt.
Meiner Meinung nach war ich hier und sie
war ein Körper. Beide waren wir allein.
Und ein Fasan scheucht uns durch den Staub.

21. Februar 2017 16:12










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (154)

17. Februar 2016, ein Mittwoch

Der Hochwald. Die Grottenwanderung. Die Krebse im Wasser. Der César Manrique.

Das Mirador El Rio. Die Aussicht. Der Timm Thaler. Das Essen. Die Verstimmung.

17. Februar 2017 14:07