Hans Thill

Schiller Karaoke

Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,

Sicherer Wein ist gut im doppelten Geschirr.
Also webt man am spöttischen Linnen mit
wässrigen Augen vor geronnenen
Gardinen, sieh alle die Wespen
von Lesbos, Spinnen.

Hier hinge die Sichel, dort weidet kein Aas.
Sicherer Weizen,

4. Mai 2025 10:29










Mirko Bonné

Mitin Badege

Als im Gewitterunlicht
halb Arles davonfloss,
da flüchtete ich mich
über die Place de la
République in die alte
Sankt-Annen-Kapelle.
Dort sah ich mir in den
durchblitzten Nischen
die Fotoausstellung an.

Ich sah sie lang an, alle
Gesichter aus Äthiopien,
Frauen, Männer, Kinder,
am längsten aber in dem
Gleißen ein Doppelprofil.
Vor der tiefen Schwärze
der Nacht trug Mitin ihren
kleinen Enkel Kalemwork
auf dem Rücken wohin?

*

3. Mai 2025 22:23










Hans Thill

Schiller-Karaoke 11

Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.

und der Keller soll leben! Hütet euch vor Hirten, euer
gesundeter Sonderbub. Klauen gestutzt, lüpfte
er gern den Schleier eines traurigen

Hebelwerks namens Klaus, um den
Herrn Kules zu wickeln, den
Knoten zu holen mit
einem Hieb.

26. April 2025 17:03










Mirko Bonné

Antoinette Flegenheim

Es ist mir unmöglich,
Ihnen mitzuteilen, wie
plötzlich das alles war,
wie unerwartet, erwiderte

die Titanic-Überlebende
Antoinette Flegenheimer,
die sich Flegenheim nannte,
als werde alles immer kürzer,

noch bis zuletzt auf Fragen
zu ihrem Leben und Alltag
nach der Tragödie 1912,
jedes einzelne Begebnis

sei wie ein Blitzeinschlag
an einem helllichten Tag
an der Bockenheimer Warte
oder in Tutbury, Staffordshire.

*

20. April 2025 00:27










Christian Lorenz Müller

DIE SIPPE DER ÄXTE ERKLÄRT SICH

Keilförmig und scharf wie wir sind,
sagt man uns ständig spaltende Tendenzen nach,
das Trennende, meint man, sei unser Metier.
Tiefer als der Mensch versteht uns das Feuer,
es ermuntert uns zu spanigen Kanten,
zu vielfach Gebrochenem, rauen Oberflächen
an denen es mühelos lecken kann.
Keine Flamme, die nicht voll warmer Wertschätzung
für uns ist, wenn sie Scheit um Scheit verzehrt.
Der Mensch allein hat längst vergessen,
wie er sich einst damit mühte,
Äste mit der Hand zu zerbrechen,
wie er in kalten Nächten davon träumte,
ganze Stämme zu Brennholz zu machen.

Dann erfand er unsere Ahnin, das Steinbeil.
Ach, wie ungern erzählte sie die Geschichte
mit dem ersten geteilten Schädel!
Nicht der frische Saft eines Baumes taufte sie,
sondern warmes Blut. Sie wollte wieder zurück
zwischen die Felsen, wollte nichts weiter sein als Geröll,
aber sie war in der Welt, sie hinterließ Verwüstungen,
wo immer der Mensch sie hintrug.

Wir geben zu, es erleichterte uns,
als das Schwert erfunden wurde, das Katapult,
das Gewehr, als die Raketen und Panzer kamen.
Nun überlässt man uns weitgehend wieder
unserer Freundschaft mit dem Feuer,
wir fahren auf Rundlinge nieder,
wir sorgen für alles Spanige, Schiefrige,
wir zerteilen, zerscheitern, was stämmig war,
wir machen die Muskeln des Menschen
müde und zufrieden, er geht dann zu Bett
ohne an seine Demütigungen zu denken,
an Rache, Vergeltung und dampfendes Blut.

15. April 2025 08:54










Mirko Bonné

Madame Tanguy

Die alte Amerikanerin,
die mich ansprach vor
dem Monoprix in Arles,
bat mich um ein pièce,

also gab ich ihr 2 Euro
und fragte sie, woher sie
kam, Drummond, lautete
ihre Antwort, Wisconsin.

Hinter uns, an dem Kreisel,
wo es vom Regionalbahnhof
zwischen zwei Wehrtürmen
hinauf zur Altstadt geht, stand

früher das gelbe Haus, in dem
1888 Vincent van Gogh lebte,
kurz auch mit Gauguin, bevor
der ihn zum Idioten erklärte.

Aber das Haus zerfiel, man
riss es ab und baute es nicht
wieder neu, alle Welt kennt ja
Vincents Zimmer darin, Bett,

Stuhl, Waschtisch, Fenster,
weil er alles malte, denn so
wurde für ihn alles lebendig.
So steht das gelbe Haus da,

wie sie einmal Pianistin war,
die Amerikanerin im grünen
Kleid, mit Silberblick, sie sei
beglückt von unserem kleinen

Gespräch. Nie stattgefunden
habe es, ihr Konzert in Arles.
Aber sie sei geblieben, denn
sie warte. Worauf, fragte ich,

und ob sie immer noch spiele.
Und ob, rief sie, ein Nachbar,
der habe manchmal ein Piano.
Danke Ihnen für den Moment.

Jeden Tag wanderte ich darauf
zu dem Monoprix, aber fand sie
nicht, den Silberblick, das Kleid,
erst in einem Van Gogh-Katalog,

und immer nachts träumte mir,
ich sehe ein Ohr schwimmen
in einem Fläschchen voller
gelbem Pinselterpertin.

*

11. April 2025 15:02










Christian Lorenz Müller

HELLEBORUS NIGER

Zu hunderten knien sie
zwischen gotisch-schlanken Säulen,
knien mit sittsam gesenktem Kopf
in der trüb verhangenen Fichtenkathedrale,
zart errötend unter ihren weißen Hauben
warten sie auf die priesterliche Sanftheit
einer Sonne, die hinter den Wolken west,
und doch griffeln sie nach allem,
was so früh schon hummelt, faltert,
sie entsenden einen ultravioletten Duft
und warten, geduldig knieend, über Wochen,
Monate, und wenn kein Flügel sie findet
entjungfern sie sich selbst, sie setzen
unter dem priesterlichen Auge der Sonne
ein matronenhaft dickes Grün an,
produzieren chlorophyllversessen
ihre kleinen schwarzen Früchte
und die Blätter verlappen, verledern,
Frühsommergewöhnlichkeit findet sich ein
in der fichtigen Kathedrale.

2. April 2025 10:10










Tihomir Popovic

hitze

auf dem igelhügel
halten wir inne
mit singenden gläsern
die mutterkatze
bei fuß

unter uns
die weiße stadt
spillerig
glattrasiert
schlagfertig

die segelbrücke
kehrt uns den rücken
unverrichteter dinge
sticht sie in see
kurs norden

31. März 2025 10:57










Björn Kiehne

Khar Road Mumbai

Fast Mittag,

es ist heiß.

Der Fan an der Decke

dreht sich über mir

wie das Samsara,

mischt Tabla-Schläge

in die Melodie der Straße:

Hupen,

aufheulende Motoren,

Bollywood-Songs,

die aus den Autoradios torkeln

wie Betrunkene –

Lieder,

wie rückwärts gesungen

bis zum ersten Ton,

und weiter

in die Stille

dahinter.

 

30. März 2025 09:30










Hans Thill

Schiller Karaoke

9
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,

Vor den Mauern der Stadt Manno staubt
mit Tangas aus Todtmoos das Aber
des Alters. Und allen nannte Étienne
das Muß eines Meters,

beständige Rheinluft! Sirrende Nerven
aus der Nähe mit gesungener Maladie,
Schmerzdokter schlecht ge
wappneter Mallarmé,

böse Luft Malaria aus dem Pontinischen
rübergeholt seit sie beim Aussteigen Kronos
gesichelt.

21. März 2025 14:06