Hans Thill

Schiller Karaoke

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Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,

Nix, Stirnband der Dido, freut den Knirps so vehement
wie einen Kunden der betörten Felstaube im Pelz,

wie ein stiller Afro käme sie als Knospe (mit Schürze)
und neben ihr der forsche Voodoo, selber
ein knappes Pflaster, dito, nein, ist
schon zuviel. Wunderknoten
sitz still!

18. November 2024 16:08










Tihomir Popovic

mutter

sie rauchte da noch
im rückspiegel

das auto schneller
als unsere flüsse

und ich denke an sie
hoch über der seestrasse

bei den chansons
mit marillengeschmack

dort wo die halden
wolken werden

12. November 2024 12:03










Mirko Bonné

Chesterfields

Scheuerbambler, original
Tabak-Blatt-Bündel, an den
Stielen, mit Draht, zusammen-
gebunden, wurde in Scheunen
zum Trocknen aufgehängt,
aus Ranstadt / Wetterau,
um 1946, guter Zustand.

Tabakschneidebänkchen,
Kurbelvorschub u. 20 cm
langes u. 4 cm breites
Wännchen aus Stahlblech,
8 cm hohe Alufüße, in deren
Flansch lagert die Vorschub-
spindel; Schneidehebel,
Alu, Messerklinge, Stahl,
gewerblich, um 47.

3 lose, filterlose Zigaretten,
Chesterfields, mit Logo,
etwaige Nachfertigungen,
Tabakschneider 1948,
Alu, zeittypische Merkmale
(rauer, löchriger / pickliger
Guss u. Handfeilmarken),
Kurbeln schiebt gepresste
Blätter automatisch vor u.
schneidet ab

Für Jürgen Becker (1932–2024)

*

10. November 2024 15:15










Hans Thill

Schiller Karaoke

4
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.

Hier haben wir die Schule der Gehenkten.
Gereift über Bäumen, auf Dächern, zum Glück
für die Strange-Fruit-Company,

und der Schall solls in die Schenke tragen,
Schellen sind dem Richter, wenn er
steinigt, sein Gerät. Schwillt der
Sturm hinterm Rücken einer
geselligen Getsehmaneh?
Nobel gestochen ist der
Reifen die Schale und
der Kern eine Welle nur
noch ohne Gelenk.

9. November 2024 13:18










Christian Lorenz Müller

ICH POSTE MICH FÜR IMMER OBEN

„Na also“, sagt sich dieses Gedicht,
„die Jury hat mich ausgewählt, ich wusste es ja,
ich bin besser, poetischer, großartiger,
ab jetzt werden sich alle anderen Texte
meine Verse freiwillig zwischen die Beine legen,
sie werden mich unablässig zitieren,
ausschließlich blonde Metaphern verwenden
und mich in den zweihebigen Jamben
eines Doppelwhoppers preisen,
ich bin republikanisch rot wie eine Cola-Dose,
ich bin das Salz der Erde,
das sich auf den French Fries wiederfindet,
ich allein beschreibe das Lebensgefühl derer,
die sich schon am frühen Morgen mit Fox News
einen Softdrink reinziehen und im Auto
an einem politischen Cholesterinspiegel kollabieren,
der im Obama-Care-Krankenhaus
nicht behandelt werden kann, ich allein
streiche die Fahnenmasten in den Gated Communities
in jungfräulichem Weiß, ich ziehe die Fahne auf,
bestirne, bestreife die Welt, ich verstaue
das Second Amendment in einem Futteral
für Schnellfeuerwaffen, Made in China,
ich allein erschaffe Sätze voll Fentanyl, Xylazin,
ich lasse die Gehirne abheben wie Elons Raketen,
ich bin das Gedicht der Gedichte,
ich bin der ultimative poetische Algorithmus,
ich bringe die Schreibkunst an ihr Ende,
auch hier, im Goldenen Fisch,
poste ich mich für immer oben,
hier ist keine Zeile, ist kein Wort mehr über mir,
nur noch ein Himmel aus Einsen und Nullen,
in dem meine Allmacht wohnt.“

7. November 2024 13:21










Christian Lorenz Müller

RASPUTIZA

Wann geht die Geduld der Erde
endlich zu Ende, wann schlammt sie sich
um die Reifen, wann lehmt sie
alle Panzerketten still,
wann zieht sie den stürmenden Soldaten
die Stiefel von den Füßen,
wann durchfeuchtet sie die Munition,
wann werden die Schützengräben
zu Grachten, auf denen der Traum
vom Frieden leise gleitet,
wann ockert die Erde all das vergossene Blut
ins Erinnern, ins Vergessen,
wann kleistert die Steppe
Drohnen, Flugzeuge fest an ihren Bauch,
wann verschlufft sie die Rohre der Artillerie,
die Läufe der Kalaschnikows,
wann saugt sie die Splitter, die Schrapnelle
so tief in sich hinein, dass keines Menschen nackter Fuß
sich daran ritzt im nächsten Sommer
wann

21. Oktober 2024 13:59










Björn Kiehne

Türkischer Tee

Ich setze mich zu den Männern ins Café,
die Sonne wärmt den Platz und mein Knie,
das noch vom Spaziergang schmerzt.
„Jetzt bin ich alt“, denke ich bei mir.

Eine Möwe fliegt über den See, nimmt meine
Gedanken mit zu Anand, der im Tropeninstitut
an einem Virus starb, das seine Leber aushöhlte,
bis sie nichts mehr war als ein nutzloser Schwamm;

zu Nyan-Soe, der daran starb, dass er liebte.
Die Lungenentzündung nahm ihm die Luft zum Atmen,
mein Geld für seine Behandlung bezahlte die
burmesische Bestattung mit Mönch und Feuerwerk;

zu Roberto, der TikTok mit Videos füllte.
Ein Weichteiltumor, nussgroß, streute die
hungrigen Kinder in seinem Körper; vor den
Augen der Familie fraßen sie ihn langsam auf.

Die Möwe kehrt zurück über den See.
„Alle, die ich liebe, werde ich verlieren“,
denke ich bei mir, blinzle in die Sonne,
nicke dem Tod zu und trinke meinen Tee.

15. Oktober 2024 23:31










Hans Thill

Schiller Karaoke

3
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,

Anderntags holt sich der Plutoniumhund wieder das Scherle
und schneidet aus Blech die Lyrik zum Fraß. Sternköter
faß! Stapelte Teller und Scheiben noch bis zur Sonn, da es
dunkelte, ein Migo läge im Schatten,
der Motor des Zu-sehr.

Überaus gelobtes Lügenbegehr, welche
Locke langte wohl an den satten
reinlichen Schächer
rechts von der
Leiter.

Nur erschossen ist bereits einmal erreicht.

12. Oktober 2024 14:37










Mirko Bonné

Migo

Hedva Harechavi
Migo

bringt meinen Migo wieder
bringt mein Heiliges wieder
bringt meinen Orakelstern meinen Augenstern wieder
bringt mein wunderschönes Ewigkind wieder
Indianerengel mein
Weltherr mein
bringt meine Nachtleben wieder
Nächtlein um Nächtlein mein
kriechen laufen rennen tanzen singen ganze Nacht meine
bringt meine Seele wieder
Kopfherzblutknochen mein
Hungerunddurst mein
Lichtundsiege mein
Haus mein
aus meinem Zimmer die Wärme mein

bringt wieder worüber ich nie gesprochen hab
den Moment
diesen einen
dort
wie dort
drei Uhr morgens
am Ufer eines gewaltigen Sees
und keinerlei Aufsicht auf Erden
und keinerlei Aufsicht im Himmel

und der Walfisch fragt: „Wie? Ist es wahr? Alle Ozeane
haben keine einzige Wand?“

Aus dem Hebräischen von Yevgeniy Breyger

*

7. Oktober 2024 17:34










Hans Thill

Schiller Karaoke

2
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.

Nix, härene Braut, reut uns am Stück, mal als Zeugen mal
wie echte Gäste als steigende Zier

und Bereitstellung eines Herrgotts aus Herne, zerzaust taucht
er auf aus eigenem Beton. Nie röhrt in der Früh die Bronchie
des Herrn Ernst, niemals wäre ein Brot schon geerntet,

ein Eisen schneller gerostet als gezeugt.

4. Oktober 2024 10:43