Andreas Louis Seyerlein

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1.08 UTC – Wie Menschen nun Handys nicht länger an ihre Ohren halten, sondern vor den Mund. Vielleicht auch deshalb, um gleichzeitig sprechen und lesen zu können, sprechen also und hören und noch etwas Weiteres tun. – Wieder Nacht. In einem Moment der Stille, in Gedanken zu Besuch in der befreiten Stadt Mariupol, beobachtete ich ein Bücherregal, das in meinem Arbeitszimmer steht. Ich meinte wieder einmal, ein Geräusch wahrgenommen zu haben; in etwa hörte sich das so an, als würde man ein Ohr an ein Bambusrohr legen, durch welches Kieselsteine fallen. Zunächst meldete sich das Geräusch links oben unter der Decke, wo sich Bücher befinden, die ich bisher nicht gelesen habe, wartende Bücher, sagen wir, Mahnende. Kurz darauf wanderte das Geräusch in die Mitte des Regals, Christoph Ransmayr klimperte, John Berger, Janet Frame, Antonio Tabucchi. Ich hatte für einige Minuten den Eindruck, das Geräusch oder seine Ursache könnte sich vervielfältigt haben. Wenn nun Folgendes geschehen wäre, dass sich die Bücher meines Regals in Funkbücher verwandelten, in Bücher, die nur vorgeben, Bücher von Papier zu sein, in Bücher also, die über Seiten verfügen, die eigentlich Bildschirme sind, die man umblättern kann. Dann wäre denkbar, dass ich jenes typische Geräusch vernommen habe, das in genau dem Moment entsteht, da der Autor eines Buches mittels Funkwellen eine erneuerte Fassung seines Werkes in die Zimmer der Welt entsendet. Ich muss darüber nachdenken, was die Möglichkeit oder die Existenz der Funkbücher bedeuten würde für das Schreiben, für das Aufhören können, für Anfang und Ende einer Geschichte. Und wenn nun Jean Pauls Komet in meinem Zimmer rascheln würde, oder Dantons Tod, Georg Büchner? – Noch zu tun: Regenwörter erfinden. – stop

 

 

Ich würde mich irren, 

sagte das Mädchen zu meiner

Übersetzerin in Tashkent. Sie

trage keinen Regenschirm,

vielmehr einen Sonnenschirm

mit sich.

 

> p a r t i c l e s

14. September 2024 18:06










Mirko Bonné

Testudo

Seit Juli vermisst: Schildkröte.
Der Zettel mit Zeichnung, gepinnt
an die nachtwarme Hauswand,
erzählt von ihr, aber nicht viel.
Man erfährt nicht, wie groß sie ist,
noch steht da etwa ihr Name – du
heißt womöglich genau wie sie.
Gleich, wie lang es sie schon gibt,
40 Jahre (dann hätte sie die Größe
eines Kindersoldatenhelms) oder
70 (mit einem verirrten Mähroboter
würde man sie verwechseln) oder
auch 120 (sie gliche dann einem
der friedfertigen Provencewarane) –
dein Alter bemisst du an ihrem.

Wilde Schildkröte, kriech weiter
durchs Hochsommerdunkel, setz
einen Fuß vor den anderen und sei
nicht die Ruine einer Orangenhälfte.
Die Trompete des Donners. Summen
müder Grillen. Oben in die Stille gekippt
Geglitzer in den Sternwipfeln. Oleander
ist ein schleppendes Feuer, ein Rosa,
so tief, dass der Tag darin ertrinkt.

Der Nachtduft atmet. Lauwarm ist er
wie die Hand des Mädchens, dem
sie gehört und dessen Pulsschlag sie
noch durch ihren Panzer gespürt hat.
Komm schon, flüsterte es, zeig mal
den Kopf. Manchmal spielt sie noch
Römische Formation. Oder sie fängt
aus der Luft ein Knisterblatt. Schon
bündelt sie alle Bewegung, jedes
glücklose Eilen, zu dieser Stille,
die sie ganz so enthält, wie sie
alle Schildkröten enthält. Außen
erlischt sie, innen kriecht sie weiter
hinaus aus dem Tod, und dir zeigt sie,
der hier sterben muss, das bist du.

*

9. September 2024 11:29










Thorsten Krämer

*

August 2

28. August 2024 11:20










Thorsten Krämer

*

August 1

13. August 2024 17:57










Björn Kiehne

An deinem Bett

Im Abendlicht,

das das Zimmer gelb,

und die Adern auf

deinen Armen blau wie

Flüsse leuchten lässt,

 

erinnere ich mich an dich:

du, umgeben von Rauch,

wie ein griechisches Orakel,

das Kartoffelpuffer macht,

 

wie du den Schiedsrichter

im Fernseher anschreist,

empört darüber, dass er

das Foul nicht sieht

 

und in deinem Sessel

mit langen Nadeln

bedeutungsvolle Muster

in meinen Pullover strickst.

 

Nun drückst du meine Hand,

legst die Fäden nieder,

verstrickst sie nicht,

lässt die Flüsse herzwärts

fließen und mich im Abendlicht.

 

11. August 2024 17:38










Christian Lorenz Müller

ANZENTAL (PASTORALER ABEND)

Spätes Licht flaumt über den Hügeln,
feines Unterkleid des Tages,
Dörfer brüten, schnabeln sich
mit ihren Kirchtürmen zu.
Hangabwärts gehend quere ich Gerupftes,
ein Stoppelfeld, gleich daneben flattert Mais
nervös in einem Windstoß,
setzt sich wieder zurück ins Dunkle,
und im aufgehackten Ei des Mondes
dottert ein Rest Geheimnis,
tropft ins Bachtal, wo die Erlen
sich schwarzfedrig sammeln zur Nacht.

1. August 2024 09:52










Thorsten Krämer

*

Doppelseite

28. Juli 2024 17:56










Thorsten Krämer

*

Jahrbuch

13. Juli 2024 09:36










Mirko Bonné

Unter Rosen

Plötzlich unter den Rosen,
Worte über meinesgleichen
auf den Lippen und meine
Ansichten von Rosen.

Spaliergeschöpfe ihr,
von April bis September
vertraut mit der Vorsicht
der blassen Postbotin,

ihr wehrhaften Blumen
in den Menschengärten
wendet das erloschene
Gesicht zur Sonne?

Laut euren Duftnoten
ist es etwas komplizierter.
Kein Absender, kein Datum,
und die Stempel verwischt.

Also bitte, liebe Rosen,
wo ist das Problem?
Ihr habt Dornen,
ich Zähne.

*

12. Juli 2024 12:25










Christian Lorenz Müller

WILDROSE

Monatelang struppt Gestachel,
in sich selbst Verwirrtes Wildbogiges,
einwärts Gekralltes,
das in einem trockenen Winkel dauert,
nur für den existiert
der mit dem Ärmel daran hängenbliebt,
kein Fluch ist scharf genug
für ihre Dornen, und dann
im Juni, verhundertfacht sie sich
von heute auf morgen,
schutzlos ungefülltes, duftleichtes Rot,
alle Blicke sind Bienen,
bestäubt von zwei Wochen Schönheit
die hagebutten vergeht.

2. Juli 2024 09:54