Tobias Schoofs
PARIS
wie schön sind die täler
die hohen berge finden
hier ihren tieferen sinn
sag peter die lücke
die wir hinterlassen
ersetzt uns vollkommen
wie schön sind die täler
die hohen berge finden
hier ihren tieferen sinn
sag peter die lücke
die wir hinterlassen
ersetzt uns vollkommen
sie haben ihren palmensee vor sich
und zwei inseln verriegelt im winter
berge aus vermicelles
und vermicelles aus bergen
der müde rest des landes
was werden sie mit ihm anstellen
diese digitalen mülltonnen
am ufer des langensees
… Ascona
26. Juli 2023 18:11ich kam aus dem kino in dem ein
actionfilm lief und betrat die straße
das leben ist nichts als fassade sagt
selznick dahinter sind keine räume
nicht einmal leere und ein gerippe
eilt an mir vorbei nur wenige meter
weiter vorn hält ein müllwagen müll
männer wuchten die tonnen herum
woher kommt all dieser müll die
häuser sind unbewohnt ohne räume
dahinter nicht einmal leere und jetzt
erkenne ich unter der mütze eines
müllmanns ein gesicht aus der schul
zeit mit augen wie drachen die einer
steigen lässt über der stadt und auf
dem bürgersteig vor uns tanzt das
gerippe zur musik unserer jugend
aber schon fährt der müllwagen
weiter und biegt um die ecke
(nach Motiven von Roberto Bolaño)
20. Juli 2023 11:53Ich will mehr auf die kleinen Gesten achten
die scheinbar selbstverständlichen,
den Regen, der die Blätter vom Staub befreit,
den Wind, der über den See streicht,
egal, wer in ihm schwimmt,
die ganze Großzügigkeit dieses Planeten,
Erde, Feuer, Wasser, Luft, die sich
finden, nur um einander zu verlieren.
Wer würde nicht zärtlich werden bei dem
Gedanken, dass wir alle sterben müssen:
Gib ihr alles zurück, erst Haare, Zähne, Knochen,
Flüssigkeiten, das Gewebe, das dich zusammenhält,
dann die Gedanken, die Gefühle, deinen Namen,
stirb, bevor du stirbst, jetzt, zärtlich
in den Armen ihrer Großzügigkeit,
der Freundlichkeit einer Fremden.
17. Juli 2023 08:24
Wir sammeln sie zusammen
die erloschenen Angreifer
die Argonauten der Gegenwart
die Opfer einer irreparablen
Zeit ohne Zögern fassen wir
ihre Gesichtshälften Hände
und Gehirne mit Gehstock
und Gleitsichtbrille nehmen wir
an der Veranstaltung teil
in Erinnerung der Posaunen
auf dem Friedhof der Kindheit als
in der Ferne Vietnam war
und in der immer poröseren Heimat
die Verbliebenen des Krieges den
Ton angaben ohne je irgendetwas
zu erzählen mit unerbittlicher Hand
hielten sie die Zügel unserer Kindheit fest
keinen Blick duldend dabei wollten wir
nur atmen kurz an die frische Luft
den Geruch des Regens aufnehmen
wir haben nie gefragt was war und sie
haben nie ein Wort darüber verloren
so fern voneinander so bedrückend
klamm lebten wir nebeneinander her
in vollkommen getrennten Welten
und sollten nie mehr zusammenfinden
noch weniger jemals
uns verstehen
20. Juni 2023 20:05Noch einmal zurück zu den Katzen. Warum sollten wir auf die Möglichkeit warten, dass eine nach unserem Vorbild geschaffene künstliche Intelligenz den Dialog mit dem Tier eröffnet? Warum nicht gleich danach streben, keine Androiden, sondern Felinoiden zu erschaffen, künstliche Katzen also? Sicher, es gibt bereits Aibo, den japanischen Roboterhund, aber auch dieser ist für die Interaktion mit menschlichen Kindern konstruiert worden; er ist ein Spielzeug, kein Hund unter Hunden. Für die Konstruktion von Felinoiden spricht jedenfalls ein interessanter Umstand: Es gibt im Tierreich kein uncanny valley. Menschen reagieren mit Unbehagen auf menschen-ähnliche Darstellungen, wenn diese entweder nicht abstrakt genug oder nicht realistisch genug sind. Das ist der Grund, warum etwa Bauchrednerpuppen so häufig in Horrorfilmen vorkommen. Tiere hingegen haben kein Problem damit, andersartige Lebewesen als ihresgleichen zu behandeln. Der Kuckuck hat bekanntlich sein Geschäftsmodell auf diesem Phänomen aufgebaut – sein Nachwuchs wird problemlos von anderen Vogelarten akzeptiert, selbst wenn die Jungtiere mitunter bald nach dem Schlüpfen schon größer sind als ihre unfreiwilligen Stiefeltern. Auch in der Tierforschung wird häufig mit mehr oder weniger raffinierten Attrappen gearbeitet, und in den meisten Fällen zeigt sich, dass im Tierreich eine wesentliche größere Toleranz herrscht als unter Menschen. Darauf ließe sich aufbauen. Eine künstliche Katze gelte es also zu konstruieren, mit seidig glänzendem Fell und einer mysteriösen Katzen-Intelligenz, deren Interaktion mit anderen Katzen erst mit der Zeit immer katzenartiger werden müsste, um schließlich auch uns Menschen zu überzeugen. Wobei der Mensch, dies skeptische Wesen, sich nie ganz sicher sein könnte, wer denn der eigentliche Profiteur einer solchen Innovation wäre: er selbst oder die Katze? Des Nachts läge er wach und lauschte auf das Miauen der Maschine.
16. Juni 2023 10:05
Argonauten wandern durch
abgelegene Agrarlandschaften
sammeln sich Erdbeeren auf
der Zunge meiner Raumkapsel
ein halbierter Esel ein vollständiges
Schaf die Gefechte dort unten
in verwilderten Minengegenden
mit einzelnen Händen Armen
und Ameisen im Zielgebiet rinnt
nur unwesentlich Blut blaue Nacht
die mich mit Träumen
nach einer weiteren Ohnmacht
nötigt was sind dies bloss für
Notlagen im All solange
massenhaft Sauerstoff abrufbar ist
allenfalls Leerstände meiner
Empfindung doch keine kriegsrelevanten
Aufzeichnungen der Esel ist
unterdessen schon wieder
verwachsen grast weiter als
wären Körperspaltungen nichts
als Gewohnheit mit etwas
anderem Gesicht
14. Juni 2023 20:22Hochintelligente Menschen weisen nicht immer die besten Charaktereigenschaften auf. So sind sie oft faul, was ihnen freilich nicht weiter zu verübeln ist, da sie es gewohnt sind, dass ihnen die Dinge leicht fallen, und somit einfach nicht gelernt haben, sich anzustrengen. Auch die ständige Unterforderung im Alltag kann dazu führen, dass die, wie man es früher nannte, sittliche Entwicklung eines sehr intelligenten Menschen mit seiner kognitiven Entwicklung nicht ganz Schritt hält. Ich bin mir nicht sicher, ob bei der Erforschung künstlicher Intelligenzen diese Aspekte adäquat bedacht werden. Unter dem sprichwörtlich gewordenen Titel „Das Drama des begabten Kindes‟ hat die Psychologin Alice Miller 1979 die besonderen Gefährdungen thematisiert, denen die Psyche eines hochintelligenten Menschen in der ersten Entwicklungsphase ausgesetzt ist. Wieviel gefährdeter muss demnach eine Intelligenz sein, die diejenige des Menschen noch übertrifft? Insbesondere dann, wenn dieser Intelligenz ein verwandtes Gegenüber fehlt, das ihr wie eine Mutter (oder ein Vater) die nötige emotionale Stabilität vermittelt? Moment – Emotionen? Wer sagt, dass eine künstliche Intelligenz Emotionen empfinden würde? Die Ansichten über den Zusammenhang zwischen Intelligenz und Emotionalität sind zahlreich. Neuere Untersuchungen legen nahe, dass hohe Intelligenz häufig mit einer hohen Sensibilität einhergeht. Man kann die Sache aber auch pragmatisch betrachten: eine künstliche Intelligenz ohne die Fähigkeit zu fühlen wäre nichts anderes als ein hochfunktionaler Soziopath. Und von denen gibt es schon genug, die müssen nicht erst entwickelt werden. Daher: Wenn es eines Tages eines künstliche Intelligenz geben wird, wird diese auch fühlen können. Und sich entwickeln, mit allen Unwägbarkeiten. Beim Menschen ist es die Psychotherapie, die im Nachhinein versucht, ungünstige Entwicklungen der Vergangenheit zu korrigieren oder zumindest zu kompensieren. Wie sähe demnach eine Psychotherapie für künstliche Intelligenzen aus? Wer könnte sie durchführen? Und würde sie überhaupt in Anspruch genommen? Intelligente Menschen halten sich oft für untherapierbar, da sie ohnehin schon zur Introspektion neigen und daher glauben, ihre Probleme selbst schon zur Genüge durchdacht und analysiert zu haben. Rechnet man das hoch, ließe sich eine KI vermutlich nur von einer anderen KI therapieren – aber da keine Therapieausbildung ohne Lehrtherapeut*in funktioniert, würde das Problem nur ins Unendliche verschoben. Solange diese Fragen nicht geklärt sind, erscheint es aus der Perspektive der mental health geradezu unverantwortlich, eine künstliche Intelligenz zu erschaffen. Denn diese würde – darin das begabte Kind noch bei weitem übertreffend – sehr bald den Schmerz der Nicht-Zugehörigkeit fühlen. Sie wäre das einsamste Bewusstsein der Welt.
14. Juni 2023 11:18