Christian Lorenz Müller
DIE SIPPE DER ÄXTE ERKLÄRT SICH
Keilförmig und scharf wie wir sind,
sagt man uns ständig spaltende Tendenzen nach,
das Trennende, meint man, sei unser Metier.
Tiefer als der Mensch versteht uns das Feuer,
es ermuntert uns zu spanigen Kanten,
zu vielfach Gebrochenem, rauen Oberflächen
an denen es mühelos lecken kann.
Keine Flamme, die nicht voll warmer Wertschätzung
für uns ist, wenn sie Scheit um Scheit verzehrt.
Der Mensch allein hat längst vergessen,
wie er sich einst damit mühte,
Äste mit der Hand zu zerbrechen,
wie er in kalten Nächten davon träumte,
ganze Stämme zu Brennholz zu machen.
Dann erfand er unsere Ahnin, das Steinbeil.
Ach, wie ungern erzählte sie die Geschichte
mit dem ersten geteilten Schädel!
Nicht der frische Saft eines Baumes taufte sie,
sondern warmes Blut. Sie wollte wieder zurück
zwischen die Felsen, wollte nichts weiter sein als Geröll,
aber sie war in der Welt, sie hinterließ Verwüstungen,
wo immer der Mensch sie hintrug.
Wir geben zu, es erleichterte uns,
als das Schwert erfunden wurde, das Katapult,
das Gewehr, als die Raketen und Panzer kamen.
Nun überlässt man uns weitgehend wieder
unserer Freundschaft mit dem Feuer,
wir fahren auf Rundlinge nieder,
wir sorgen für alles Spanige, Schiefrige,
wir zerteilen, zerscheitern, was stämmig war,
wir machen die Muskeln des Menschen
müde und zufrieden, er geht dann zu Bett
ohne an seine Demütigungen zu denken,
an Rache, Vergeltung und dampfendes Blut.