Björn Kiehne
Über Schneefelder geht der Wind,
Stille breitet sich aus,
das Heu wartet auf das Kind,
Kerzen leuchten uns nach Haus.
Der Himmel zündet Lichter,
friedlich ruht der See,
über müde Gesichter
streichelt der kalte Schnee.
Ein Engel kommt herbei,
spricht zu deiner Angst,
daß nur soviel Hoffnung sei,
wie du hoffen kannst.
11. Dezember 2010 15:11
Thorsten Krämer
IX.
die Drohgebärden einer Abreise
die Regenwald vernichtende Rechnung
dein im Dunkeln leuchtender Kuli
ansonsten ein Zug, der nicht hält
das Schweigen einer Privatisierung
ein Pfeil, dessen Spitze relativiert
dein angeborener grüner Pullover
eine unbeworbene Matinee
ansonsten ein leichtes Kaliber
die Grundlegung einer Geheimsprache
deine interaktive Tasse
11. Dezember 2010 14:29
Mirko Bonné
2
Sitzt den ganzen Tag lang
still auf dem klebrigen
unsichtbaren Balkon,
zitternd mit dem Wind,
während nichts passiert
außer Blechschlangen.
Nachts, Knacken der Bäume,
seilt sie sich ab, trinkt
vom grauen Gras.
Tausendbeiniges Nieseln,
droben Gottes Augen,
der die Fliege nicht liebt.
*
9. Dezember 2010 10:54
Andreas H. Drescher
Das achte Zeitalter streicht sich schon als Genesung ein. Ein Seufzen legt sich sich selbst als Lippen nahe. Das polyphone Knistern hinter diesen Lippen, wie es die Kindern mögen. Brausepulver, hibiskusfarben, mit lindem Lindengeschmack. Jetzt stellt das alle Kirchenuhren vor. Um schneller groß zu werden. Und steigt dann musikalisch in die Wetterhähne ein. Denn Umschwünge weichen und weichen, bis auch in diesem Klingen die Tonlosigkeit erreicht ist, die Lehm-Losigkeit. Jetzt.
7. Dezember 2010 16:08
Hans Thill
DAS NÄCHSTE DORF hatte ein Sektierer seinen Katzen vermacht. Kinder saßen in den Binsen, jedes so ein Stück Fell in der Hand. Die Stengel auf den Feldern waren zerbissen, aus dem Kirchenportal hörte man Streichmusik. Es war wie in alten Bildergeschichten (Epinal): die Früchte stapelten sich bei den Stallungen am Ausgang. Hatten die Frauen an Spielgeld gerochen? Waren die Männer auf Motoren unterwegs?
7. Dezember 2010 11:12
Gerald Koll
07:09
Siebenuhrneun
wendet sich ein Austernfischer ab.
Siebenuhrneun
steht an der Stirn der Mole ein Leuchtturm
Siebenuhrneun
verrutschen Kiesel, huschen Kaninchen, hängt ein Kasten wie gewohnt, doch
genau jetzt
steht
da
die Sonne
siebenuhrzwölf
zieht sie die Wolkendecke wieder über
siebenuhrzweiundzwanzig
saugt sie am Rosa, glüht und gähnt
siebenuhrsiebenundzwanzig
vertagt sie noch einmal den Dienstantritt
siebenuhreinundreißig
erfolgt, geschieht, ereignet sich der dritte gloriose Auftritt: DIE SONNE
gießt Rubingold in die Wellen: irgendwie sehr peinlich.
Die Lotseninsel wendet sich zum Tagewerk.
Nun gute Nacht, ihr nachtaktiven Mücken
in eurem Heckenrosenparadies.
Der Handwerker ist auf dem Weg zum Schuppen: „Moin!“
(Gedichtzyklus in acht Uhrzeiten entstanden auf der Lotseninsel Schleimünde vom 23. auf den 24. September 2010, als bei Vollmond der Sommer in den Herbst überging)
Mit Dank an Inga Banse und Jörg Grabo
6. Dezember 2010 01:17
Gerald Koll
06:34
Blau erfüllt wie jeden Tag
seinen Farbauftrag.
Schwarze Galloways auf gelbem Grund
stehen stiller als ein Kahn am Abend,
wenn Windhauchpinsel Flanken streichen.
Sechsuhrneunundvierzig: Da verliert ein Rind,
als sein Kopf zur Erde sinkt,
das Spiel, wer sich zuerst bewegt.
Starenwolken wabern, Möwenmeuten
nehmen Stege in Beschlag, ignorieren
einen grauen Vogel, Cutaway mit Buckel.
Er gehört nicht zur Familie.
Er ist ich, gehört zu mir
Wir sind uns fremd
Das Stillleben sind wir.
(Gedichtzyklus in acht Uhrzeiten entstanden auf der Lotseninsel Schleimünde vom 23. auf den 24. September 2010, als bei Vollmond der Sommer in den Herbst überging)
6. Dezember 2010 01:13
Gerald Koll
05:47
Ein Hauch von Rouge, ein rosa Band,
zu früh, es ist noch eine Stunde hin
zum offiziellen Aufgang,
doch das da, dieses Rosa da – –
obszönes Rokoko auf jadegrünem Dekolleté – –
der Mond zieht sich entsetzt zurück.
(Gedichtzyklus in acht Uhrzeiten entstanden auf der Lotseninsel Schleimünde vom 23. auf den 24. September 2010, als bei Vollmond der Sommer in den Herbst überging)
6. Dezember 2010 01:11
Gerald Koll
04:30
Bollro lag hier,
Agos und Fründ, Slimöv, Wombat, Jecca.
Gekerbtes Verzeichnis der Angeketteten.
Auch Schröder. Sogar Möwe.
Durchs Rauschen ein einsamer Schrei –
kläglich
Die Nacht nimmt Witterung auf.
Ein Stein wärmt meine Hand.
Nässe beißt in Bauch und Darm.
Sörnsen!
Sörnsen.
Gedichtzyklus in acht Uhrzeiten entstanden auf der Lotseninsel Schleimünde vom 23. auf den 24. September 2010, als bei Vollmond der Sommer in den Herbst überging)(
6. Dezember 2010 01:08
Gerald Koll
02:30
Blickt man vom anerkannten Seefahrtszeichen
auf das altbekannte, blinzelt drüben glühend rot
ein vertikaler Augenschlitz: ein Drache? Schreie.
Doch nähert man sich langsam, ändert sich die Lage.
Auf der Mole knirschen unter Sohlen leer gelutschte Leichenreste:
Die Knochengasse führt zum Monsterclown.
Mantel weiß, schwarzer Kragen, das Gesicht geweißt.
Zwei gekreuzte Stäbchenaugen, gelb der Nasenknopf
Lichter bilden einen Kranz um seine Mützenkrempe.
Amputierter Lotse.
Ausgelacht
von fressenden Geschwadern.
(Gedichtzyklus in acht Uhrzeiten entstanden auf der Lotseninsel Schleimünde vom 23. auf den 24. September 2010, als bei Vollmond der Sommer in den Herbst überging)
6. Dezember 2010 01:02