Christian Lorenz Müller

DREI APHORISMEN FÜR EHEPAARE

Nicht „in guten wie in schlechten Zeiten“
sollte es heißen, sondern „bei guter
wie bei schlechter Laune“.

Im Hafen der Ehe liegen nicht nur
Kreuzfahrtschiffe, sondern auch
Handels- und Kriegsschiffe vor Anker.

In jeder Ehehölle leben zwei Teufel,
die gleichzeitig zwei gequälte Seelen sind.

13. Januar 2018 12:42










Christian Lorenz Müller

ADE, DU SÜSSES SCHREIBEN! (Neujahrsvorsätze in Haiku)

– Bilder, Metaphern
reduzieren. Maximal
zwei, drei pro Gedicht.

– Und keinen melan-
cholischen Qualm mehr, keine
tränenden Augen.

– Dafür Bewegung.
Der Nadaismus* sei mein
neuer Fitnesstrend.

Ade, du süßes
Schreiben! Nun gilt das schlanke,
gesunde Gedicht.

*www.nadaproductions.at/img/pdfs/das%20BMN.pdf

2. Januar 2018 12:57










Christian Lorenz Müller

BLUMEN FÜR 2018

Blumensträuße aus Licht,
ein Bouquet aus weißen Explosionen.
Rot aufzuckende Rosen,
das gelbe Knallen
unzähliger Narzissen.

Hunderte von Gläsern werden befüllt,
Vasen, fassen sie vielleicht
den Augenblick.

Alles welkt binnen Sekunden.
Die verwesende Süße verschütteten Alkohls,
der schmutzig getrampelte Schnee.

Am Morgen überall
die dürr gewordenen Stängel der Raketen,
zu Scherben zerfallenes Grün
das ein Betrunkener durchknirscht.

1. Januar 2018 13:04










Christian Lorenz Müller

GOLDEN GLEITET DAS CHRISTKIND

Rote Kerzen, rotes Gekugel,
Glühweintassen schmelzen Blut
in die Eiszapfen-Finger.
Der Flügelschlag eines Schneeschauers
verkündigt das Eintreffen
einer weiteren Kaltfront.
Kinder hüten Schafe im Streichelzoo,
Touristen aus dem Morgenland
folgen dem Leuchten
ihres digitalen Sterns.
Weihrauch wölkt von den Mündern,
golden gleitet das Christkind
gleiten die Münzen
von einer Tasche in die andere.

Am Ausgang kniet einer nieder
und übergibt sich,
gleich neben einer Roma-Frau.
Ein paar Münzen klimpern
auf das zerknitterte Bild
von Mann und kleinem Kind
in ihrer Bettelschale.

Weiße Plastiktüten
voller Weihnachtszauber
werden zum Parkplatz getragen.

21. Dezember 2017 11:32










Christian Lorenz Müller

REPEATING VOCABULARY: TO TRUMP

to trump – Trumpf spielen, auftrumpfen
to come up trump – etwas auf die Reihe bringen
to trump up – erfinden
to trump somebody – jemanden ausstechen
to trump something up – übertreiben; etwas vorgeben, das nicht der Wahrheit entspricht

7. Dezember 2017 12:38










Christian Lorenz Müller

UND WENN DU HINAUSGEHST

Langsam verlanden die Farben,
das Jahr zieht sich zurück.
Schlickiger Nebel,
Tage ohne festen Grund.
Hie und da nur
zappelt ein Sonnenstrahl
in einer Pfütze.
Irgendwo, ganz fern,
das Rauschen der Stadt.

Du wohnst in einem
kantigen Leuchtturm
mit blinder Linse.
Wenn du hinausgehst
muscheln Silben im Laub.

7. November 2017 18:39










Christian Lorenz Müller

LAUB (JANWAGNERISMUS IN HAIKU)

Das rote Schwänzeln
des wilden Weins. Ein Windstoß
und er verschwindet.

Keine Radfahrer,
Scheren blitzen. So lassen
die Hecken ihr Laub.

Nur für Sekunden
ein gelber Wind im Park. Die
Ahornfarbe: Kahl.

Als Zigaretten-
glut steht die Buche. Noch ein
Lungenzug Herbstluft.

Die Kehrmaschine
quirlt die Blätter. Wie schön doch
die Farben schäumen.

Das frisch gespülte
Glas der Luft. Lippenstiftrot
leuchten die Blätter.

19. Oktober 2017 10:10










Christian Lorenz Müller

DREI SPRÜCHE FÜR DICHTER

Jeder Dichter ist seines eigenen Glückes Schmied,
aber ganz besonders der, der sich nicht scheut,
jederzeit zum Hammer zu greifen.

Ein Dichter sprach gerne über „abgehalfterte Kollegen“.
Er selbst tat nichts lieber, als sich ordentlich
ins Geschirr zu legen.

Am Anfang war das Wort, und das Wort war beim Dichter;
am Ende stand ein Werk, es war für Germanisten.

9. Oktober 2017 09:15










Christian Lorenz Müller

MÖGLICHE DEFINITIONEN DER POESIE

Die Schaukel im Park
als Pendel einer Standuhr
deren Zifferblatt niemand vermisst.

Der Augenblick, in dem die Fahnen
sich zu Spiegeln verwandeln
und das Gesicht des Windes zeigen.

Die Kreissäge, die ein Wochenende lang
am Ausleger eines Baukrans hängt
wo sie die Wolken teilt.

Das Licht, das in Scherben geht
wenn ein Glas zu Boden fällt.

28. September 2017 10:39










Christian Lorenz Müller

PEINLICHERWEISE POETISCH VERGRÖSSERT

Dieses Gedicht hat große Angst
erwischt zu werden: In seiner Tasche
versteckt es ein Regentonnen-Teleskop,
das es in der Nacht
gern zum Himmel richtet.
Genau, es geht dem Gedicht um die Sterne,
die in der stets frisch geschliffenen
Wasserlinse zu sehen sind,
peinlicherweise bis zum Tausendfachen
poetisch vergrößert.

„Das ist Eskapismus, ausgerechnet in Richtung All“,
flüstert verschämt das Gedicht.
Es weiß um den Wasserstoff,
weiß, dass seine Metaphern
spätestens in zwei Milliarden Jahren
komplett verglühen werden,
und doch zieht es Nacht für Nacht
heimlich das Regentonnen-Teleskop hervor
und schaut und schaut
bis Wind aufkommt
der die Linse trübt.

12. September 2017 10:06