Christian Lorenz Müller

HÄNGEMATTE AM MEER

Deine Hängematte: Natürlicher Bindebogen
zwischen zwei Aleppokiefern.
Seit Stunden das Konzert der Zikaden
und das Applausrauschen der Brandung.
Du trägst deine Bräune
wie einen gut geschnittenen Frack.
Immer wieder verneige ich mich
vor deinem Nabel,
vor dieser vollendet gespielten ganzen Note.
Das Salz in deinem Haar
ist das Kolophonium
das mich singen lässt.

Sforzatisches Blau bis zum Abend,
bis der Applaus verebbt,
die Hängematte
von den Bäumen genommen wird.

31. Juli 2018 13:35










Christian Lorenz Müller

ZUM TOD VON OLEG JURJEW

Gott atmete aus – und Nebel glitt über den Spiegel Land
radial ausbreitend sein graues Silber …
Die glatten Schatten begannen den Rand
rund zu umfließen, die eigenen Spuren tilgend.
Schatten tauscht Schatten, Nebel blättert um: Nebel.
Ein schwaches Grün sog in sich die Gegend.
Schon taute die letzte Schicht.
Sein Antlitz kam auf der Scheibe in Sicht.

… Ein Spiegelchen ja der Poet am Mund einer kranken Welt …

Aus: „In zwei Spiegeln“. Gedichte, 1984 – 2011.
Übersetzung aus dem Russischen: Elke Erb

9. Juli 2018 13:58










Christian Lorenz Müller

SONNWENDFEUER (HITZE IN HAIKU)

Die Funkenschwärme:
Mücken stechen ins Auge,
dann sterben sie schwarz.

Hell leuchtet der Keil,
er spaltet die Finsternis
zu klaffendem Holz.

Dichte Rauchwolken
quellen zum Himmel, nieseln
die Asche herab.

Knacken und Prasseln,
akustischer Funkenflug
der wieder verlöscht.

Am Ende stiere
Blicke vom Alkohol. Die
Glutaugen starren.

25. Juni 2018 10:12










Christian Lorenz Müller

ISRAELISCHES TERZETT

Tel Aviv

Tel Aviv, du baust dir deine Klippen
aus Stahl und aus Glas,
dein Autoverkehr brandet bis in den Sabbat
und immer kreisen die Möwen, die Maschinen
über Ben Gurion.
Tel Aviv, deine Falafel
sind Muscheln voll knuspriger Perlen,
deine Palmen schwimmen,
grüne Quallenschwärme, im Wind.
Tel Aviv, deine Wellen
tragen gläubige Surfer
zu einem Gott aus Endorphin,
deine Jugend liegt als öliger Tang
im warmen Sand
und immer verblaust du die Tage.

Frühling im Negev

Grüne Pfützen in der Wüste,
grünes Glucksen in den Wadis,
Gesprudel rings um ein Kibbuz.
Schafe schwimmen im Gras,
ein watendes Kamel.
Die Baracken der Beduinen
treiben durch den Tag.

An den Bushaltestellen
warten Ausflügler, keine Soldaten.
Halbautomatische Gewehre
haben sich in Paddel verwandelt.

Das pralle Schlauchbootblau
des Himmels
und eine junge Frau
die ihr Haar wie ein Handtuch
über die Schulter wirft.

Westliche Mauer

Die heiße Stirn
an der kühlen Vollkommenheit
des Steins: So hoch ist Gott,
so unbezwingbar hoch,
er kennt keine Tür,
öffnet sich, wenn du
mit deinen Küssen anklopfst,
wird weit, wenn du
die Ritzen, die Spalten
mit bekritzeltem Papier verfugst,
mit deiner weißen Sehnsucht.

Deine Seele, Charedi,
ist ein Mauersegler,
immer streicht sie
die große Wand entlang.

22. Juni 2018 10:11










Christian Lorenz Müller

JUNGE FRAU AUF BLAUEM FAHRRAD

Watet durchs Wasser:
Mit Stiefeln aus Haut, hinauf
bis über die Knie.

6. Juni 2018 09:13










Christian Lorenz Müller

URNE

Henkellose Kaffeetasse mit Deckel,
Trauer-to-go
an einem ganz gewöhnlichen Nachmittag.
Schwarz, aber nicht zu stark,
drei Stücke süßlicher Musik,
ein paar milchige Sätze.

Zwanzig Minuten Pause
von der Unsterblichkeit,
aber nur ein vorsichtiges Nippen
und beim Hinausgehen die Frage
Wohin damit? Die Antwort
liefert ein Aufkleber: Bio,
zu hundert Prozent kompostierbar.

14. Februar 2018 13:42










Christian Lorenz Müller

WEISS (WINTER IN HAIKU)

Wenn weiß sich an weiß
verschwendet, wenn die Stille
dich flockig umtanzt.

Wenn deinen Schieren
ein Fell wächst, wenn du lautlos
durch die Wälder schnürst.

Wenn du talwärts stiebst,
wenn du die Lawine bist,
die sich selbst verschont.

Wenn du gehst und gehst
und das Tal vergisst, wenn du
weißer wirst als weiß.

12. Februar 2018 09:01










Christian Lorenz Müller

BOTSCHAFT DER ALIENS AUS ALPHA CENTAURI AN MUSK:

Schießt lieber eure Idioten zum Mond
als eure Autos ins All.

7. Februar 2018 12:47










Christian Lorenz Müller

DREI APHORISMEN FÜR EHEPAARE

Nicht „in guten wie in schlechten Zeiten“
sollte es heißen, sondern „bei guter
wie bei schlechter Laune“.

Im Hafen der Ehe liegen nicht nur
Kreuzfahrtschiffe, sondern auch
Handels- und Kriegsschiffe vor Anker.

In jeder Ehehölle leben zwei Teufel,
die gleichzeitig zwei gequälte Seelen sind.

13. Januar 2018 12:42










Christian Lorenz Müller

ADE, DU SÜSSES SCHREIBEN! (Neujahrsvorsätze in Haiku)

– Bilder, Metaphern
reduzieren. Maximal
zwei, drei pro Gedicht.

– Und keinen melan-
cholischen Qualm mehr, keine
tränenden Augen.

– Dafür Bewegung.
Der Nadaismus* sei mein
neuer Fitnesstrend.

Ade, du süßes
Schreiben! Nun gilt das schlanke,
gesunde Gedicht.

*www.nadaproductions.at/img/pdfs/das%20BMN.pdf

2. Januar 2018 12:57