Mirko Bonné

Pferd

Durch den Abend getrabt
als mein eigenes Pferd.
Lief am Fluss entlang,
ging auf die Suche
nach dir und fand dich
nirgends als in Gedanken.
Und zwischen Bäumen, da
standen überall Kinder,
die riefen: Pferd!
Pferd! Wir sind
die Schatten
der Wildgänse.

*

9. März 2015 22:12










Mirko Bonné

Symi

Überall der Müll des Sommers,
auf jeder Böschung eine Plastikpracht.
Weggeschmissen, plattgetreten, liegen-
gelassen und vergessen die Verpackungen
von mal Dagewesenem, nur nie Zurück-
gekehrtem, Flaschen in allen Farben,
rostzerfressene Dosen, verwaschen eine
Tasche oder zerrissen ein Koffer. Seit Jahren
am Straßenrand abgestellte Autos, Wracks, halb
ausgeschlachtet, halb verfallen, eingekackt, verölt,
beschmiert. Du gehst in die Hocke, als dir auf dem
Asphalt etwas Helles ins Auge fällt, und blickst ein
Götterpüppchen an, das nur einen halben Kopf und
keinen Körper mehr hat, dafür aber auf den Lippen
Aphrodites Lächeln. Im vertrockneten Gras liegen
in Schichten übereinander die Überreste dessen,
was nicht hineinzustopfen war in die Felsspalten
und Nischen der Mauern und der Wände aus
wieder und wieder, wieder und wieder
verbauten Brocken. In Bäumen
gekappte Leitungen, Kabelgezweig.
Am Strand eine Zahnbürstenflut, Schaum
aus Verschlüssen und Deckeln, Kappen
und Stiften, Senkeln, Knöpfen
und verblassten, blinden
Stofftieraugen.
Auf dem griechischen Eiland Symi
nur ein paar Seemeilen vor der türkischen
Küste steht in der Oberstadt des Fischerhafens
ein Haus, dessen Dach, Zimmerwände und Fußböden
wurden von einem das aufgegebene Gemäuer
nach und nach einnehmenden Baum gesprengt.
Die schöne, tief dunkelgrüne Feige wächst wild auf
Unrat und Müll, der zu den Fensterlöchern hinein-
geworfen wird – wie in einen Schacht, in dem
Verfallenmüssen und Leere zusammenfinden
und Zeit und Tod vergehen vor lauter Leben.

*

15. Februar 2015 23:33










Mirko Bonné

Ja, der Schnee

Ja, in schwarzer Nacht
hat es endlos geschneit!
Und am Morgen da kam
schön wie du ein Licht.

Ja, golden leuchteten
als Sterne alle nackten
Wipfel drüben zwischen
Flussufer und Fenster!

Ja, der Schnee überall!
Ist aus dem Himmel, ist
eine Zusammenzeit, ja
ist das weiße Wunder.

*

2. Februar 2015 22:55










Mirko Bonné

Den Wolken

Bei scharfen Böen,
zwölf frühere Herzogtümer
im Innern des Festlands,
duftet der Schulbus,
wenn er in den Ort taucht,
immer noch nach Meer.
Die in dem Wind tanzende
Wäsche ähnelt Leuten,
die einen Zirkus eröffnen wollen
für das junge Jahrhundert,
in dem alles Zirkus ist,
und die Gänse in den Gattern
spreizen die Schwingen,
schnattern: O blauer Raum
früh morgens über den Dächern!
Da hineinzusteigen schwebt ihnen vor
in der Wölbung unter dem Gefieder
zwischen den schmalen Augen,
kein Anfall, bloß ein Anflug,
Tagträumen vergleichbar,
und jeder kennt sie, die Unruhe,
die ihre Schnäbel dabei schmecken
und zu tun haben muss mit Zitterpappeln,
Rauschen und Rasseln, mit trabendem
Gras und den wilden Muttertieren.
Den weißen Wolken.

*

21. Januar 2015 14:24










Mirko Bonné

Reise der drei Waisen

this was all folly
T. S. Eliot

Waisen nannten sich die Drei, die mich mitnahmen.
„Hereinspaziert bei den Waisen vom Gutenmorgenland!“
Sie führten sich auf wie gerade noch davongekommen.

Alle Wege waren aufgeweicht, „echter Softie, das Wetter“,
meinte das Mädchen, das der Alte bloß Bunny nannte.

Sein Kollege saß vorn, im Mantel eines Katalanen,
dessen Leichnam jetzt in einer Benzinlache liege,
irgendwo in einer Kranwagenhalle. Der Stoff stank,
besonders nachts, wenn sie die Heizung aufdrehten.

Sie waren Blender, und nichts gehörte ihnen außer
dem Zeug, das sie am Körper trugen, und dem, was
sie grölten und ihnen allen die Langeweile vertrieb.

„An was sich erinnern“, fragte der Alte mal, „alles
ist ein Film. Rückwärts läuft nichts.“ Nein, besser,
in einem schrottreifen Toyota auf Schleichwegen
und hinein in Ortschaften fahren, wo der Trübsinn
an einem fraß wie Ruß am schmelzenden Schnee.

Bunny kreischte was, das aber niemand verstand.
Sie sprang raus und steckte vor einer Videothek
den Pappbond in Brand. Von dem Grünstreifen
zwischen zwei Parkbuchten flogen Spatzen auf,
als sie da tanzte, während ich fassungslos zusah.

Der Alte stieß die Fahrertür auf, stieg aus und
trat den verkohlten Kinohelden wortlos zusammen.

Ich fing an zu brüllen wie sie, aber dozierte dabei
noch immer von „Passage zurück in die Geburt“,
schon lachte mich der ganze Klub still. Wir fuhren
durch leergefegte Nester in die Berge hinauf, feucht,
duftend nach Grün, knapp unterhalb der Schneegrenze.

Auf der Suche nach einer Tankstelle mischten die Drei
die Käffer der Katzeneigentümer auf und beschlossen
– oberste Regel: Sonnenbaden ist für Untote tabu –,
tagsüber zu schlafen, in der Nähe von Wasser, und,
süß singende Stimmen im Ohr, nur nachts zu fahren.

„Ihre Haut ist so blass wie Gottes einzige Taube, Liebe,
wie eine schreiende Blume, Liebe, die stirbt jede Stunde.“

Sie sangen. Doch was sie sagten, hatte keine Bedeutung,
ihr Ziel war vielleicht eine Huldigung, wohl kaum aber
die des göttlichen Kindes, eher die der Leere in ihnen.
War der Tank voll, „wie der Mond“, dann ging es weiter.

Kurz nach dem Festfressen der Kolben, kurz nachdem wir
den Hafen erreichten und im Schatten, den ein Frachter
durch das Nachmittagslicht auf die Mole warf, anhielten,
fiel dem Alten hinterm Lenkrad plötzlich das Haus ein.

Für das Mädchen und Mantelmann war die Reise aus,
als sie Betten witterten. Das Land, endlich in Reichweite.

Ein Klepper leckte den Regen vom Zaun. Ich sah Vögel
auf kahlen Bäumen den Harsch von der Rinde hacken.

Als hätten wir die Wahl, schnitten wir uns Teller zurecht
und hörten wieder zu reden auf. Im Tausch mit den Bauern
gingen Schals weg, eine Posaune, und der Alte holte Lexika,
Tassen und Fotoalben aus dem Kofferraum, während Bunny
im Schneeanzug mittags am Campingtisch Nudeln kochte.

Sie kam in mein Bett und flüsterte, sie tue freiwillig alles,
wenn ich ihr meine Lederjacke gäbe. Ich gab sie ihr so,
sie rannte runter, und ich hörte den Anlasser heulen.

Als ich wieder aufwachte, war es still. Das Licht stand
im Klappfenster. Im Garten des Nachbarhofs waren
Blumen, die aussahen, als fotografierten sie das Gras.

Geborenwerden und Sterben sind manchmal dasselbe.
Ich wünschte mich nicht länger zurück. Ich lebte wieder.
Leben war mehr als Warten. Und so vergaß ich das Kind,
vergaß die drei Waisen und zuletzt das Gutenmorgenland.

*

6. Januar 2015 20:12










Mirko Bonné

Lima

Die Überschwemmung von Passau,
da sie unabwendbar ist, was bringt sie
auf dem Weltklimagipfel, was trägt
sie ein? Schneller als die Alpen-
gletscher schmelzen, werden Dürren
in Australien, kalifornische Buschbrände,
Bangladeshs Überflutungen und der Untergang
des Inselreiches Tuvalu verschachert
und zu Profitmasse. Klimawandel,
Klimahandel. Ein grüner Himmel
steht über Lima am Abschlusstag
der Konferenz, so leuchtet das Meer,
und Wolken aus Staren durchrauschen
den Hafen Ancon, bei deren Anblick einer
wie Auden dächte, ein jeder sollte gleichgültig
wen lieben, oder wir alle sterben, was allerdings
Auden etwas drastisch erschien, weshalb er schrieb:
Lieben müssen wir einander und dann sterben.

Für Uli Schreiber

*

15. Dezember 2014 12:04










Mirko Bonné

Die Nandus in Törpt

Sie wissen, alles Ferne hat Augen.
Stumm folgen ihnen große Wagen, und
da sind immer Hunde in den Schatten, die
hinter Hagebuttenhecken flach im Gras liegen
und nach Sterben und roten Tränen riechen.
Sie sind Muldenvögel, lieben Laubkrater,
sind schlehenbeerenversessen, einer
auf einem Bein ist gleich Baum.

Nachts weite Pampa. Träume, blau.
Keiner wird je vergessen, was war, nur
die dreizehn Alten, die an dem Tag
durch den Zaun brachen, runter
zum Ufer rannten und hinüber
über die Wakenitz kamen,
sehen das Leuchten nicht mehr,
das ihnen da hell vor Augen stand.

Die Nandus sammeln im Maiswald
Beiträge zur Geschichte der Freude,
ein unerklärlich langsames Schreiten.
Goldene Sterne funkeln den Jüngeren
in den Augen, die im Dunkeln in Törpt
an die Maurine laufen zum Saufen
und erschöpft zitternd ausruhen
unter zwei verrosteten Tankwagen.

Sie rupfen sich Gras, das Nachtgras
im Knickschatten, und sie wärmen
einander, beinahe hundert, auch
wenn keiner von ihnen noch ein Bild
für den Nanduweg weiß, namenloses
freies Hinfliegen knapp über dem Laub,
hinter der Stirn nur die Wärme der Liebe
zum Rennen durchs dunkelgrüne Licht.

Für Tom Schulz

*

22. November 2014 23:58










Mirko Bonné

In Abwesenheit

Einer, der allein über ein Feld geht, weiß,
solang in der Luft der Schnee liegen bleibt,
gibt es die Schwarzpappeln dort, er meint,
im Innern genauso zu schneien und dass
es daher auch Innenpappeln gibt, immerzu,
in jedem Moment ab jetzt ist er vorbereitet.
Und genauso weiß auch ich mit einem Mal:
Pappelreihe! Das ist ein Ufer aus Bäumen,
und weiß auf einmal auch: mein Notizbuch!
Das sind Momente wie Jacken im Schrank,
im fremden Mundwinkel ein Funkeln, oder
jemand im Bus, der ihn in eine Geschichte
davonfährt. Während die Eisblumen blühen
an den Fenstern und immer was in Händen
zu halten ist, nimmt das Aufhören ein Ende.
Es schneit, als wartete der Morgen darauf,
nach einer so endlos erscheinenden Nacht
das Verlorengegangene sich wiederzuholen.
Schnee ist das, was ich nicht anhalten kann,
so als wäre jeder hier, auch in Abwesenheit.

*

5. November 2014 18:14










Mirko Bonné

Alter Landweg bei Bergedorf

In Schlaglöchern gefunden:
Löffel von einem Pommerntreck.
Ich kann das Vergessen erkunden
in lauter schlammigem Dreck,

und die Scherben aus klarem Glas
sind Kristalle, die ich in Taschen trage.
Betrunkene warfen Flaschen ins Gras,
Birnenbrand erster Nachkriegstage.

Der Schädel am Weg ist nicht so alt.
Da sind von vorsichtigen Tieren Fährten.
Wird es Ende Mai über Nacht wieder kalt,
suchen sich Füchse die wilden Gärten.

*

27. September 2014 11:43










Mirko Bonné

Elizabeth Street

Es ist schwer, wenn die Abschiede beginnen,
denn alles sagt es, Verschwindenmüssen,
Wiederkehr möglich, doch nie mehr so.
Darum dräng ihn zurück, den nächtlichen
Himmel, in den du hineinfliegen wirst. Geh,
zwischen herbstlichen Wohntürmen, und
in Gedanken nimm die Tram zur Bucht.
Red dir ruhig ein, dass es gut war, besser,
du sagst dir, es ist gut. Behalt keinen Kiesel.
Du vergisst bloß, wo er mal lag, auf dem Dach
eines dunklen Hotels, die Nacht, wie sie roch,
und im Regen die Ufer der Elizabeth Street.
Es wird Zeit. Bye bye pride! Es ist gut.
Nimm sie mit – jetzt ist es soweit –,
das große Licht, die Freundlichkeit.

*

5. Juni 2014 10:40