Thorsten Krämer

Dieses Gedicht hat den Zug zur Buchmesse
verpasst. Nun steht es auf dem Bahnsteig und hat
Kaugummi unterm Schuh. Erdbeergeschmack.

19. Oktober 2016 13:06










Thorsten Krämer

Sobald dieses Gedicht zu husten anfängt, fliegen
vor meinem Fenster die Tauben auf. Sie fliegen
mit einer nüchternen Eleganz, die den Hustenreiz

des Gedichtes noch verstärkt. Sein trockener Hals
erodiert zu einer Wüste, in der Krankheitskeime
die einzigen Überlebenden sind. Ein bisschen wehleidig

ist es schon, dieses Gedicht, was den Tauben so was
von egal ist.

7. September 2016 07:48










Thorsten Krämer

Dieses Gedicht hat schon vor mehr als vierzehn
Monaten aufgehört, an seiner Bikini-Figur zu arbeiten.
Genau in dem Moment, in dem es diesen Entschluss

gefasst hat, hatte es seine Bikini-Figur. Es ist eben
die Figur, die man hier sieht; eine andere Figur hat
dieses Gedicht nur noch in deiner Vorstellung.

31. August 2016 10:25










Thorsten Krämer

Marxloh

Im Museum der Ungleichzeitigkeit
verschwindet die Gegenwart
hinter nikotingelben Vorhängen.

Zum Frühstück frischer O-Saft
aus der Tüte, ein Familienbetrieb
in letzter Generation.

Auf der Straße: Brautmoden
und Trainingshosen, ein Dresscode
zwischen zwei bis drei Kontinenten.

Wann immer jemand No-Go-Area
sagt, stirbt hier ein Kettenraucher.
Im Schatten parkt ein Kombi.

25. Juli 2016 20:08










Thorsten Krämer

Ein Sommerabend:
das Aufflattern der Motten
aus dem Biomüll.

13. Juli 2016 11:11










Thorsten Krämer

Anzugkunde

I.
Du musst die Beine schütteln, dreimal
auf jeder Seite. Dann gehst du einen Schritt
in handgenähten Schuhen und einen in Sandalen.

In der Hocke streckst du abwechselnd die Arme.

Du zählst bis sieben und dann leerst du deine
Lunge, zählst bis siebzehn und stehst auf. Die Luft
in dieser Höhe nutzt du für den nächsten Schritt.

Im Liegen ballst du ausdauernd die Fäuste.

II.
Warum überhaupt Maßnahmen? Das ist eine
Verkäuferfrage, und sie führt hier nicht weiter. Im
Gegensatz zu Marktforschungen besteht die Anzugkunde
nicht aus Weinerlichkeiten, im Gegensatz zu Straßenkötern

liegt kein Ausweg. Was immer überschätzt wird: der Stoff.
Auch über Geld gibt es an dieser Stelle nichts zu sagen.

Das angepasste Leben wirft die Falten mit Verachtung.
Die Verachtung ist ein ausgefranstes Schulterpolster.
Das Schulterpolster trägt der Herr bevorzugt am Revers.
Das Revers schlägt um bei jedem Windstoß, wenn der Herr

nicht aufpasst. Der Anzug führt sein unverschämtes Eigenleben.
Er ist das Tier auf deiner Haut. Du musst die Beine schütteln.

26. Juni 2016 14:00










Thorsten Krämer

Kiosk kann nicht aktualisieren

Die Fehlermeldungen meines Handys
lehren mich
die Grenzen der Empathie.

22. April 2016 15:25










Thorsten Krämer

Harmattan

Mit dem Wind verschieben sich die
Maßstäbe: deine Hand, schmetterlingsgroß,
auf der Rückscheibe.
                         Der Staub
hat die Farbe der Ziegel, frisch gebrannt
stehen sie in der Sonne.
                             Das Haus
des Ministers, drei Straßen weiter, gleicht
einer Ruine.
              Deine Haut, die sich löst, wo sie
den Motor berührt hat – der Fahrer schmierte
Benzin darüber.
                   Sagte ich Straßen? Es gibt
hier keine Straßen, nur die Leere zwischen
zwei Behauptungen.

6. Februar 2016 11:56










Thorsten Krämer

Dans la rue de l’iPhone 6

Zwischen Stoff und Stoffen reihen sich
die bühnenreifen Freundlichkeiten: ein Spalier
von Schnäppchen, versierte Angebote
in der Lingua franca. In gerader

Linie reicht die Tradition zurück und
in die Zukunft: Kann keine Ausgangssperre
sein, die unterbräche diese Handelskette
aus dem Handgelenk. Die Grenzenlosigkeit

des Trottoirs, der Größenwahn der Achsen:
ein Seitenblick; ein Lächeln, das vorüberzieht.

5. Januar 2016 20:58










Thorsten Krämer

Ockhams Rasierpinsel

Ein einfaches Gedicht ist
auch das hier nicht geworden.

(für Tobias Schoofs)

26. August 2015 11:57