Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (107)

1. Dezember 2015, ein Dienstag

Herrliches Tenchi-nage-randori mit Jascha, Heiko, Julian, und ich würde allzu gern das Rätsel entschlüsseln, wie Jascha seinen Schub so hinter die Hand bekommt, dass er so leicht fliegen kann. Sensei unterwies mich beim Schwert, „aus dem Geist der Stille heraus“ zu schneiden. Und mir schien, dass dieser Hinweis einen neuen Weg wiese, heraus aus dem Ampeln der Technik ins freie Feld des wirklichen Aikido.

Um 21:45 Uhr ins Kino, in The Assassin von Hou Hsiao-Hsien. Verstanden habe ich so gut wie nichts von diesem Mittelalter-Martial Arts. Schon während der ersten monotonen Dialog-Passage war ich eingeschlafen. Ich erwachte in Gemälden aus Nebeln, meditiativen Gobelins. Das genügte mir.

1. Dezember 2016 11:25










Nikolai Vogel

Große ungeordnete Aufzählung (Detail)

Weltflucht,

1. Dezember 2016 00:05










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (106)

30. November 2015, ein Montag

Eigentlich ist noch Sonntag, es ist kurz nach Mitternacht, nun ja, 00:45 Uhr, und ich komme aus dem Adventswochenende im norddeutschen Elternhaus. Es ist offenkundig, dass die Familie kein Zufluchtsort mehr ist. Mich ereilen dort mehr Panikattacken als anderswo. Fragt mich die Schwester, was ich derzeit arbeite (mit Betonung auf „arbeite“), flüchte ich schwitzend ins Wohnzimmer mit der für alle erkennbaren Ausrede, dort die Digitalisierung der Märchenplatten besorgen zu müssen. Vom Prinzregenten bin ich zum Patienten geworden, behütet von Mitleid und anderen Formen der Herablassung, und so ist die Familie ein Kampfgebiet geworden, in dem jedes Mal unter Aufbietung aller Kräfte und Duldung neuer Verluste ein Waffenstillstand verteidigt werden muss.

In diesem Alter noch Aufwallungen gegen den Vater, wer hätte das gedacht? Widerstände gegen Rechthaberei, Herausrederei, Angeberei … und wahrscheinlich deshalb, weil ich diese Tendenzen an mir selbst sehe. Könnte sie ihm als Gen-Erbe anlasten, gäb’s dafür nicht eine Ohrfeige der Existenzialisten. Tröstlich wiederum: Während wir drei Geschwister doch einige Neurosen aufzuweisen haben, ist die nachfolgende Generation erstaunlich cool und chillig geraten.

Kein Wunder, dass ich in die Anden reise. Ein neuer Fluchtpunkt desjenigen, der den Statthaltern der widrigen Zufluchtsstätte demonstriert, dass er gar nicht weit genug, hoch genug, riskant genug reisen kann, um seine Zuflucht in der Flucht zu suchen.

Zeitig zurück nach Berlin, um es in den kolumbianischen Film Embrace of the Serpent zu schaffen: über zwei Forscher im Amazonas-Urwald. Deutlich beeinflusst von Werner Herzog. Schönes Schwarzweiß. In den Passagen satirischer Darstellung christlicher Kolonisierung unangenehm theatralisch. Aber schön in den Bildern, in denen die Natur übermannt und die Regie übernimmt über das Geschehen (blöder Ausdruck). Ich schlief zwischendurch, vielleicht sickerten die Bilder durch die schläfrigen Lider noch besser ein. Zumindest fuhr ich heim mit dem mulmigen Gefühl, demnächst selbst in diese grünen Raubtierhölle, diesen menschenwehrenden Wahnsinn zu reisen.

30. November 2016 13:00










Konstantin Ames

du, der beste mittelmäßige kopf mensch al forno

du, der plural dieser stadt pinkfarbenen gestanks (erst
ist das zweite, dann war das erste …,« hätte A
zum – zu wem auch immer – zum
B zum beispiel beim souper gesagt haben
können, ernsthaft) du einziges saartier ohne fanschal
bedarfst zweier dinge: der haftbeschichteten pfanne
unter dir, des morgensterschen monds in dir
dieser dinge nur dieser
tage du, ach was sag ich Ich, feuhernde kühe.

A = Adorno
B = Luhmann

(das sag haben« 18.10.2013)

30. November 2016 12:47










Nikolai Vogel

Große ungeordnete Aufzählung (Detail)

Waren aus aller Welt,

29. November 2016 21:54










Nikolai Vogel

Große ungeordnete Aufzählung (Detail)

Überseecontainer,

28. November 2016 21:38










Markus Stegmann

im wald

warum
bin ich
ich

bin ich
ich
nicht mehr

27. November 2016 22:58










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (105)

27. November 2015, ein Freitag

Nicht, dass ich nicht schlief heute Nacht. Nur eben, dass mich morgens das Gefühl überlief, schon sehr lange wach zu liegen in Gedanken. Trübem Gedenke an das Glühweintreffen mit den gewesenen und künftigen Nachbarn, an die zwanghaften Halbscherze, die soziales Miteinander vorgaukeln. Bilder wie Stricke, die sich morgens, wenn ich nicht aufpasse, im Kopf winden und verknoten, es sei denn, dass ich sofort loslasse, das Denken einstelle und damit den Schmerz lindere.

27. November 2016 08:46










Nikolai Vogel

Große ungeordnete Aufzählung (Detail)

die Unlust unter der Eisenbahnbrücke durchzugehen, wenn ein Zug darüber rollt,

26. November 2016 19:11










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (104)

26. November 2015, ein Donnerstag

Vormittags hat der Klempner einen neuen Spülkasten installiert. Schön, einen Mann bei sich zu haben, der seinen Beruf liebt. Nicht, dass er sang. Er schnaufte durchaus, und ich hörte ihn, während ich im Arbeitszimmer am Schreibtisch saß, des öfteren schnaufen. Doch dann rief er mich und demonstrierte den Erfolg. Er drückte die Spülung. Sie lief. Er horchte an der Kachelverschalung, um zu hören, wie das Wasser den Spülkasten füllte. „Los, komm schon“, raunzte der Liebende leise, und alles vollzog sich nach seinem Willen.

Glühweintreffen auf dem Weihnachtsmarkt der Kulturbrauerei mit der Hausgruppe der Nichtsehrvielgeliebten. Dort wird verkündet, dass mein Hauptmieter tatsächlich gekündigt hat und ich nun dessen Stelle übernehmen könne. Na hoppla! Und siehe: freudig erregtes Hyperventilieren seitens der in tristen Zeiten lieber in Deckung befindlichen Nachbarinnen. Pfui, denke ich und spendiere Glühwein, spendiere um so lieber, als das dauernde Pendeln zwischen Runde und Glühweinstand mich von der Runde fernhält. Zügiges Verabschieden zum Aikido, leicht angesäuselt auf die Matte.

26. November 2016 09:32