Tobias Schoofs

DER ALTE VOM RESTELO

die bombe am restelo gestern
ausrufezeichen gegen gezeiten

die ebbe heute trägt die flotte
fort und morgen bringt die flut
antwort bekenner war der alte

der ungehört blieb im gedräng
niedergeritten vom eifer der eil
fertigen & schallwellenbrecher

der knall der bombe in der luft
verebbt gemächlich im gehör

23. Oktober 2016 19:55










Christine Kappe

ZUR BUCHMESSE 2016

Der weißrussische Stand war der kleinste
Und verlassen
Jemand kam vom Nachbarstand und passte auf
Aber erst, als alles geplündert war
Wir kamen zu spät
hätten wir das gewusst, hätten wir die Bücher natürlich geklaut
weil sie so gut waren und uns wirklich etwas bedeuteten
Dieben konnten sie doch gar nicht so viel bedeuten, was sollte der Unsinn

Weil unsere Mikrophone auf derselben Frequenz funkten, wie irgendein anderer Veranstalter
hörten wir mitten in der Lesung, an der spannendsten Stelle, eine Mikrophonprobe
„Hallo Hallo, Test Test!“ als Erics Opa starb, rief er sozusagen aus dem Jenseits
das war irre, zumal er im Laufe der Geschichte immer jünger wurde

Auch am iranischen Stand nebenan gings zur Sache
eine Gruppe demonstrierte gegen die Todesstrafe
wir verstanden kein Wort, auch von unserer eigenen Lesung
sie wurden sanft abgeführt
Alle versuchten noch, die Plakate zu lesen
Wir versuchten noch, ohne Mikro, so eine Art Jahrmarktsgebet… Ich bin, trotz aller Umstände, total ruhig geworden, weil ich merkte
das ist total wichtig jetzt, was wir hier zusammentragen
Wir hatten so das Dreieck: Zweiter WK – Securitate – Träume

K. hatte einen unglaublich sympathischen Akzent
Ich glaube, wenn wir es schaffen, diese räumlichen, zeitlichen und sprachlichen Distanzen Differenzen zu überwinden verbinden
und das ganze non profit, ohne dabei vor die Hunde zu gehen

23. Oktober 2016 08:58










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (85)

20. Oktober 2015, ein Dienstag

Tage des Umzugs. Es wurde mit der Krankheit tatsächlich immer schlimmer, am schlimmsten war der Sonnabend, der Umzugstag, ich war geradezu zerlöchert von der nasskalten Pestluft in der Sredzkistraße.

Freitag Baumarkt und IKEA, Arbeitsplatten rüber, Regale abschrauben, Reste verstauen. Sonnabend zu zehnt schleppen, laden, schleppen, schwach bei Stimme, aber innerlich froh, weil es keinen Regen und kaum Bruch gab. Zehn Uhr abends Einzugsfeier: ein Bad in der Wanne. Mal was anderes als die rumpelnde Dusche in der Sredzki-Küche. Ein Bad wie damals, als Kind: etwas zu heißes Wasser, kleiner Schmerz mit Prickelreiz. Dann im Liegen sanft den Hintern heben und auf den Moment lauern, wenn die Penisspitze die Oberfläche des Wassers durchstößt.

Sonntag: wie ein 25-Watt-Patient durch die Wohnung geschlurft, um nach Essbarem Ausschau zu halten: Raider (klein), Weingummi (zu wenig) … Schon besser am Montag: D. hilft bei Licht, Regalen und Zimmermannsdingen. Hilft auch heute. Werde wohnlich. Heilfroh, der TBC-Bude entronnen zu sein.

20. Oktober 2016 10:55










Thorsten Krämer

Dieses Gedicht hat den Zug zur Buchmesse
verpasst. Nun steht es auf dem Bahnsteig und hat
Kaugummi unterm Schuh. Erdbeergeschmack.

19. Oktober 2016 13:06










Christian Lorenz Müller

ZEHN APHORISMEN ZUR BUCHMESSE

Kein Bücher-Jahrmarkt ohne Stilgaukler.

Sein erstes Werk war ein Roman, gewaltig wie ein Gebirge.
Gleich nach dessen Erscheinen begannen die Mühen der
Ebene.

Glasklare Prosa muss nicht notwendigerweise
durchsichtig sein.

Die Produktion von heißer Luft kann durchaus
zu Höhenflügen führen. Es braucht nur jemanden,
der die passende Ballonhülle dafür bereitstellt.

Gegen gelegentliches Waten im seichten Wasser der
Unterhaltung ist nichts einzuwenden. Bedenklich wird
es bei Schwimmversuchen oder Sprüngen vom Rand.

Im medialen Zirkus gibt es Artistinnen, Dompteure,
Messerwerfer und Clowns, aber eine Direktorin oder
einen Direktor sucht man vergebens.

Selbst über ungelegte Eier, die aus Legebatterien kommen
werden, redet man viel und gerne.

Wenn Stil die Physiognomie des Geistes ist, warum
erschrecken wir dann nicht vor der allgemeinen
Fratzenschneiderei?

Das helle Strahlen seines Geistes blendete all jene, die
keine Sonnenbrillen in der Tasche hatten.

Wer sich ständig wiederholt, der hat gute Chancen, gehört zu werden.

17. Oktober 2016 09:09










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (84)

15. Oktober 2015, ein Donnerstag

Meine Psychosomatik wird ja immer empfindlicher. Kaum steht etwas bevor, geht es mir schlechter denn je. (So lässt sich die Bewältigung des Bevorstehenden sehr viel glaubwürdiger glorifizieren.) Gestern, als ich mich nach Brandenburg aufmachte, um meinen Film auf der Archäomediale vorzustellen, begann schon beim Einsteigen ins Auto ein Ohrenreißen. Ich dachte erst, das sei Duschwasserrest, aber es wurde immer schlimmer. Dazu die Erkältung. Was für Schweißarten da zusammensickern. Gleich doch mal eine Propanolol einwerfen. Das reguliert denn doch enorm. Nur kann ich meine Außenwirkung dann nicht mehr gut einschätzen. Bei der Fragerunde hinterher stellt niemand eine Frage außer dem alten Film-Haudegen D., dessen langes Nuscheln in die spannende Frage nach dem Anlass des Films mündet. „Nein, kein Anlass“, kopfschüttle ich sediert und registriere dann aber doch die Außenwirkung einer so unhöflichen Antwort.

Dieser D.! Einer, der sich wirklich mit allen Hochetagen der Akademie und Politik anlegt und es sich mit ihnen verscherzt. Aber auch einer, der es schafft, für ein Festival ein Grußwort zu schreiben, in dem er nur für seinen eigenen Film wirbt. 76! Und erzählt mir mit seinen 76 Jahren von seinen zehn Tagen im Keller dort bei Brandenburg, in den ersten Mai-Tagen 1945. Ein seltsamer Mann: großes Herz, alte Schule, tollkühn und tolldreist.

Trotzdem miserable Nacht im Hotel. Zwischen halbdrei und vier Uhr wach gelegen und im Fernsehen Dokus über den Allgäu und die asiatischen Hochgebirge gesehen. Die Putzluft verbot, das Fenster zu schließen. Der Verkehr verbot, das Fenster offen zu lassen. Dazu diese Rotzbeutel in den Naseninnenhöhlen, die immer zu jener Seite schwappen, auf der ich liege. Grässlich. Morgens Frühstück. Da ist man ja leider nie allein, sondern sofort mit den Anderen vom Festival zusammen. 10:15 Uhr zuhause.

Auf mp3 gehört: Hubert Fichte. Auch so einer. Schaurige Stimme mit seiner Hamburger Plättung. Aber dann ein Satz wie „Mach doch mal das Licht an, das iss so dämmsig!“ Außerdem ein Vorbild in Sachen Reisebeschreibung, Angstbeschreibung, Magiebeschreibung – manischer, konsequenter, abenteuerlicher, sammelwütiger, als ich es je sein könnte.

Den ganzen Tag gepackt, geschraubt, demontiert. So weit gut vorbereitet für den Umzug. Fast schon beruhigend, dass jetzt, am Abend, die Stimme ziemlich weg ist und auch das Ohr sich zuweilen meldet – nicht alle körperlichen Symptome kündigen von Lampenfieber vor sozialen Auftritten.

Und gleichzeitig natürlich zum Kotzen: Nur weil die Genossenschaft fahrlässig (wenn nicht schlimmer) geschlampt hat, ging der Umzug nicht vor zwei Wochen bei herrlichem Sonnenschein und bester Gesundheit zügig über die Bühne, sondern jetzt, bei Dauerregen, Kälte und Erkältung. Wer besorgt mir einen tüchtigen amerikanischen Anwalt?

15. Oktober 2016 12:36










Hans Thill

Mit Nasenbluten, Schluchzern, engem Aufgestöhn (long version)

der energischen Navajos, manche ganz englisch, also
aufgedonnerte Nannys, Angostura nippend in einer Schlucht,
aus der die Bäche kommen, schwerer als Wasser. Narrativ.
Blau die Nas von einem Schluri (war mal ein Ritter gewesen).

Bitterschokolade, plärrenden Augs. Fischarts
nauppengeheuerliche Softnutten, Leerschlag nach Leerschlag
schlittern die Eingebornen in enge Kostüme auf der Suche nach dem schrulligen
Nosferatu. Schaluppen mit Lippen wie ein Schuljunge

mit Nixlein. Öffentliche Austern. Bodenbluten, ebenfalls
öffentlich. Mit Brettersosse narrt man die zehrenden
Schaben. Man hat eine Tendenz zum Wespenlutscher,
man hätte einen Kolbenfresser auf dem

Schluchsee (Forêt noire), es wäre irre eng, ok, im
Aufzug. Die Sockenschlümpfe lernen von Artisten, die
noch in Notzelten einen Salto finden. Solobutter,
Schonzeit für Bullen, na prima. Tim und Mentzer

Nas und Nuppe, Totnsonntag auch für „seinen“
Johannes. Von der Milch her ein Hans sein,
schlurfender Nochspecht, ein Karneol aus
Lutherjahren, nenn ihn Stüber, aber schweig

von seinem geschmähten Glied. Diese Seufzerbrücke
kurz vor knapp. Schlimmer wären die Störenfriede des
Pontormo, mit Bulgur sogar, oder das rechte Bein gleich
neben einem toten Kamel. Sags ihr durchs Maul,

nimm das Übersee-Necessaire mit ins Nadelöhr,
pack dich voll mit Astor Filter. Schluchzende
Neubauten, enge Hängung, hier auf dem Boulevard
der Engadiner. Ist er ein Soldat, soll er die Trommel

frein, eine der vielen Bullrichnasen meiner Oma Scharlott,
in ihrem Gefolge auch so ein Fensterweiblein mit
contrainte. Fand in Kriegszeiten Verwendung als
Fischschwanz, normal oder normannisch,

Holz in den Kalk gezeichnet. Altes Rasierblut noch
von ten sixty six. Erfolgsgeschichte einer Muse namens
Klit, Johan Fischart, genannt Gargant. Paul und Paul
vom Ross gefallen, alle Apostel sonst auf dem Posten.

Das stornieren wir gleich. Tintenstrahl mit Fischgeschmack,
Prints für die Veganer vom Mars. Dortige Mäuse.
No Sir, energischer als Shakespeare schlug Störtebekker
die Hornissen tot: bellende Schnauzen nardische

Blutbuletten ausm Silo, saftiger als alles was der Butcher
(patientenenglisch) nach einem Absacker so auftischt.
Oder wenn er all die Schaunasen rotwelsch
untertitelt. Rust never sleeps.

Mitten im Bungabunga isst man halt Butterbrezeln,
schielt nach dem schönen Zettel, der anderswo
ein bottom wäre.

von seinem geschmähten Glied. Diese Seufzerbrücke
kurz vor knapp. Schlimmer wären die Störenfriede des
Pontormo, mit Bulgur sogar, oder das rechte Bein gleich
neben einem toten Kamel. Sags ihr durchs Maul,

nimm das Übersee-Necessaire mit ins Nadelöhr,
pack dich voll mit Astor Filter. Schluchzende
Neubauten, enge Hängung, hier auf dem Boulevard
der Engadiner. Ist er ein Soldat, soll er die Trommel

frein, eine der vielen Bullrichnasen meiner Oma Scharlott,
in ihrem Gefolge auch so ein Fensterweiblein mit
contrainte. Fand in Kriegszeiten Verwendung als
Fischschwanz, normal oder normannisch,

Holz in den Kalk gezeichnet. Altes Rasierblut noch
von ten sixty six. Erfolgsgeschichte einer Muse namens
Klit, Johan Fischart, genannt Gargant. Paul und Paul
vom Ross gefallen, alle Apostel sonst auf dem Posten.

Das stornieren wir gleich. Tintenstrahl mit Fischgeschmack,
Prints für die Veganer vom Mars. Dortige Mäuse.
No Sir, energischer als Shakespeare schlug Störtebekker
die Hornissen tot: bellende Schnauzen nardische

Blutbuletten ausm Silo, saftiger als alles was der Butcher
(patientenenglisch) nach einem Absacker so auftischt.
Oder wenn er all die Schaunasen rotwelsch
untertitelt. Rust never sleeps.

Mitten im Bungabunga isst man halt Butterbrezeln,
schielt nach dem schönen Zettel, der anderswo
ein bottom wäre.

für Paulus Böhmer

14. Oktober 2016 11:23










Hendrik Rost

Bob Dylan – aus: Blonde On Blonde

Then time will tell who has fell
And who’s been left behind
When you go your way and I go mine.

The judge, he holds a grudge
He’s gonna call on you
But he’s badly built
And he walks on stilts
Watch out he don’t fall on you.

13. Oktober 2016 12:41










Mirko Bonné

Das trabende Gras

Es stimmt, auch ich
war mal im glücklichen Garten.
Nur bin ich mir nicht sicher, wo das war
und ob meine Großeltern mir so ersparten,
Schrecken zu sehen,
vielleicht für ein Jahr.

Es war der Sommer,
als ich auf den Bäumen las.
Ich kletterte in die Wipfel, fühlte mich frei,
und wenn es leuchtete, im trabenden Gras,
mein Lieblingsgesicht,
war mir alles einerlei.

Für Nadja Küchenmeister

*

12. Oktober 2016 22:51










Gerald Koll

Das fünfzigste Jahr (82/83)

7. Oktober 2015, ein Mittwoch

Heute um 15 Uhr Schlüsselübergabe Pistoriusstraße 147. Umzug am Sonnabend, dem 17.

13. Oktober, ein Dienstag

Köstliche Momente vor dem Einschlafen vor dem Fernseher: entspannteste und gespannteste Aufmerksamkeit auf die Vorgänge im Film, inneres Eindicken, Wärme.

Morgen Filmpräsentation von Ein Metjen nahmens Preetzen auf dem Archäologie-Festival. Spannend, ich kenne meinen Film inzwischen selbst nicht mehr. Eine Erkältung bahnt sich an. Die Raumtemperatur beträgt 13°C, nasskaltes Wetter. Es ist keine Kohle mehr da. Die habe ich längst verschenkt, als ich noch dachte, der Umzug fände rechtzeitig statt. Hoffentlich ein Umzug ohne Regen.

11. Oktober 2016 12:00