Gerald Koll
Das fünfzigste Jahr (68)
1. September 2015, ein Dienstag
Abbruch.
3. Oktober 2016 18:26
So bedank ich mich denn un
artig bei UNICEF auch PLAN
bei VERDI und AMNESTY pp
dass sie mir noch am letzten
Sommertag Hallo Huuhuuuh
Gutmenschen – Koberer auf
den Hals schickten ganz doll
liebe versteht sich mit Mooo
mentchen nur immer neu auf
gestellter Begeisterung mich
mich und Oh ja gerade mich
hier anzutr – effen schiefgel
egter Kopf Hai Gib doch erst
mal die Hand – um mich in
dieses konvexe Strahlen ein
zufassen wenn ich sie bloß
weiterreden lasse und selbst
verständlich hinter einfarbig
familiären T – Shirts diesen
Dauerauftrag unterschreibe
Einmal Mäuschen sein in ih
rer hypokritischen Akademie
30. August 2015, ein Sonntag
Anonymes rotgeflügeltes Insekt. Anonymes Gehölz, frisch geschlagen und verzapft. Anonymes Gestein und Gebüsch, vielfach gefärbt, vor allem violett. Anonyme Blüten, in denen der Berg badet. Unwohl dem, der die Natur beim Namen nennen kann. Wen anrufen, wenn der Berg aus seinem Schlaf erwacht, wenn er Steine spuckt und sich Wunden reißt in seinen Wettern?
An einer Gabelung gehe ich fehl und hinab zum Not-Abstieg Vergötzschen. Trotz massiven Abstiegs weigere ich mich eine Stunde lang, den Fehler einzusehen. Eineinhalb Stunden lang wieder rauf. An der verflixten Gabelung lege ich mich ins Gras, die Zunge klebt im Mund, zwei Stunden später Ankunft in der Verpeilhütte, innerlich ausgekühlt nach heute 12 Stunden. 5 Liter Wasser getrunken.
31. August, ein Montag
Auf der Falkansalm zieht ein Mann im Karohemd einen funkelnden, blitzenden Stein aus dem Hosenbund und zeigt ihn einem feisten Kerl. Der untersucht ihn: „Katzengold“, sagt er verächtlich, lässt den Stein indes in der Brusttasche seines Hemdes verschwinden.
Der Kaunergrat will festgehalten sein. Hinterher funkeln die Hände silbrig vom vielen Abrieb. Ich hatte eine kleine Wunde am Ballen und leckte sie sauber. So also schmeckt Silber.
Rifflseehütte. Ausblick von Liegestühlen auf Berge ringsherum mit ihren Gletschern und Hängen, aus tiefem Grün steigend in schütteres Grau und Braun. Einige Wölkchen in der Ferne. Ein Schaf irrt umher und blökt akzentfrei „Mäh!“
Nachricht am Abend: Morgen schlägt das Wetter um, gegen Mittag, danach Regen bis nächsten Montag. Das wirft alles um. Abbruch. Haselnussschnaps.
1. Oktober 2016 07:3629. August 2015, ein Sonnabend
Wandrers Nachtbrut. Sieden auf Rache an Allen, die da Übel mitspielen noch und noch. Und wer da baut auf Vergebung in seinen letzten brechenden Augenblicken, dem bescheide trocken dein „Nein!“ und presse ihm die Daumen auf die Lider, auf dass er einen Vorgeschmack bekomme auf seine Höllenfahrt.
Wandrers Taglied. Latschen durch Kiefern. Ach, ein Eichhörnchen! Nach drei Stunden in Zams. Dort auf die Vernetbahn verzichtet und zu Fuß den Hang hinauf, also statt zehn Minuten Gondelei nun vier Stunden lustloses Ansteigen. Ein Schindertag mit 1.800 m Auf- und 2.200 m Abstieg.
Abends Einkehr auf der Galflunalm. Dort residiert ein Lama. Es weidet würdig und mit Diskretionsabstand zum sonstigen Almgeviech. Außer mir: drei Herren aus der Eiffel, drei Damen aus Krefeld. Lauschige Terrassennacht. Über uns der Mond. Seiner angesichtig stimmen die Herren fein leise ein Lied an, während die Damen zu Bette giggeln.
30. September 2016 16:01Aus Posen also und dem großen
Deutsch ist also dieser erste Ur
hier damals also zweigewandert
Ohne so und Sohn und alles dies
er Sohn ritt sich im Terracotta s
einen Hirschen vor den Nierenstein
Bis diesem nicht mehr Groß und
nicht mehr Ur nur Granulat blieb
positivistisches Dental-Granulat
Und statt des Hirschen dieser im
ponierportierte Jaguar samt s
einem Gefäßverschluss in Basel
Die Kraft der Lenden patri
linear verschwendet an dies
großegroße MOI im Souterrain
(Für Ulf Stolterfoht )
30. September 2016 07:48
26. August 2015, ein Mittwoch
Über die Nagelflughkette vom Staufner-Haus nach Gunzesried. Das klänge im Norden nicht so malerisch. Obwohl … in den Hüttener Bergen von Harzhof über Hohenlieth, Hohenholm und Harfe nach Holtsee – das ginge auch. Dort gibt’s auch viel Käse, aber weniger Silberdisteln. Auch Kühe, aber weniger Glocken. Was für einen Krach die machen! Als Kuh würde ich wahnsinnig: Kaum senkt man das Maul zur Erde, wirft sich der Glöckner in die Seile.
Ein Filzhutträger mit wüllenem Backenbart wickelt einen Stacheldrahtzaun auf. „Das ist ja eine kratzige Sache“, sage ich. Darauf er: „Da hilft nur einsch: nit verkrampfe!“ Anheimelndes Allgäu. Oben am Gipfel, im Hochgenuss des Rundumblicks, erwischt mich ein anonymer Telefonanruf, der Vorstand der Genossenschaft: eine 65qm-Wohnung zur Umsetzung sei schwierig, aber es gäbe eine 40qm-Wohnung, das würde gehen.
27. August, ein Donnerstag
Dauerndes Verlaufen. Hänge hinauf und Hänge hernieder, Querfeldeinschlurfen über triefende Wiesen und unter siebenden Tannen. Dann hurtig nach Oberstdorf, von dort noch hurtiger fort. Gäbe es nicht den Edeka-Supermarkt, gäbe es für Oberstdorf keinerlei Rechtfertigung. Außer jenen Butter-/Milch-/Buttermilch-Verkäufer, der bestens Kühe kennt und daher weiß (und mir nachweist), wie glücklich sie mit ihren Glocken sind. Übernachtung „Beim Beck“, wo ich auf der Terrasse mit Fridolin Beck plaudere. Im Januar 1939 hat er zwei Skisprung-Meisterschaften gewonnen. Er ist 96.
Dann endlich hinauf in die Alpen und oben unter die Dusche. Davon hat die Kemptener Hütte 2. Für 300 stinkschweißige Wanderer. Befindlichkeit zwischen Sonnenstich und Ekel. Schlafen im sogenannten Lager, also eingezwängt zwischen lauter Männern mit Duschproblem: links der weißbärtige 60er schnarcht natürlich und verpustet würzigen Altmänner-Atem, der Typ auf der rechten Seite furzt. Toiletten befinden sich zwei Treppen abwärts.
28. August, ein Freitag
Am Leiterjöchl rasten Vater und Sohn. Sie schwärmen von Steinböcken, Gemsen, Murmeltieren – nichts davon habe ich gesehen. Einkehr im Württemberger Haus. Ein Paradies abseits der Haupt-Route, umgeben von Wasserfall, Naturdusche, Sonnenterrasse. Nuss-Schnaps bestellt, allein für mich. Nun also fängt das Alter an.
29. September 2016 08:48
23. August 2015, ein Sonntag
Lehrgang vorüber, fünf Jahre Training, seit gestern shodan. Heute in die Alpen, noch ganz gerührt von Ukes und ukemi. Auch gerührt von Frau S., gegen die ich mich sträube, aber nicht so sehr, als dass ich nicht nachts mit ihr äußerst eingehend die Sterne studierte, als gäbe es dort Künftiges zu erspähen, obwohl das Gegenteil der Fall ist, denn jeder Blick in die Sterne greift tief ins Urvergangene. Ich bin da widersprüchlich. Aber bitte nicht Frau S. kompromittieren! So denke ich in Siebratsgfäll.
24. August, ein Montag
Allgäu. Auf den ersten Höhen „Klemens!!!“ ins Tal gebrüllt. Schnell hinauf in almiges Kuhglöckeln. Kommt man auf den Kamm, wogt das Kuhkonzert heran. Beschirmt der Kamm, bricht es abrupt ab.
Die Landschaft sieht nach Märklin aus. Tagsüber gleiten Gondeln, allseits wellt sich Weiches, Grünes. Nachmittags Tiefgrauwolkenu, um 19 Uhr ist alles zugezogen, den Zaun umzäunt der Nebel. Lese „Also sprach Zarathustra“, diese kalte Ode gegen alles Laue, Liebe, Dünkelnde, Übliche – eine letztlich doch peinliche Selbst-Inthronisierung. Schrei-Gesang.
25. August, ein Dienstag
Die ganze Nacht Regen. Ich bleibe auf der Hütte, ich tappe nicht durch Schlick und Suppe. Außerdem: der Kalkstein wird schmierig. Langeweile des Hüttenausharrens. An den Tisch gesellt sich ein Alemanne. Er erzählt von einem Freund, ein Hobbyfotograf, der im Eiffeler Moor auf Motivsuche ging. Nach Tag 4 fand man ihn, stakend bis zur Brust aufrecht. Seither, sagt der Alemanne, wisse er, was zu tun sei, wenn man feststeckt: nicht strampeln, nein, sich sanft nach vorn fallen lassen.
28. September 2016 23:06im dunkeln wusst ich immer
ist es weniger gefährlich denn
in dem was ich am besten
kann bin ich um ehrlich zu
sein miserabel aber nachdem
wir einmal da sind unterhaltet
uns doch das hilft weg über
verlegenheit mein gott warum
hast du mir das alles hier bloß
mitgegeben dieses körperzeug
etc. es stört doch nur ich
wollte nie was anderes sein
als eine verweigerung warum
missgönnt ihr mir das alle
Die Elbe schaukelt langsam den Tag
in den Schlaf oder sie wägt eine Idee
ab, die ihr eben auf der Welle lag
und in den Sand fiel: endlos viele
Universen aus Körnern, ein Gries
aus Plastik, allmählich zerschliffen.
Im Abenddämmern der Containerriese,
sprengt die Vorstellung von Schiffen;
wie ein Opernhaus an der Skelettküste.
Noch nicht im Bild sind tanzende Affen,
als erwarteten die Sinne einen Test:
Aufmerksamkeit ist nach oben offen.
Da, Klaus’ Kopf, maskiert als Kiesel.
Einst wogten hier Seegraswiesen.
Dies Tuch, O Schwestern,
wimpelt schön im Wind:
Signal für eure Zucht.
Wer Schwarzes, wer Brünettes flaggt
reizt mit seinem Stolz.
Holt eure roten, eure blonden
Fahnen ein, versteht:
Blicke sind wie Wind,
sie rupfen, zerren, reißen,
sind unbezähmbar wild.
Nur am Wimpel
ist ein zahmes Zupfen,
der Wimpel ist es
der die Richtung zeigt.