Tobias Schoofs

MARIENFÄDEN

dies gedicht sei ein bild
wie ich die wohnung betrete
liegt eine leiche im keller
die buchstaben sind spinnen

sie fliegen im spätsommerlicht
und sie geben den satz ein:
der geifer des bösen ist überall

unfall an der kreuzung
auf die meine wohnung sieht
an der großen tafel gegenüber
wird die werbung gewechselt

dies gedicht sei magie
dies gedicht sei ein unfall
eine grausame kunst

8. Dezember 2014 22:59










Thorsten Krämer

Holly Springs, Mississippi

Wir nannten uns Seepferdchen, zimmerten uns
die Welt zurecht. Ein Poster war die Zukunft, wie
zerknittert sie auch sein mochte. Holz und Ziegel
unser Rohstoff, ein altes Fahrrad das geteilte Glück.

2. Dezember 2014 18:14










Mathias Jeschke

Die Weihnachtssuppe

Familie Fink
ist nicht stink-
reich, nein, nein,
ihr Beutel ist klein.

Zur Weihnacht –
wär doch gelacht! –
gibt‘s halt nur Suppe
für die ganze Truppe.

Sie laden groß ein
und machen sich fein.
Gewärmt ist der Raum,
beleuchtet der Baum.

Da kommen die Gäste
und bringen zum Feste
vom Vortag die Reste:
vom Guten das Beste.

Es kommen die Raupen,
sie bringen Graupen.
Drossels von drüben
mit gelben Rüben.

Schnecke und Schneck
kommen mit Speck.
Ein Rudel von Pudeln
bringt die Nudeln.

Vater Fink beheizt
den Ofen, geizt
nicht mit Gewürzen.
Um’s abzukürzen:

Unter den Festen
war’s eines der besten.
Die Freunde lachten
noch lang an Weihnachten.

1. Dezember 2014 21:35










Andreas Louis Seyerlein

~

6.42 – Ich stelle mir eine Maschine vor, die fliegen kann, eine kleine Maschine, nicht größer als eine Murmel in Kinderhand. Zarteste Rädchen und Schrauben und Gewinde sind in ihrem Innern zu finden, Batterien von der Größe eines Bergschneckenherzens weiterhin, sowie eine äußerst filigrane Funkantenne, ein Linsenauge und Mikrophone oder Ohren, die in der Nähe des Auges derart montiert worden sind, dass sie in der Lage sein könnten, eben genau jene Geräusche aufzuzeichnen, die sich vor dem Auge des Flugwesens einmal abspielen werden. Vielleicht darf ich verraten, dass es vornehme Aufgabe der Maschine sein wird, zu schauen und eben zu fliegen. Man fliegt mittels Propellern, die sich so schnell bewegen, dass kein menschliches Auge sie wahrnehmen kann. Ein helles Summen oder Pfeifen ist in der Luft, und ich dachte, man könnte sich vielleicht an Moskitofliegen erinnert fühlen, sobald sich eine der kleinen Maschinen näherte, obgleich sie niemals stechen, nur Lichtproben nehmen. Darüber hinaus gehend stellte ich mir Läden vor, die sich wie Stützpunkte für Flugmaschinen benehmen, Magazine, die überall in unserer Welt existieren werden. Für drei oder vier Dollar die Stunde könnte ich mir von meinem Computer aus ein fliegendes Auge leihen, um an einem schönen Sommerabend, im November zum Beispiel, in Buenos Aires durch die Luft zu spazieren. Ein Alptraum. – stop

> particles

30. November 2014 22:43










Claudia Gabler

November is always
November is always

November is always

27. November 2014 12:43










Tobias Schoofs

KLINKEN

kleine dinge wie klinken
zum öffnen und schließen
von türen kauft man im
baumarkt ganz nebenher

sucht man aus was zum haus
passt aus messing verchromt
mit kosten im kopf macht es
sinn gleich zwei garnituren

zu kaufen: eine öffnet
im sommer die türen · die andere
schließt sie im winter

keiner bemüht sich um klinken
die doch nichts tun als türen
öffnen und schließen

26. November 2014 00:53










Markus Stegmann

Busblaue Blumen

Deine busblauen Blumen im
Blattlichtgewitter der Teile
kleb ich fuchsrote Farne
zu Fragmenten frier sie
mit Fingern zwischen Buchstaben
im Grün der Büsche ein die
birkenblattlose Sammlung der
Hoffnung auf vergiss mein
mageres Schauen nicht am klanglich
sag einfach gesammelte Blicke vielleicht
verdecke lieber noch verstecke
mich in deinen Bildern
blanken Balladen träum ich
oder wandre im Wald
busblauer Blumen

Für R.F.

24. November 2014 23:17










Mirko Bonné

Die Nandus in Törpt

Sie wissen, alles Ferne hat Augen.
Stumm folgen ihnen große Wagen, und
da sind immer Hunde in den Schatten, die
hinter Hagebuttenhecken flach im Gras liegen
und nach Sterben und roten Tränen riechen.
Sie sind Muldenvögel, lieben Laubkrater,
sind schlehenbeerenversessen, einer
auf einem Bein ist gleich Baum.

Nachts weite Pampa. Träume, blau.
Keiner wird je vergessen, was war, nur
die dreizehn Alten, die an dem Tag
durch den Zaun brachen, runter
zum Ufer rannten und hinüber
über die Wakenitz kamen,
sehen das Leuchten nicht mehr,
das ihnen da hell vor Augen stand.

Die Nandus sammeln im Maiswald
Beiträge zur Geschichte der Freude,
ein unerklärlich langsames Schreiten.
Goldene Sterne funkeln den Jüngeren
in den Augen, die im Dunkeln in Törpt
an die Maurine laufen zum Saufen
und erschöpft zitternd ausruhen
unter zwei verrosteten Tankwagen.

Sie rupfen sich Gras, das Nachtgras
im Knickschatten, und sie wärmen
einander, beinahe hundert, auch
wenn keiner von ihnen noch ein Bild
für den Nanduweg weiß, namenloses
freies Hinfliegen knapp über dem Laub,
hinter der Stirn nur die Wärme der Liebe
zum Rennen durchs dunkelgrüne Licht.

Für Tom Schulz

*

22. November 2014 23:58










Christine Kappe

Kabakovs Fliege

Und da sehe ich eines Morgens, lange vor Sonnenaufgang, „Kabakovs Fliege“: in Gestalt einer lebensmüden Wespe sitzt sie an der Briefkastenanlage in der Wilhelmstraße 6 und wärmt sich im Licht der Außenbeleuchtung. Es ist ein milder Herbst, aber sie wird nicht mehr lange zu leben haben. Sie bewegt sich kein Stückchen, während ich die Zeitung einwerfe, was für dieses kleine Tier ein plötzlicher Sturm, ein kleines Erdbeben bedeuten muss.
Die Fliege war – bevor Kabakov über sie schrieb – ein kulturell wenig aufgelades Motiv, mies gezeichnet, hing sie, vergilbt, herausgerissen aus einem Kinderbuch, umgeben von gnoseologischer Leere, auf seiner Veranda.
Meine Wespe ganz ähnlich: farblich matt, leblos, angestrahlt von einem überdimensionalen Schweinwerfer, als würde sie auf einer Bühne stehen, um sie herum schwarzes, rein funktionales Metall, rostfrei, welches sich nur wenig aus der lichtlosen Nacht herauslöst, Nacht, oder endloses, dunkles Häusermeer. Die Erscheinung weist in zwei Dimensionen: Einmal begegnet mir hier ein Fitzelchen von der riesigen Natur. Andererseits zeigt ihr resthaftes Dasein, wie der Mensch die Natur nicht achtet, sie quasi neben ihm herexistiert.
Das Ignorieren dieser Parallelwelt ist gleichzeitig die Bedingung für unsere Verwunderung, unser Erschrecken: Ist es nicht übertrieben, diesem winzigen Wesen so eine Aufmerksamkeit zu geben? Und wir ahnen: Nein, ganz im Gegenteil, hier IST etwas, während wir nur sein wollen.

22. November 2014 00:41










Andreas H. Drescher

MEMENTISSIMA

Wochentags war die Anhöhe nur ohne Musik zu haben. Trotzdem betrat sie die Wiese in ihren besten Schuhen, scherte sich nicht um die Pfütze, in der sie stand und erwartete ohne Ungeduld die Ankunft des Vergessers. Angeblich das des größten Vergessers der Welt, eines Vergessers, dessen Vergessen so umfassend war, dass es im Umkreis von neun Kilometern alles und alle erfasste. Selbst die Kühe vergaßen das Wiederkäuen, die Blumen das Sich-Öffnen und die Steine das Sichaushöhlen im Regen. Aber das hatte sie doch nicht erwartet: Der Große Vergesser hatte sich derart selbst vergessen, dass er nur mit einem Schuh auftrat. Der zweite Schuh bestenfalls noch Hintergrundrauschen im Auftreten des ersten. – Ihr wurde angst und sie rannte querfeldein in Richtung des zehnten Kilometers.

20. November 2014 16:06