Markus Stegmann

Castel del Monte

Dem Korallenstein Gesicht stand Verwahrung
im Verlies die verlängerten Körper Epochen
Nachfahren enterten im Geschwader den
achteckigen Hof wo oben zuerst Himmel
dann Gewitter zog während wir höher
in die Etagen stiegen am Ende der Wände
wollten durch den Stein weder Fenster noch
Berg nur der Ausgang aufs Land ungewiss stand
die Luft in den Lungen der Vergangenen im
Periskop sahen wir über den Wellen Gefälle
des Vulkans während die Nacht ihre Verluste
einsog und den Verregneten Sturm gab den
Zurückgesetzten der vorwärtsschraubenden Gelände
ihre verdrängten Verse während der Grabungen
standen wir im unvollendeten Kirchenschiff der
Krähen die voranflogen abdrehten wir
schaufelten das Geröll des Gewitters ins
einäugige Land stapelten querstehende
angetrocknete Trompeten knapp klappte
das Terrain über den Fenstern zum Himmel
lehnten abgeerntete Weizenfelder als
Schilde der Erde schienen sie uns fremder als
die Gedrehten der Nacht wuchsen nirgends
nässere Arme aus Gras

14. August 2013 19:40










Mirko Bonné

Mail aus Scheusal

„Im Niemandsland zwischen Prag und Żmigród
brach die Lokomotive zusammen“, schreibst du,
„und wie bei der Teufelsaustreibung der Dämon,
so verreckte auch die herbeigekarrte Ersatzlok.“
Es war am Tag des Hitzerekords, und das Nest,
wo ihr festsaßt, hieß Scheusal. „Am Bahndamm
Eisenbahnergärten. In der Mittagsglut kescherten
Kinder dort verlangsamte Falter. Sie lachten uns
mit großen Augen aus, wie wir da in den Waggons
japsten, bis zischend endlich die Türen aufgingen.“

Du schreibst, aus Angst, es könnte weitergehen,
bliebst du für drei Stunden an den Gleisen sitzen,
hocktest an einem Baum, trankst ein Tyskie-Bier,
heiß wie ein Geysir, und sahst den Schweißern zu,
„braungebrannten, rußbeschmierten Schränken, die
in Flammen badeten und sich mit Feuer bespritzten.
Ein deutsches, lange totes Wort fiel mir ein – Glast,
als Leute aus dem Zug die Böschung runterkamen.
Sie keuchten, so wie das verbrannte Gras keuchte,
und da wusste ich: der Gespenster Traglast – wir.“

In Scheusal gab es keinen Schatten. Du schreibst,
„sogar im Keller der Schule, wo ich ein Klosett fand
und die Flasche füllte, war es stickig. Flirrende Luft.
Das Gelächter der Wasserspeier auf dem Hradschin
ging mir nicht aus dem Sinn.“ Laufen, so wie Wasser
laufen, dachtest du. „Ich muss laufen“, schreibst du,
und so endet deine Mail aus Scheusal. „Ich lauf los.“
Bei Jary in einem Hohlweg. Auf einem Erdbeerfeld,
wo Selbstpflücker standen. Und in der Dämmerung,
mit Hund, behörntem Helm. So sah man dich noch.

Für Katarzyna Fetlińska

*

13. August 2013 21:31










Gerald Koll

aikido in der westlichen kultur (2)

heute: kote-gaeshi

(mangelhaft: kontakt des uke, raumwahrnehmung des nage)

13. August 2013 15:58










Gerald Koll

aikido in der westlichen kultur (1)

heute: shomen-uchi

uke: gabriel. nage: maria. dojo: divae matri virgini, münchen

12. August 2013 14:44










Mirko Bonné

Innigkeit

Wie das Licht
durch Birken fällt
und zitternd blinkt,
ist Einer für dich,

im Flüstern Stille,
Geraune nebenan
die Vogelstimme,
so hörst du sie,

Sommerpracht. So
muss Brennen sein.
Ein Feuer geht dir
über die Hände.

Was bist du, das
nicht innig zu feiern
unterm lila Himmel.
Sinnlos ein Gruß.

Lila. Alles ist da,
abendlanger Duft,
Flieder, Büsche
im Nirgendwie.

*

7. August 2013 21:27










Sylvia Geist

Vor der Prüfung

Der Kopf meines Vaters
lag auf dem Wasser,
schwer von Notfallplänen
gegen die Enttäuschung,

die ich ihm bereiten musste,
und nickte im Minutentakt:
zehn, dann hast du es. Rufe
aus der nächsten Bucht,

Licht wie Heu, Ruderer
beim Wenden. Nicken.
Ich hörte auf zu zählen,
paddelte, ein Otter,

bis über die Ohren
verliebt in die Azurjungfern
an den Schildern
vorbei in die Gezeiten,

die von Kaffeedampfern
über die Havel heran
schwappten, und aus
Vaters Mund: null.

Ich wusste das nicht, aber er
sah das Schiff ins Schilf,
mein Fell davonschwimmen,
in jeder Muschel die Turbine.

29. Juli 2013 19:56










Mirko Bonné

Feuer, 1979

Den Komposthaufen abzufackeln, kam er mittags aus dem Haus.
Er schritt mir quer durchs Spielfeld der bepflasterten Terrasse
mit geballter Faust und in der Linken einer grünen Flasche:
Traumtanz-Endspiel. Kick du mir noch einmal eine Scheibe ein!
Mein Vater stapfte übers Gras davon, auf dem im Schattenkäfig
wie verkohlt starr mein Kaninchen saß. Es war sein letzter Sommer,
ehe es verschwunden blieb, ein Bussardopfer, stumm und schwarz.

Aus diesem Garten trat ich einmal einen Elfer in das Treibhaus rüber
und hör immer noch die Scheiben splittern. Aus der Küche wie von weit
Musik. Und Klirren. Mitte Juni. Meine Mutter wusch da ab, Libellengläser
von dem Gartenfest am Tag zuvor. Mein Vater stand vorm Kompost,
er goss Spiritus darüber, nahm die Schachtel aus der Hand, er sah
lang in der Faust das Zündholz an, den Schlüssel eines Höllentors.
Ich dribbelte. Ich sah ihn dastehn, überlegen, ob er werfen sollte.

Ich sah Feuer, einen Drachen, Schwall aus Licht und gleißend
Tier, das ihn verschluckte. Es war windstill. Aber in dem Lodern
schien der Wind zu leben, heiße Flagge, gelb, rot, bläulich grüner
Krieg, ein ungeheuer böses Glück, das sich an meinen Vater lehnte,
Pferd aus Flammen, das ihn mit sich riss, obwohl er stehenblieb, so
reglos war wie ich. Wir standen beide da, er brannte lichterloh,
ich brannte innerlich. Und aus der Küche wie von weit Musik.

*

15. Juli 2013 15:49










Christine Kappe

Die Teebaumgesellschaft

Bei einem Spaziergang durch die Stadt entdecke ich in einer schattigen Seitenstraße einen kleinen Buchladen, der mir nie zuvor aufgefallen ist. Ich gehe hinein und frage mich, warum es hier kein Licht gibt; aber dann sehe ich, dass es nur kaputt ist, denn ab und zu leuchtet schwach eine Neonröhre auf. Als ich mich an das Halbdunkel gewöhnt habe, erkenne ich, dass es in diesem Laden nur Taschenbücher gibt. Eins davon habe ich geschrieben. Wie der Klappentext mir verrät, handelt es von meiner Kindheit. Es trägt den Titel „Die Teebaumgesellschaft“. Ich muss meine Augen sehr anstrengen, um etwas lesen zu können. Der Text ist aber recht überschaubar. Die Mutter in der Geschichte sagt immer bloß ‚brrr‘, der Vater ‚frrr‘. Kein Wunder, erkenne ich doch auf einer Illustration meine Mutter, wie sie das Hemd von Vater bügelt – nackt, da friert sie natürlich. Und Vater friert ja, weil er das Hemd nicht anhat. Ob ich das Buch kaufen soll? Aber dann lasse ich es sein, grüße den Ladeninhaber, der seit meiner Ankunft in der Nische seines Verkaufstresens telefoniert und gehe wieder auf die Straße.

2. Juli 2013 11:44










Hans Thill

Drei Schüsselchen

Drei Schüsselchen
Milch und das
Meer, gefaltet
aus kariertem Papier.
Wie eine Hand liegt
der Tod flach auf seinem
Stuhl. Wir suchen den
Feigling, für den Gott
das Pferd erfand
finden sarna
Wir essen
Schmerztabletten wie
andere Leute Kartoffeln.
Landschaft ist auch
eine Hand unter
Düsenjägern. Das
Gebirge stol (Tisch)
des Satans, an dem
die Vögel Kirschen essen:
czeresnie. Tsch tsch
Marakesch, die Hölle
zischt, beheizter ICE
vollbesetzt mit
Zisterzienserinnen.
The Big Splash.
Die Engel verschwinden
durch einen
Gummischlauch
ins Meer. Dann
vergehen dreißig Jahre
ohne orangene Westen
ohne Rasiermesser, ohne
Religion. Und jeder
Kranführer ein
Papagei

Reh an Wand

Sarna

(Reh).

Begrüssungsgedicht für Justyna Bargielska, Jacek Dehnel, Katarzyna Fetlinska, Jacek Podsiadlo, Tomasz Rozycki, Krystof Sliwka, Mirko Bonné, Esther Kinsky, Norbert Lange, Sabine Schiffner, Daniela Seel, Volker Sielaff, Tomasz Rozmyslowicz, Janina Jodynis, Agata Okonska und Katarzyna Piasecka

28. Juni 2013 12:49










Andreas Louis Seyerlein

10.12 — Von äußerst heim­li­cher Art und Weise, Gedan­ken zu notie­ren, berich­tet Patri­cia Highs­mith in ihrer Erzäh­lung Der Mann, der seine Bücher im Kopf schrieb. Wenn ich nicht irre, so ruht der Mann, von dem in der Geschichte die Rede ist, stun­den­lang in einem Lie­ge­stuhl, indes­sen er laut­los an sei­nen Roma­nen arbei­tet. Ein glei­cher­ma­ßen Wör­ter erobern­des wie Wör­ter sichern­des Ver­hal­ten. Es ist schwie­rig für mich, in ähn­li­cher Weise vor­zu­ge­hen, nahezu unmög­lich, ich habe es ver­sucht, ich komme je nur wenige Sätze weit. Nicht, weil ich ver­ges­sen würde, was ich bereits erzählte, nein, ich ver­gesse das Erzäh­len selbst, ich beginne zu kon­stru­ie­ren, die Sätze geben sich nicht die Hand wie üblich, jeder neue Satz scheint leb­los zu sein, erstarrt, ver­traut, erle­digt. Wenn ich nun doch so heim­lich wie mög­lich zu schrei­ben ver­su­che, schreibe ich in ein Notiz­buch, schreibe, sagen wir, ein­hun­dert Sei­ten weit, bis das Notiz­buch mit Zei­chen gefüllt ist. Was aber ist nun zu tun mit die­sem Buch, das nie­mand lesen darf, nur ich allein, weil es ein pri­va­tes Buch sein soll, weil das mein Wunsch, mein Wille ist, dass nur ich die­ses Buch lesen werde, solange ich nicht ent­scheide, dass das Buch ein öffent­li­ches Buch wer­den könnte. Ich müsste das Buch ver­ste­cken, was nicht wirk­lich mög­lich ist, oder ich müsste das Buch codie­ren, also ein zwei­tes Buch ver­fas­sen, in dem das erste Buch ent­hal­ten ist, aller­dings ver­frem­det durch eine Methode, durch einen Schlüs­sel (lili­put), zu Auf­be­wah­rung in mei­nem Kopf. Sobald nun das erste Buch in ein zwei­tes Buch ver­setzt wurde, würde es mög­lich sein, das erste Buch ver­schwin­den zu las­sen, mit­tels eines Feu­ers bei­spiels­weise. Man stelle sich ein­mal vor, ich würde mei­nen Schlüs­sel zur Methode der Ent­zif­fe­rung des zwei­ten Buches ver­ges­sen. Beide Bücher ver­lo­ren, wäre ich gezwun­gen, das ist ver­rückt, mein ver­schlüs­sel­tes Buch einer Behörde zu offe­rie­ren, die über aus­rei­chende Rechen­leis­tung ver­fügt, um mei­nen Text zur Leb­zeit noch dechif­frie­ren zu kön­nen. — stop

5.25 – Seit Tagen denke ich an Robert Walser, an seine Schrift, an seine herausragende Begabung, kleinste Zeichen zu notieren auf jede denkbare Art von Papier. Der private Raum eines zierlichen Notizbuches, das als Institution wieder bedeutend zu werden scheint, könnte für Menschen wie ihn erfunden worden sein. Nehmen wir einmal an, Robert Walser und ich würden je ein Notizbuch von 4 cm Höhe und 4 cm Breite erhalten, 100 Blättchen Papier, das heißt, 200 Flächen zur freien Beschriftung, ein Notizbuch, das im Notfall verschluckt werden könnte, dieses eine Notizbuch also, nur dieses eine, um darin zehn Jahre zu arbeiten, ich wäre bereits nach ein oder zwei Tagen zu Ende gekommen, so voluminös meine Schrift im Vergleich zu Robert Walsers Schrift. Ich müsste von vorne beginnen, radieren, dann wieder schreiben. Mit der vergehenden Zeit würden die Seiten meines Buches dünner und dünner werden, transparent vielleicht, feinste Löcher entstehen, erste Zeichen, dass mein Notizbuch bald verschwunden sein wird. – Samstag. Früher Morgen. Leichter Regen. – stop

> particles

26. Juni 2013 18:14