Thorsten Krämer

Boston Common from The Ritz

Alles hier ist deins: Die Äste sind deins, die Zweige
sind deins. Die Blätter, die am Boden und die
in der Luft, sind deins.
                                           Der Schatten auf dem Rasen
ist bei Tag in deinem Auftrag unterwegs. Dein Reich
vermisst er bestenfalls zur Hälfte, denn all dies
hier, Majestät, ist deins.

28. Januar 2014 13:01










Sylvia Geist

Wiederfund (17): Schwarze Hunde

Nach Einbruch der Dunkelheit ließ man sie von der Leine, während ich unter einer Laterne stand, als hätte man mich dort angebunden. Oder sie kratzten an einer schwächlichen Tür, Zähne schon an der Klinke, oder rasten mir über Bahngleise nach, bis bloß noch Fliegen half. Meistens waren sie zu zweit. Schwarz waren sie immer: Zwei Rottweiler, zwei Dobermänner, zwei Molosser. Fasste ich mir tagsüber doch mal ein Herz und setzte meinen Weg auf derselben Straßenseite wie die mir entgegen laufenden Vierbeiner fort, konnte man darauf wetten, dass sie spätestens, wenn ein vorbeifahrender Bus ein sofortiges Überqueren des Fahrdamms verhinderte, heiser bellend auf mich zu preschten.
Dass wir zu Hause Berner Sennenhunde hatten, half mir nicht. Außer der Schulterhöhe hatten sie kaum etwas mit meinen Schreckenskötern gemein, außerdem steigerten die Berner die Sympathie, die mein Vater Hunden schon früher entgegengebracht hatte, allmählich in ein geradezu symbiotisches Lebensgefühl, so dass meine Phobie immer wieder Anlass zu fruchtlosen Verhören und ebensolchen Tadeln gab.
Dabei sah ich es selbst ein. Wie beschämend es war, und wie traurig, das Klirren eines Halsbandes aus mindestens zweihundert Metern Entfernung wahrzunehmen, alles Schöne oder wirklich Interessante dagegen zu überhören. Wie konnte ich es überhaupt hinnehmen, mich von dieser Angst auf Kinderspielplätze und Friedhöfe abdrängen zu lassen? Längst wagte ich mich nicht mehr allein in den Wald, und in städtischen Vororten hatte ich mir angewöhnt, im Rinnstein oder gleich mitten auf der Fahrbahn zu gehen, in nur scheinbar sicherer Distanz zu den hinter den Gartenhecken lauernden Wachposten, denn inzwischen genügte ein routinemäßiges Kläffen, mich flattern zu lassen.
Notgedrungen hatte ich allerdings begonnen, meinerseits Jagd auf die Alptraumtiere zu machen. Wenigstens auf dem Papier sollte das Problem in den Griff zu bekommen sein, sollte doch das Personal statt meiner damit fertig werden! So in etwa kam es auch: Leonie wird – im Gegensatz zu ihrer hasenherzigen Erfinderin – von einem herrenlosen schwarzen Hund gebissen und adoptiert das Tier. Doch vielleicht entglitt mir die Geschichte, oder ich dachte mir, so viel Exorzismus müsse schon sein, jedenfalls ist der Hund am Ende tot. Mein Vater, der das Lesen nie gebraucht hat, gleichwohl liest, was aus meinem Kopf zwischen irgendwelche Buchdeckel findet, sah das aber anders: „Nein, nein, Leonie denkt nur, sie hätte Black getötet. Da steht´s doch: Seine Stirn traf auf die flache Seite des Axtblattes. Na bitte, auf die flache Seite. Und hier: möglich, dass sie sich dieses kurze, fistelnde Aufjaulen auch nur eingebildet hatte. Blut sah sie keines. Na bitte.“ Ein Hund wie dieser sei nicht so leicht umzubringen, dabei blieb er – und schien damit nicht allein zu stehen.
„Man kann den schwarzen Hund nicht töten“, las ich bei Les Murray. Er musste es wissen, nach zwanzig Jahren mit einem dieser Monstren. Hinsichtlich eines anderen, womöglich noch ärgeren Exemplars war Giorgio Caproni in Der Graf von Kevenhuller der gleichen Meinung und setzte noch eins drauf: „Die Beute, die dich, erschlagen, erschlägt …“ *
Ob in der Weigerung meines Vaters, das Ende „Blacks“ in jener Geschichte anzuerkennen, nun etwas Wahres steckte oder nicht, ich erinnere mich, dass ich nach der Begegnung mit Capronis Hund vor Wiedererkennensfreude, Schrecken und Erleichterung eine Zeit lang nicht zum Schlafen kam.
Tatsächlich sind meine Hundeprobleme nicht so einfach totzukriegen, sehr langsam verlagern sie sich aber ein wenig. Eines Morgens fand ich mich in einem Wintergarten voller Nichtraucher wieder. Ich war erschöpft und überdreht nach langer Reise, wild auf eine Zigarette und in entsprechender Stimmung, traute mich aber wegen des Schäferhundes der Gastgeber nicht, mich vom Platz zu rühren. Insgeheim wünschte ich das Tier zum Nordpol, und als hätte es mich gehört, gähnte es ausgiebig, wobei es alle Zähne zeigte. Dann kam es zu mir und leckte mein Ohr.
Auf einem Gang über den Homestead Trail oberhalb von North Vancouver wiederum tauchte letzten Sommer ein Rudel von vier stehohrigen, hochbeinigen, mehr oder weniger schwarzen Tölen auf, die mich wacker verbellten, während mein Herz stockte und weiterstolperte, wie gehabt. Trotzdem fehlte etwas. Es mag ein paar Minuten gedauert haben, bis uns klar wurde, was es war. Ein Zaun fehlte, hinter dem sich bellen, und ein Fahrdamm, über den sich rennen ließ, und irgendwie fehlte damit auch der Grund dafür. Nach der kleinen Weile, die wir – sie und ich – brauchten, um das zu merken, wurde es still, das heißt, alles Mögliche war zu hören. Rascheln, Spechthiebe, Plätschern, Stimmen jeder Art.

27. Januar 2014 14:59










Hendrik Rost

Nach dem Kindergeburtstag

„Dann mach ich etwas ganz Böses. Dann schreib ich ganz böse Gedichte, die sich gar nicht reimen.“ – Pumuckl

Das Gedicht, dieses und jenes, kommt nie aus dem Verstand. Wenn ich nachdenke und etwas verfassen will, dann wird daraus nichts. Sprödes und Ödes. Wenn ich abends aber lese, eigentlich schon zu müde, und dabei auf etwas stoße, das nicht nur ausgedacht, nicht nur empfunden ist, dann fällt mir oft ein Name ein – vielleicht ein Titel oder eine Phrase – und die wirkt dann über Nacht und wächst. Am Morgen brauche ich oft nur noch zu notieren, was daraus geworden ist. Der klare, kalte Verstand hat dabei kein Recht. Die Unterscheidung in „Mag ich – mag ich nicht“ ist gut für Kinder. Wenn sie aber gelernt haben, ihre Angst vor Neuem zu verstehen und vielleicht sogar die Bedrohung und die Einsamkeit dahinter zu genießen, sind sie plötzlich reif, wie viele Erwachsene es nie werden konnten. Das Neue ist das, was bleibt, wenn ich nicht über andere urteilen muss, nicht beeindrucken will.

27. Januar 2014 09:38










Christine Kappe

Moskau 2

Geschichte ist teuer
und wird zu einer Zeit ausgegraben
da die Zukunft verschüttet liegt
Wieder einmal haben sie die Weihnachtsbeleuchtung nicht abgenommen
Es ist ein hoher Ton im Verkehr hier
etwa eine Mücke
krepostj
die Beschreibung des ersten Gebäudes der Stadt
durch dicke Brillengläser
Die Anstrengung, uns das vorzustellen
während die Holzstraßen uns ins Gesicht geschrieben stehen
und die vielen unbekannnten Vokabeln für Holzgeräte

26. Januar 2014 17:49










Markus Stegmann

Oslo, also wie soll das so für sich

Soll das wieso im selben Gedicht
trennen wir
am schwarzen Gurt
Malinda im bleib
du wenigstens trennst du die
Tabletten macht
es
mir nur mehligere
Sicht ins zwischen uns
gelockerte Land was
wenn das so ist
wie es spricht
warum ist es
ist
tot und
anders gewindelte Schnur
dem leb mal nach aus
nass im Schnitt
ungeregneter Vergangenheit
schob sie minderes Laminat
im Wohnen wie wir halten
die Gegend länglicher
am Mund verlagerte seitlich
verrutschte aber immerhin
irgendwie
gemeinsame Lippen

25. Januar 2014 00:38










Nikolai Vogel

Prado

Die Wiese
& der Garten der Lüste
& auf welche Seite willst Du
am Eingang laufen die Röntgenmaschinen

24. Januar 2014 00:03










Markus Stegmann

Schwarm

Schwarm legt sich der lichtere
Lärm lockert famose
Linien zieht in leichter Spur
Bleistiftgebirge deine geöffneten
deine verhaltenen
Augen anders als plane
Lordose Packschnur
geschüttete solide aufmontierte
Libellen zum Beispiel
weisst du was wir hören
auf damit ich kann nicht mehr
weiss nicht wie aber
Lichtjahre später
vielleicht lebst du wer weiss weder dir
noch mir egal die
filtern uns raus glaub ich
die kennen das und wir
sind wie immer
entsichert stumm
wann
wollen wir das aufsagen
das aufsagen?

23. Januar 2014 23:05










Hendrik Rost

Omen

1. Auf dem Gehweg am Johannes-Brahms-Platz steht ein ausgebranntes Fahrzeug einer Sicherheitsfirma im leichten Schneefall.

2. Eine Idee, in die ich immer mehr Aufwand investiere, wird nicht zwangsläufig immer besser – sie gewinnt nur an Masse, wird träger und ist irgendwann nur schwer wieder aufzuhalten.

3. Die Idee selbst war perfekt.

4. „I don’t have the drugs to sort ist out“ – The National

23. Januar 2014 09:15










Nikolai Vogel

Madrid

Vodafone Sol
Sonnenkönig modern
Kilometer 0
Im Zentrum für Millionen
& das Marketing
schämt sich nicht

20. Januar 2014 19:53










Christine Kappe

Moskau 1

Aus dem Fenster
nichts
oder besser gesagt, Nebel
aus dem langsam die Häuser hervorbleichen
(sind dennoch von Nahem sicherlich alles andere als hell)
Moloch
ist schon so
An der Wand: Bild einer Waldlichtung
sicherlich Puschkins
Da ich mich jetzt doch fürs Fliegen entschieden habe
muss ich eine „Schtraf“ von 11 $$ zahlen
Versuche vergeblich, dort jemanden zu erreichen
Es ist
Ich höre die Stimme der Frau sehr gut
aber sie mich überhaupt nicht
so als wäre ich gar nicht da
Muss wohl an diesen Telefonen liegen
Oder an der Uhrzeit
Oder dem Nebel
… jetzt lass erstmal den Zug vorbei
Warum ich den hier oben im 28. Stock bei geschlossenem Fenster so laut höre weiß ich auch nicht
Einfach in die bleichen Häuserblöcke starren

Freedom
steht auf ihren Namensschildern

20. Januar 2014 08:30