Gerald Koll

urnäschs ende

Schnecken mit Nachbarin

nicht lange, und schon hatten die waldschnecken die ferne kusine miss mandys in einen weichen mantel geschmiegt. als was würde sie beim nächsten regen herausschlüpfen?

„die erste weiße flagge, die, wenn man sie schwenkt, bewirkt, dass der gegner aufgibt.“ (Jan aus Lausanne über die olfaktorische wirkung von aikido-anzügen nach dem einwöchigen sesshin)

6. August 2011 20:31










Gerald Koll

die ferne kusine in urnäsch

die verspätung der fernen kusine zum tee bei miss mandy in urnäsch …

die ferne kusine in urnäsch

beruhte allerdings auf ereignissen, die schauerlich genug waren.

5. August 2011 19:26










Sylvia Geist

Nachtausgabe

Verschüttete Milch

Die Piazza liegt parat, doch die Audienz,
vom Amt verkauft als Tête-à-tête und
eben überstanden, ging verloren im Blackout.
Die Tasche fehlt, ihr dünner Griff der Faust.

Zurückverdammt, und schnell, bevor
die Prozession beginnt, ein Purpuralp aus
Samt, Verhängen, schwindelnden Emporen,
die apostolischen Portiers perfekt versteckt
in monochrom gesponnenen Passionen –

Die Tasche ist noch da
und heil unter dem leeren Stuhl,
die Heiligkeit pausiert. Das Kinderding:
Sein weißes Kunststoffmäulchen
gähnt, sein Babyrachen, harmlos, zahnlos,

loht, dass ein Myriadenwurf von Mäusen flieht,
entrinnt übern verrohten Teppich, rennende Kohorte
und geronnen, Tropfen, die es zur Schwelle zieht.

5. August 2011 00:49










Gerald Koll

miss mandy in urnäsch

miss mandy saß heute in urnäscher bergen auf gebärenden schnecken und empfing gäste zum tee.

miss mandy in urnäsch

herr moll kam fast pünktlich, die verspätung der fernen kusine verstimmte.

4. August 2011 20:38










Mirko Bonné

Darg

Du sitzt im Bett und liest
in lautem Französisch vor,
was Ferdinand Hodler 1888
am Ufer des Genfer Sees malte.

Im Radio singen Tote vom Leben
in Amherst, am Connecticut River,
dann meldet eine Radiosprecherin
das mitternächtliche Hochwasser.

Ich schlage die Dardanellen nach
– und finde die niederdeutsche
Entsprechung für Moorgrund,
die torfartige Schicht Darg.

*

3. August 2011 20:23










Gerald Koll

Urnäscher Nass

wie das regnet in urnäsch!
betäubt sind aikidoka und kühe,
nasser als wiesen,
kein läuten, kein klongeln aus almen
nur regen und regen ringsherum,
in den anzügen, eingelegt in schweißmolke,
die nicht lüftet, nicht trocknet
bis zum nächsten und nächsten
training im klitschigen urnäsch.

3. August 2011 13:53










Mirko Bonné

Meditation am Kalksee

Meinetwegen: Wir träumen.
Nur wenn ich mir vorstelle,
die begriffsstutzigen Fische
tief dort unten im Wasser.

Ein französischer Denker
kannte sie schon 1637, unter
Papst Urban VIII., und mehr noch.
Er zählte sie. Und sie schwammen.

Weder gab es elektrisches Licht
noch künstlichen Schnee. Nach ihm
gibt es nur Illusionen, sonst nichts,
nicht einmal Brot, wozu auch.

Keiner hat wirklich Hände,
trägt eine Brille oder liebt es,
mit einer Frau, im Sommerkleid,
durch den leeren Raum zu gehen.

*

2. August 2011 18:38










Gerald Koll

meditation in urnäsch

sitzt du da, morgens, halbacht, auf den matten
meditieren wir. wir meditieren, meditieren wollen wir
aber innen wachsen bilder, die sich türmen,
kaum dass du die augen schließt.

Ists ein turm ists eine mauer ists gestein
und du sitzt mit geschlossenen augen
und bildet sich bruchstein und formen sich türme
und du sitzt und es türmen sich steine

und du schwitzt und du weißt nicht wieso
und wirst kalt und die hitze stiebt auswärts
und wirst turm mit kaltem gemäuer
wirst stein mit geschlossenen läden

und du sitzt und du sitzt und du wartest
dass der schweiß trocknet und blättert und
den körper bloßlegt und die wärme wieder
eindringt und den stein erweichen lässt.

2. August 2011 13:37










Mirko Bonné

Ein Sommersonntag

1972, im Freibad Marzoll,
Bad Reichenhall. Ich stand,
ein siebenjähriges Hemd,
hoch oben im Föhnwind
auf der Messerklinge des
Siebeneinhalbmetterbretts
und blickte über die Grenze,
bis Großgmain in Österreich.

„Spring!“, riefen mein Bruder
und Onkel Walter. „Spring!“,
rief die ganze hellblaue Welt
weit unten, wo alles gut war.

Bloß ein sonnenverbrannter
Alter mit faltigem Brustkorb,
weißem Spinnennetzbart
und Mütze auf der Glatze
rief mir zu: „Spring nicht!
Bleib oben! Was willst du
denn hier unten?“ Danke,
lieber Günter Eich, danke.

*

2. August 2011 09:47










Gerald Koll

Aus Urnäsch

Jetzt eben, zu dieser Minute, während der Mittagspause einer sportiven Woche im Appenzeller Land, steht die These auf dem Prüfstand, dass das Denken der Wahrnehmung im Wege steht, denn die Herren Aikidoka spielen Schach.

Und Ueshiba, der kleine Gründer dieses Sports, hielt einstmals einhändig einen Stock waagerecht vor seinen Körper. Seitlich stemmten sich Männer dagegen (wie Sklaven am Ruder), doch der Stock bewegte sich nicht einen Zoll. Wie auch sollte er sich bewegen, rief Ueshiba, ich habe doch einen Kreis um euch gebildet!

1. August 2011 15:30