Gerald Koll

Kühle

Für Frau Wittenborn hat der Sommer begonnen. Frau Wittenborn, der Name unverändert, Suche unter google zwecklos, denn Frau Wittenborn ist nicht bei facebook oder twitter, auch einen Computer hat sie nicht und auch kein tragbares Telefon, Frau Wittenborn steigt vormittags die Treppen des Hinterhauses herab, 93 Jahre ist sie alt und schlecht zu Fuß, Frau Wittenborn aus dem dritten Stock steigt vier Treppen herab, denn der Sommer ist sehr heiß, und die Lunge schnappt nach Luft, Frau Wittenborn sitzt dieser Tage, um die Hitze durchzustehen und den Abend abzuwarten, tagelang auf einem Stuhl allein im kühlen Kohlenkeller.

31. Mai 2011 10:21










Björn Kiehne

dass ich noch Worte finde

dass ich noch Worte finde
das Rauschen der Fontäne
die Weltweisen aus den Zweigen
das sanfte Abfallen des Ufers zum See
am Rand des Wegs
wilde Rosen, Iris, Schleierkraut
die Sonne flutet den Garten
im Schatten der Linden
gänseblümelt die Welt

30. Mai 2011 20:26










Mirko Bonné

Weberknecht

Auf haarfeinen acht Leitern
steigt ein silbernes Auge
durch Lichtvierecke,
da, es blinzelt –

Wald. Alles Messer,
Nadeln endlos. Worauf
dieser Augendesperado
auf acht Klingen steigt.

Er hat Dornenwimpern.
Bebt, wenn im Weiher
Forellen trauern, still
im Wasser weinen,

oder wenn unfassbar
Blätter zittern, Pappeln
im erfinderischen Wind –
einmal so erfunden sein.

So kommt er auf dich zu,
du fahle Karkasse, äugt,
nimmt dich in den Blick
und deinen mit sich fort.

Für Günter Herburger

*

28. Mai 2011 17:36










Thorsten Krämer

Abschied vom Holodeck

5. Abschied vom Holodeck

Es wäre auch zu schön gewesen: die Beherrschung der
Materie qua Verneinung. Die unbegrenzten Möglichkeiten
reichen noch bis morgen. Dann Müdigkeit, ein Stromausfall, und
alle Pizzataxis streiken. Es wäre auch
                                                                    nicht wahr
gewesen: der Traum, den jedes Mängelwesen träumt. Ein Projektil
aus Quecksilber, unterwegs in Richtung Tod. Die Simulation
frisst ihre Kinder. Sie sind eingeloggt als: Besucher.

24. Mai 2011 13:00










Hans Thill

Keine Chance für DSK

Er hatte noch ein paar Stunden bis zum Flug, er wollte nicht frühstücken sondern auf einen Spaß warten. Test stellte sich den Mann vor, nackt in der kühlen Nasszelle, die erste Stunde noch erregt und kräftig, dann immer mehr fröstelnd, mit seinem alten Hintern mal auf dem harten Rand der Badewanne mal auf der bequemeren Klosettbrille sitzend, den Blick in den Spiegel vermeidend. Dann wieder, wenn er etwas zu hören glaubte, sprang er auf und horchte an der Tür. Nach einer Zeit, dachte Test, wurde ihm auch die Klobrille unangenehm,in der gewohnten Stellung. Also unternahm er wieder einen Rundgang durchs Bad, kam schließlich auf die Idee, den Klodeckel zu schliessen und dort Platz zu nehmen, das harte kalte Plastik an den Hoden. Als endlich das Zimmermädchen geschäftig hereinkam und mit den Schlüsseln klapperte, war er schon so geschwächt von seinen Fantasien und so ausgekühlt von der Klimaanlage, dass es ihm nicht mehr gelang, die schlanke junge Frau zu überwältigen, fest eingeschlossen in die strapazierfähigen Stoffe ihrer Arbeitskluft mit nach hinten gebundener Schürze. Test stellte sie sich in Pastellfarben vor, das brünette Haar mit einem hellblauen Kopftuch zusammengebunden, so daß sie den frischen, adretten Eindruck machte, den das Management von ihr verlangte. Er stellte sich ihren Körper warm vor, gut durchblutet von der anstrengenden Arbeit, vielleicht unter den Achseln ein wenig schwitzend, weil sie mit dem Zimmerplan durch eine etwas lang geratene Kaffeepause in Rückstand geraten war und sich nun beeilen musste. Keine Chance für DSK, als er wie ein umnachteter Pan aus der Nasszelle hervorstürzte.

20. Mai 2011 12:58










Björn Kiehne

Hundeheimat

Neu hier,
kennen weder
Straßen noch Plätze,
lauschen Schritten
auf der Treppe,
gehen vor die Tür.

Straßen treten,
Schatten treiben,
schwarze Hunde,
Tintenrunden.

In jedem Blick
eine Heimat
für Sekunden.

19. Mai 2011 10:05










Sylvia Geist

Nachtausgabe

Präludium

I.

Barocke Amseln zwitschern, Tanz
im Gang leuchten Frauen auf,
verschwinden, der Gastgeber
gibt Rätsel. Die mit mir kamen,
haben längst verloren, wir alle
wohl auf dieselbe Art. Menge
flutet, staunt Raum für Raum,
vergisst: Keiner kenntlich, jeder nah.

II.

Durch einen schulterschmalen Korridor,
die Kleiderkammer, flattert ein Gerücht,
in der Mitte dieses Baus gibt es
den Flügel, und ich finde mich,

dunkel angezogen jetzt, vor einer Luke:
Tief, in einem noch ferneren Geschoss
vielmehr, ausgebreitet, schwarz wie schönstes
Pech, er.

Keine Treppe, von nirgends nach nirgends, irgend
jemand warnt, das Pochwerk weiß es anders,
morst, wie sich lehnen
in den Fall

III.

ins aufgespannte Land, vor Ruhe
weit und eben. Die Partitur, heran
geweht, nistet in der Hand. Nur
auf dem Flügel sitzt schon einer, raucht.
Zu spät. Er nickt: Für heute abend.
Die Freude steht, poliertes Tiergebein
und Rabenholz, singt erst, noch, auch.

17. Mai 2011 12:51










Gerald Koll

krogstad

gestern mittag steht der ulf vor mir in der postfiliale, strombergs bzw. tanjas ulf, oliver wnuk, und ich verwand das recht gut, denn er wohnt ja hier irgendwo, geht auch mal zum bäcker und muss eben auch schlange stehen wie alle, die die post besuchen. ging dann abends ins theater, sah einen schauspieler auf der bühne und verwand das sehr viel weniger, erlitt einen schleichenden schock, eine heiße einströmung, als würde das blut fortwährend ausgetauscht. dieser schauspieler trug kalk im gesicht, strähnendrähte staken aus dem kopf, ein schütteres, krächzendes gespenst, bis zur unkenntlichkeit verwesend, doch wie bei toten behauptet sich die nase, daran war er zu erkennen. es war einer, mit dem ich zusammen gearbeitet habe, so lange her, als lägen schichten aus gestein zwischen uns. kein archäologe würde uns dem gleichen erdzeitalter zurechnen. und sah ihn doch mit zärtlichkeit und andacht.

17. Mai 2011 09:02










Gerald Koll

mitternacht

immer öfter schaltet sich um mitternacht in meinem kopf das licht aus, und ich weiß nicht, was zu tun sei. manchmal schaffe ich es noch und wälze mich zur uhr und denke: wieder punkt zwölf.

12. Mai 2011 14:31










Gerald Koll

wollust

ein schlechter frühling ist das, morgens die mottenfalle zu inspizieren und kein männchen dort zu finden, denn sie knuspern nebenan die wolle und schlagen sich die bäuche voll, worauf ich erzürnt zur mottenfalle greife und die motten mit der klebeseite schlage. jetzt trägt die mottenfalle einen schleier wolle zum schutz der motten.

11. Mai 2011 08:48