Gerald Koll
In der Nähe rief ein Uhu, und Laska schreckte auf, machte vorsichtig ein paar Schritte und lauschte, den Kopf zur Seite geneigt. Jenseits des Flüsschens war ein Kuckuck zu hören. Er rief zweimal auf die gewohnte Weise kuckuck, dann wurde er heiser, beeilte und verhaspelte sich.
„So was! Schon ein Kuckuck!“ sagte Stepan Arkadjitsch und trat hinterm Gebüsch vor.
„Ja, ich höre.“ Lewin störte ungern die Waldesstille mit seiner ihm selbst unangenehmen Stimme. „Bald ist es soweit.“
Stepan Arkadjitschs Gestalt verschwand wieder hinterm Gebüsch, und Lewin sah nur noch das helle Flämmchen eines Zündholzes, gleich danach die rote Glut einer Papirossa und blauen Rauch.
Tschik! Tschik! klickten die Flintenhähne, die Stepan Arkadjitsch spannte.
„Was schreit denn da?“ Oblonskis Frage lenkte Lewins Aufmerksamkeit auf ein langgezogenes Klagen, als ob mit dünner Stimme ein mutwilliges Fohlen wieherte.
„Das kennst du nicht? Ein Rammler. Doch lass das Reden! Hörst du, sie kommen!“ Lewin schrie es beinahe und spannte die Hähne.
Zwei befreundete Männer auf der Jagd nach der entscheidenden Aussage bzw. Auskunft über das Befinden Kittys, jener Schwägerin Stepan Arkadjitschs (= Oblonski), der Lewin wenige Monate zuvor vergeblich seinen Heiratswunsch angetragen hat.
(Zitiert aus: Lew Tolstoi: Anna Karenina. Teil 2, Kapitel XV. In der Übersetzung von Rosemarie Tietze.)
21. August 2011 18:06
Mirko Bonné
Wir besprachen uns
bei Rotwein und blauem Öl.
Es ging um Worte. Wir blieben
dabei und kamen nicht
darüber hinaus.
Blaues Paar,
jeder für sich
sucht den anderen
am eigenen Bildrand.
Beide wollen den Kreis,
der ausgeht von einem,
einschließt Betrachter,
mündet in das Auge
dessen, der liebt.
Als ich hinausging,
hast du hinter dem Fenster
ein paar feurige Augen gemalt,
und hier, auf dem Feldweg,
keinen Steinwurf entfernt,
rief der Uhu, weise
meinte er uns.
*
18. August 2011 20:32
Hans Thill
»Anfangs malten sie nebeneinander auf dieselbe Leinwand (the pianistic painting). Manchmal malte einer über dem anderen (the totem painting); manchmal hatte einer allein ein langweiliges Bild gemalt und der andere übermalte es mit einem lustigen Bild (the biksemad-and-egg painting). Manchmal hatte einer allein ein lustiges Bild gemalt und der andere übermalte es mit einem lustigen Bild (the stratificated painting). Sie behaupten, niemals habe einer ein langweiliges Bild auf das langweilige Bild des anderen gemalt (deshalb bleibt dieses System ohne Namen). Aber die Lösung aller Lösungen ist die simultane Mischung ganz ohne Verortung im Raum (the jam-session-painting).«
Christian Dotremont über die Malexperimente von Pierre Alechinsky und Walasse Ting im Jahr 1963
in: Christian Dotremont, Peintures à quatre mains II, in: »L´Arbre et L´Arme«, Galilée, Paris 2007, Seite 88-89
18. August 2011 10:59
Thorsten Krämer
Es regnet, und dann wird es schlimmer:
Der Regen findet keinen Schluss,
Fast so, als ob er regnen muss.
Es regnet, regnet einfach immer.
(für Ror Wolf)
12. August 2011 13:53
Gerald Koll

nicht lange, und schon hatten die waldschnecken die ferne kusine miss mandys in einen weichen mantel geschmiegt. als was würde sie beim nächsten regen herausschlüpfen?

„die erste weiße flagge, die, wenn man sie schwenkt, bewirkt, dass der gegner aufgibt.“ (Jan aus Lausanne über die olfaktorische wirkung von aikido-anzügen nach dem einwöchigen sesshin)
6. August 2011 20:31
Gerald Koll
die verspätung der fernen kusine zum tee bei miss mandy in urnäsch …

beruhte allerdings auf ereignissen, die schauerlich genug waren.
5. August 2011 19:26
Sylvia Geist
Verschüttete Milch
Die Piazza liegt parat, doch die Audienz,
vom Amt verkauft als Tête-à-tête und
eben überstanden, ging verloren im Blackout.
Die Tasche fehlt, ihr dünner Griff der Faust.
Zurückverdammt, und schnell, bevor
die Prozession beginnt, ein Purpuralp aus
Samt, Verhängen, schwindelnden Emporen,
die apostolischen Portiers perfekt versteckt
in monochrom gesponnenen Passionen –
Die Tasche ist noch da
und heil unter dem leeren Stuhl,
die Heiligkeit pausiert. Das Kinderding:
Sein weißes Kunststoffmäulchen
gähnt, sein Babyrachen, harmlos, zahnlos,
loht, dass ein Myriadenwurf von Mäusen flieht,
entrinnt übern verrohten Teppich, rennende Kohorte
und geronnen, Tropfen, die es zur Schwelle zieht.
5. August 2011 00:49
Gerald Koll
miss mandy saß heute in urnäscher bergen auf gebärenden schnecken und empfing gäste zum tee.

herr moll kam fast pünktlich, die verspätung der fernen kusine verstimmte.
4. August 2011 20:38
Mirko Bonné
Du sitzt im Bett und liest
in lautem Französisch vor,
was Ferdinand Hodler 1888
am Ufer des Genfer Sees malte.
Im Radio singen Tote vom Leben
in Amherst, am Connecticut River,
dann meldet eine Radiosprecherin
das mitternächtliche Hochwasser.
Ich schlage die Dardanellen nach
– und finde die niederdeutsche
Entsprechung für Moorgrund,
die torfartige Schicht Darg.
*
3. August 2011 20:23
Gerald Koll
wie das regnet in urnäsch!
betäubt sind aikidoka und kühe,
nasser als wiesen,
kein läuten, kein klongeln aus almen
nur regen und regen ringsherum,
in den anzügen, eingelegt in schweißmolke,
die nicht lüftet, nicht trocknet
bis zum nächsten und nächsten
training im klitschigen urnäsch.
3. August 2011 13:53