Mirko Bonné

di feuerflex

Zur Erinnerung an Thomas Kling (5. Juni 1957 – 1. April 2005)

Hoch droben in einem der Mundsburger Drillingstürme, im damaligen Büro der Hamburger Kulturbehörde, sprach ich an einem Sommertag 1996, kurz bevor mein Sohn geboren wurde, zum ersten Mal mit Thomas Kling. Es war für mich ein furchteinflößendes Erlebnis, Kling auf der Raketenstation Hombroich anrufen zu müssen, damit, wie ich erst sehr viel später begriff, diese lästige Aufgabe der Kulturreferent von sich abschütteln konnte. „Wer sind denn Sie?“, fragte mich Kling denn auch und schob, ohne meine Antwort abzuwarten, nach, ich sei wohl nicht ganz bei Trost, ihn bei der Arbeit zu stören. „Also wer, bitte, sind Sie?“
Ich saß an der Fensterfront des Büros, blickte hinaus über die Stadt an einem vernieselten grauen Tag und sagte kleinlaut wie ein eingeschüchterer Hund, der verblüffenderweise sprechen kann, ich sei ein junger Hamburger Dichter und hätte die Aufgabe, zu seiner Lesung im Literaturhaus aus seinem neuen Gedichtband wände machn eine Einführung zu sprechen, di feuerflex würde ich sie nennen.
„Aha. Ein junger Dichter also“, sagte Kling. „Sie dichten also, Sie Jungspund, ja?“
„Gelegentlich.“
„Nun werden Sie mal nicht gleich frech, Sie Talent. Mit Dichtern oder mit Poeten nämlich rede ich für gewöhnlich nicht. Da hört für mich die Kommunikation fast augenblicklich auf.“
So ging es weiter, etwa zehn Minuten lang. Es hagelte Verunglimpfungen, Dispektierlichkeiten und bitteren Spott, doch so selbstgefällig arrogant die schneidende, nur wenig ältere Stimme daherkam, seltsamerweise war nichts davon wirklich verletzend.
Mehr und mehr hatte ich das Gefühl, einer ausgeklügelten Panzerung gegenüberzustehen. Verbale Stachelformation. Ich konnte miterleben, wie in einem hochaufgerüsteten wehrhaften Fake militant aggressive Sprache als poetischer Molotov-Cocktail eingesetzt wurde, der Respekt einflößte und auf Abstand hielt.
Einmal, fünf oder sechs Jahre später, begrüßte mich Thomas Kling vor einem gemeinsamen Auftritt hinter der Bühne mit den Worten: „Wie sagte schon der Hauptmann von Köpenick? ‚So weit also wär’n wa jekomm‘!’“
Unser erstes Gespräch allerdings endete damals unsanft, mit einer Detonation. Nervös, wie mich sein Herumhacken auf mir gemacht hatte, spielte ich mit der auf dem Schreibtisch liegenden Beamtentastatur herum.
Kling, der das hörte, schnauzte mich durchs Telefon an: „Sagen Sie mal, Sie, schreiben Sie etwa, während Sie mit mir sprechen? Sind Sie noch zu retten?“

*

1. April 2011 10:24










Sünje Lewejohann

alles dir

bitte sehr: alles gehört dir.
mein frühstücksgedeck, mein garderobenplatz, mein schlüsselbund, sogar
mein seemannsgarn, der tabak und der pfeifenrauch.
nimm dir auch das geweih von der wand, den zierteller und
den ausgestopften hasen, sein pelz ist weich und sein blick
so froh.

geh liebster, es wird sich einiges finden. dein
langersehntes liebesnest, was davon bleibt, das nehme ich noch mit
in mein lausiges herz. wer will schon einen lächelnden hasen, das fragst du noch
ein wildes tier sollte immer nur grausam sein.

ich weiß ja, wie das leben spielt und siehts du, meine hände halte ich
noch immer ausgestreckt
auch das gehört dir, das sofakissen, dieser streifen ausgehhaut. ich
lahme nun, da kommt nicht mehr und das gehört dir auch.

31. März 2011 07:30










Björn Kiehne

Feldweg

Wolken treiben
durch die Pfützen –
Sand,
unter deinen Schritten.

Am Ackerrand,
gebeugtes Gras –
auf deinem Weg
in den Wald.

Dort,
wartet das Schweigen,
der Geruch feuchter Erde,
gefallenes Laub.

Du trägst Laub
in den Wald,
legst Blätter
unter Bäume,
atmest die
gefallenen Jahre
tief ein
in diesen Tag.

30. März 2011 13:43










Mirko Bonné

Psalm

LOL
FYI
OMG

FYI
LOL
OMG

OMG
LOL

LOL
FYI

*

29. März 2011 11:33










Markus Stegmann

Ajdabiyah

sind wir dran zwei
hinter vorgehaltener hinter
brennenden augen
zerstörter radar als ich
den schleier legte
treten vier ins gegenlicht
verhängte gewehre
verkreuzte zeitungsgesichter
drei reihen nieder zum gebet
panzerfäuste in reihe
münden ein betender kopf
vorn sein karton hinten das
gebundene kind
koffer über koffer decken
drehen drei flieger
abwärts

27. März 2011 22:09










Thorsten Krämer

Abschied vom Holodeck

3. Universal Serial Blood

Was sich dieser Tage alles Mensch nennt: eine Schwundstufe
nur, dies Pflanzenfresser-Leben. Sie messen ihren Ruhepuls
und haben nur den einen. Ein kabellos vernetztes Trauerspiel
mit doppeltem doppeltem Boden.
                                                             Wir aber sind
die wahren Datenträger: wir geben, was wir nehmen; in uns
pulsiert die Information. Was uns vereint, ist Hunger.

27. März 2011 15:51










Mirko Bonné

Highwayman

I was a highwayman. Along the coach roads I did ride
With sword and pistol by my side
Many a young maid lost her baubles to my trade
Many a soldier shed his lifeblood on my blade
The bastards hung me in the spring of twenty-five
But I am still alive.

I was a sailor. I was born upon the tide
And with the sea I did abide.
I sailed a schooner round the Horn to Mexico
I went aloft and furled the mainsail in a blow
And when the yards broke off they said that I got killed
But I am living still.

I was a dam builder across the river deep and wide
Where steel and water did collide
A place called Boulder on the wild Colorado
I slipped and fell into the wet concrete below
They buried me in that great tomb that knows no sound
But I am still around … I’ll always be around … and around and around and around and around

I fly a starship across the universe divide
And when I reach the other side
I’ll find a place to rest my spirit if I can
Perhaps I may become a highwayman again
Or I may simply be a single drop of rain
But I will remain
And I’ll be back again, and again and again and again and again

Jimmy Webb, 1977

*

httpv://www.youtube.com/watch?v=uw1bHaUk1CM

The Highwaymen
Willie Nelson, Kris Kristofferson, Waylon Jennings, Johnny Cash, 1990
Schöne Versionen gibt es auch vom Songschreiber Jimmy Webb gemeinsam mit Prefab Sprout-Sänger Paddy McAloon sowie seit kurzem von der Düstergitarrenband Arbouretum aus Baltimore.

*

26. März 2011 11:12










Sylvia Geist

Limette, backstage

Ich wusste, du hast sie.
Grüne Zellen, Kapselwasser, Geschmack
entgegen der Zunge, die auf Süßes sinnt.
Nennen wir sie so oder wenn wir sie teilen
Limes, du wirst sehen, das Ganze
ist einfach.

Dich hat man von einem Trapez gepflückt,
mich, glaube ich, aus einem Einkaufskorb
im Winter, jetzt danken wir dem Zufall,
an einer menschenfreundlichen Variante
seines Spaziergangs mitzuwirken.
Wir brauchen unsere Feinde nicht

zu lieben, wir sind Teilchen
der Komparserie, die vorüberzieht, während
Moses noch Horesmores erzählt wird,
und singen Weitergehen, hier gibt es nichts
zu sehen
, den Slogan des Mysteriums.
Nimm nur diese Hälfte: sieht das nicht aus

wie ein sehr kleiner Stern,
dieses bitterliche Strahlen um eine Mitte?
Als hätten wir es besser machen können.
Den Mund geheftet unter Vitamin,
stärken wir uns, wenn es sein muss,
im Gehen, alle seine Gaben sind gut

und verderblich. Das Spiel geht weiter,
man schreibt, glaube ich, den Vorhang
Hundertvierundvierzigtausend in Worten, es ist
Montag, und wir müssen wieder los,
loben im Chor, brennen in Schichten,
das ist der Lohn.

21. März 2011 15:50










Kerstin Preiwuß

camera silens

ich habe gedeutet dem könig
bedeutet es nichts der gerüchteküche
bedeutet es alles sie meint
er hängt an seinem glück
er zieht am mond mit einer strippe
schwört er den untergang herauf,
sie hat mich ermahnt
du sollst nicht schwarzäugig unken
in dieser finsternis, ägyptisch
echoen die grillen, früher zikaden
immer an der wand lang
immer an der wand entlang

21. März 2011 14:52










Markus Stegmann

staub auf mich (für liu xiaobo)

du wartest mit staub auf mich

atmet und verhängt das licht
zeigt mit balken den klaren
morgen einsam brennende
lippen werfen kalk der
knochenschutz-mantel
misst mindestens zwei hand
vermittelte treppe der sie licht
der sie roh gestemmte
sprache genähte zunge
verlegen eine scheibe klemmt
niedergestochene augen
hellen sich lang für lunge
hinter vorhängen
vorgehaltener mund
vergessene wie totentrauben
getrocknete finger die vertreiben
vorverhängte luft und schreiben:

du wartest einmal staub auf mich

21. März 2011 00:11