Andreas Louis Seyerlein

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2.26 – Eine jedem Propellerkäfer zutiefst verbundene Leidenschaft ist, auf Bäumen zu sitzen und nach Winden Ausschau zu halten. Sie sind in diesem Warten und Schauen außergewöhnlich geduldige Persönlichkeiten. Wochen, gar Monate sitzen sie kaum wahrnehmbar in Gestalt kleiner Zigarren auf knorzigen Ästen, Stämmen und Blättern herum, indessen sie ihre Augen stets geöffnet halten, blaue, sehr blaue Augen, selbst wenn sie schlafen, was nicht ganz sinnvoll zu sein scheint, weil doch heranwehende Winde eher zu hören als zu sehen sind. Wenn man nun einen Propellerkäfer bei seiner leidenschaftlichen Arbeit, insbesondere den Präludien seiner Arbeit beobachten möchte, sollte man geduldig sein und immerfort an seiner Seite, weil man nie vorhersagen kann, ob ein Wind, der sich näherte, unserem Propellerkäfer gefallen wird. Manche Winde, so seltsam das erscheinen mag, noch feinste Stürme, die vom Meer her kommen, lassen unseren Propellerkäfer völlig kalt, während bereits die leiseste Ahnung ganz anderer Winde, heftigste Erregung erzeugen kann. Dann, von einer Sekunde zur anderen, ändert der Propellerkäfer seine Farbe, ob er nun will oder nicht, er sieht jetzt ein wenig so aus, als würde Feuer in ihm brennen. Seine Füße indessen haben kleine Zehen ausgefahren, Phantasien der Natur, rein nur zur Verankerung ausgedacht, weil der Propellerkäfer sich sofort wild entschlossen mit jedem seiner Propeller gegen den Wind stemmen wird. Stürme, gerade Stürme will er fangen. So sitzt er mit geschlossenen Augen hinter pfeifenden Rotoren bebend und knistert und wartet, wartet bis all das wilde Wetter vorübergezogen sein wird. Der Ordnung halber sei folgendes noch rasch gemeldet: Propellerkäfer sind friedvolle aber doch gefährliche Wesen, sobald sie aufgeladen sind. Mal haben sie sechs, mal acht, mal zehn Propeller, die sie je in ihrem Leib verbergen, um für Wochen, für Monate wieder zur Baumzigarre zu werden. Jetzt hören wir sie leise und zufrieden knallen.  

 

propeller

> particles

14. Februar 2009 06:30










Sylvia Geist

Manitoba

Dein Nachbar hat seine Schindeln
weggelegt neben die ausgedienten
Nägel und die Kinder

nebenan das Lachen, das du
an schlechten Tagen verdächtigst.
Um diese Zeit lacht niemand über

die Zäune. Die Dunkelheit der Häuser
streicht die Zeile, die Trampelpfade und
das Gebell und was immer zu hören ist: dies

ist der Platz, beleuchtet von nur diesem Tag.
Dort rücken wir die Stühle aus den Hageln
des Nussbaums, die hirnschönen Kerne liegen

weiß und bitter bloß zu früh.
Wie Angehörige einer alten Religion
beugen wir uns der Augenzahl der

Blätter, schütteln unsere Deutungen ab
und noch einmal beschreibst du mir das
Wild mit der falschen Frage.

13. Februar 2009 12:00










Hendrik Rost

Blindbewerbung

Erst ein paar Fakten zu mir:
Aufgrund meiner intellektuellen
oder auch kulturellen Fähigkeiten
als Mensch bin ich in der Lage,
mich veränderten Umweltbedingungen
sehr viel besser und schneller
anzupassen als jedes andere Tier.
„Die Aussicht auf einen zukünftigen
Hunger macht mir schon jetzt Sorgen.“
Im Übrigen gelte ich als direkte
und größte Schöpfung eines
oder mehrerer Götter.
Als Mensch bin ich vermutlich stärker
als jedes andere Tier in der Lage,
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
in kausale Zusammenhänge zu bringen.
Ich kann Handlungen vergleichen,
planen und teilweise eine Zukunft
kreativ entwerfen und erreichen.
Das alles in komplexer Sprache,
die differenzierte Aufgabenteilung ermöglicht.
Als Mensch bin ich in der Lage,
die Lebensbedingungen meiner Art
durch Arbeit willentlich zu gestalten,
solange ich mir die Tätigkeit aussuchen kann
und keine Hindernisse mich aufhalten.
Menschliche Individuen wie ich
sind sich ihrer Sterblichkeit bewusst.
Wann kann ich anfangen?

12. Februar 2009 15:28










Sylvia Geist

agarden

: a garden

12. Februar 2009 08:35










Hans Thill

Propheten (15): Michail Bakunin

B. war ungewöhnlich groß und massiv, sein Gesicht aufgedunsen, unter seinen hellgrauen Augen lagen dicke Wülste. Seinen mächtigen Kopf krönte eine hohe Stirn; am auffallendsten war jedoch sein halbergrauter, krauser Backenbart. Er kleidete sich keuchend an, und von Zeit zu Zeit starrte er auf mich. Beim Sprechen stieß er stark mit der Zunge an, da ihm viele Zähne fehlten. Als er sich bückte, um seine Stiefel anzuziehen, bemerkte ich wie sein Atem stockte. Als er sich wieder aufrichtet, begann er sehr schwer zu keuchen – der Atem ging ihm aus, sein aufgedunsenes Gesicht wurde blau. Dies alles wies darauf hin, daß seine Krankheit bereits in hohem Maß fortgeschritten war … Später erschien Saizew, und es ergab sich ein Gespräch über den Aufstand in Barcelona, der mit einem Mißerfolg endigte. B sagte, die Revolutionäre selbst trügen eine große Schuld am Mißlingen des Aufstandes. Man hätte die Amtsgebäude in Brand stecken sollen! Das muß bei einem Aufstand der erste Schritt sein – und sie haben es nicht getan. Er war ganz erregt.

(Aus: Erinnerungen von Debagorij-Mokriewitsch, russ. Manuskript, Paris 1894. Zitiert nach: Horst Bienek, Bakunin eine Intervention. Hanser München 1970.)

12. Februar 2009 04:40










Marjana Gaponenko

Kismet

Dieses Zimmer betrete
nicht ich.
Ich sitze nicht da am Fenster,
raschele nicht mit der Zeitung.
Wie ein Staubkorn gerate ich
nicht in den Blick dir ins Auge,
Kind. Es ist etwas.
Es ist’s.
Aus dem Hut zaubert es nichts
als sich selbst, nichts als sich,
nichts.
Laß es, mein Bruder,
wozu dieser bittere Mund?
Niemand ist tot der noch lebt.
Wir können nicht sterben
auch wenn wir wollten.
Wir waren, wir sind –
jeder für sich
als Gott im eigenen Wort
Saft im Baum des eigenen Lebens,
eilend, aufflammend darin.
Aber hier können wir wenig,
vermögen nicht einmal
die Hände zu heben.
Im Traum träume ich vom Feld
in dem unser Rennen beginnt:
du rennst zu deiner, ich zu meiner Mitte,
mit Fahnen, die wir anzünden,
rennen wir durch uns hindurch
unendlich…

11. Februar 2009 19:51










Sünje Lewejohann

wieder eingefallen

am ortsausgang kroch dir schnecke den daumen entlang. niemand tat etwas. als der wind pfiff und man mit den augen sich an der spur entlang tastete, den spurrinnnen glauben schenkte, mehr war nicht einmal nötig. ich habe dir gesagt: laß dich nicht tragen. vom wind nicht, vom wasser nicht. kriech an der hecke entlang, bleib nahe an den büschen. es schießt, wie immer, aus allen ecken. hinter den gardinen leuchteten die fotos grell aus all den jahren. sich weiter um die büsche schleichen, drück dich auf den rasen, das sagte ich, ich bin nicht sicher, war es das?. die schnecken krochen ihren weg über die brauen. bräutigam sein und braut: je nach dem.  wir lachten noch lange, weil er im kleid bei uns blumen streute. auf all den fotos, jahre her. bevor sie weiter schossen, der wind um die häuser pfiff, und wir dann froh waren unter dem ortsschild mit dem durchgestrichenen namen. wo man schlafen konnte, das gesicht auf das gras legte. ich die leichten finger auf dem jochbein.
suenjebaum

11. Februar 2009 00:01










Mirko Bonné

Astroland

Das Meer war so laut! In der Luft Wogen,
und Himmel und See vom selben Grau:
Über den Holzpier kam bloß ein Schwarm
lachender Vögel aus dem Nebel herein.
Frachtschiffe waren zu hören, ihre Hörner
in Dunstschwaden vor Rockaway Point,
die Brandung, die Gischt, Seevögel. Leicht
flogen sie einen Bogen um das verrostete
Riesenrad bei der Mondrakete und segelten
durch die Karussells. Und der Nebel stieg
vom leeren Strand auf, hüllte Mietblocks ein,
Gondeln der Balkone, aus Feuertreppen
die Achterbahn im Coney Island der Möwen.

*

10. Februar 2009 20:12










Hartmut Abendschein

Grüne Dinge (notula nova 4)

Die strenge Konsequenz, aber auch das, was das Eigentümliche (die quidditas, Washeit und die spezifische Differenz des Haiku, der EPIPHANIE und der BEGEBENHEIT (incident, H.A.)) ausmacht, ist der Zwang zum Nicht-Kommentar. (Barthes, Vorbereitung, ?)

Montaigne: So gibt es triumphale Niederlagen, die es mit jedem Sieg aufnehmen können.

Nebel lichten sich 
Kähne
vertäut an dem Steg 

Zwei müde Fischer

Seit Nächten immer die gleiche Sequenz eines spannenden Hörspiels lauschen. An der immergleichen Stelle in einen tiefen Schlaf fallen. (Die Bedeutung dieser Stelle. Narkotische Dichtung? Spez. sprachl. Eigenschaft oder Atmosphäre? Der Beschluss, diese Stelle auch einmal tags zu hören).

Bruder Klaus hat seine Familie verlassen, um sich in einem angrenzenden Tal zu Tode zu hungern. Wo ist da der heilige Moment? Und die quidditas?

Notiz (notula) > Nota (notatio). (Barthes, 15). In der Notula also die Beschaffenheit eines Textes vor der Überführung in ein anderes Medium. Vor dessen Bearbeitung, Formenwechsel, Form. (Das ungeschliffene Ereignis, incident? Ursprünglichkeit?)

Surfgitarren. (Geschmeidig, beiläufig). Green things have entered my skin. (So far: Ich kann mich nicht erinnern je ein Mofa besessen zu haben. Ich kann das allerdings auch nicht ausschliessen.)

Und: Die Welt scheint nicht so informiert zu sein, wie viele denken. Kein Mensch schrieb über den Vulkanausbruch am vergangenen Tag bei Luzern.

“Satori” aber auch mit Blitz zu übersetzen. Die Entladung zwischen zwei Schichten. (Das Leuchten, das Beobachten dessen, Lesen, Nachvollziehen, Erkennen. Doppeltes Blitzen. Donnern?)

10. Februar 2009 20:05










Kerstin Preiwuß

hausieren

in diesem jahr ziehe ich
straßenlang um
 
ist das ein habicht
wispert das dorf
 
ich schnäbel doch nur

9. Februar 2009 20:20