Thorsten Krämer
Einmal sah ich hier eine Horde Germanen
durch den Wald laufen. Sie stürmten schreiend
den Hang runter bis vor die Blue Lounge. Dort
tranken sie Latte Macchiato im Stehen und
warteten auf den Bus.
                           Eine Stadt wie
ein Symbolfoto: der Mittelstand, das Mittel-
gebirge, das mittlere Einkommen in the heart
of the heart of the Süderland.
                                     Und der Zug
schlängelt sich durch die Landschaft wie das
weiche Deutsch eines Persers.
28. Dezember 2017 11:56
 
 
	
 
Tobias Schoofs
lametta à la schlange im laub
zwei burschen durchs gebüsch
im glanz der weihnachtskugeln
frisieren räuber sich häng bloß
nicht auch noch hirsche hin
zitier auch keine römer was im
kino läuft lass unerwähnt für
themen ist der wald zu finster
bis zum wirtshaus mische bloß
mediales nicht mit medialem
24. Dezember 2017 13:20
 
 
	
 
Thorsten Krämer
Der Moment in der RB48, kurz nach Mitternacht, wenn die
junge Frau am Fenster gegenüber auf den Klappmülleimer
kotzt, du hörst das Plätschern und blickst auf, reichst wortlos
ein Paar Taschentücher, wie sie dann aufsteht und in Richtung
Türen geht, und wieder hörst du dieses Plätschern — kein
lautes Würgen, Husten oder Spucken, nichts Expressives oder
Körperliches — nur dieses sanfte, freundliche Geräusch, die
unerschütterbare Unaufdringlichkeit.
22. Dezember 2017 17:55
 
 
	
 
Claudia Gabler
Nun itz wiedder Weihnachtsseid – und ich willl einen Puntsch an mich selber riechten,
(das Grüßtkind macht eh nie, was ich willl) ::: Schreib, alte Sogge, wieder mehr
für das Nerz. Das Nerz ist der Ort, wo alles bassiert, was sonsd nirgens bassiert.
Und auch wenn du mal den Anschluss verlohren hast oder meinst, den Anschluss
verlohren zu harben, dann denk einfach: denk nicht daran, ist ja auch wurscht, gib
einfach die alten Codes wieder rein und raus kommt vielleicht ein Gedircht oder
gar Lyrrik. Also versprochen, die ollen Soggen sind ja auch wirklich nicht mehr die
fischesten. Schönes Fezz und auch was dannach hofferlich komt!  
22. Dezember 2017 12:04
 
 
	
 
Christian Lorenz Müller
Rote Kerzen, rotes Gekugel,
Glühweintassen schmelzen Blut
in die Eiszapfen-Finger.
Der Flügelschlag eines Schneeschauers
verkündigt das Eintreffen
einer weiteren Kaltfront.
Kinder hüten Schafe im Streichelzoo,
Touristen aus dem Morgenland
folgen dem Leuchten
ihres digitalen Sterns.
Weihrauch wölkt von den Mündern,
golden gleitet das Christkind
gleiten die Münzen
von einer Tasche in die andere.
Am Ausgang kniet einer nieder
und übergibt sich,
gleich neben einer Roma-Frau.
Ein paar Münzen klimpern
auf das zerknitterte Bild
von Mann und kleinem Kind
in ihrer Bettelschale.
Weiße Plastiktüten
voller Weihnachtszauber
werden zum Parkplatz getragen.
21. Dezember 2017 11:32
 
 
	
 
Andreas H. Drescher
Nikkei
der zahme Orca
hat seiner Trainerin
nach zwanzig Jahren
beide Beine abgebissen
Ihre Frisur allerdings
hat keinen Schaden genommen
deshalb nimmt sie das mit Gleichmut auf
Sie kann beweisen dass das nicht der Gleichmut einer Idiotin ist
Denn Nikkei ist jetzt ihr Unterkörper Sein Blasloch beatmet sie stetig
19. Dezember 2017 15:04
 
 
	
 
Mirko Bonné
Jede Nacht zwischen halb
vier und halb fünf wachte er
auf und trat ans Fenster, und
stets war er da auch draußen
unterwegs auf der Straße,
als Hund vielleicht,
                       oder
er schwankte als welkende
Stockrose an einem Zaun durch
das Dunkel. Er lag im Bett. Er
schlief und war zugleich
unterwegs unter
Bäumen.
           Lange stand
er im Zimmer am Fenster,
war ruhelos und lief so müde
wie unermüdlich, ob in seiner Stadt
oder einer anderen, zugleich
durch das schlaflose
Hereinbranden,
                   das Herein-
branden und -branden des Lichts
der Sterne. Das Sternenlicht.
Jede Nacht die Sterne.
*
17. Dezember 2017 12:13
 
 
	
 
Julia Trompeter
Ich bin verwirrt. Der Schnee von draußen wiegt.
Der Kirchturm schlägt sich Schneisen in die Luft
mit seinem schweren Ton von anno dazumal.
Die Mischungen der Töne in c-moll und der Gesänge
im Wohnraum zum dritten Advent: leise und laut.
Und immer wieder wird die Alltagssinfonie,
die sich in den Dezembermorgen schmiegt,
von einem frechen Hundetext durchjault.
17. Dezember 2017 11:08
 
 
	
 
Andreas H. Drescher
Autokorso / Der Bürgermeister mit der schmalen Unterlippe / Pillen / Das Schielen aufs Stadtwappen / Ein Taschenrechner / So viel Zuneigung / Die terrassierten Uferböschungen / Ein Ball im Flussbett / Ein Ball in der Kläranlage / Dem Bräutigam gelingt es schwanger zu werden / Statt der Braut und statt der Schwiegermutter / Schmerzlose Reisen durch das Kindbettfieber / Der Schluckauf des Bürgermeisters autokratisch / Er lässt den Ball aufsteigen / Aus dem Seim / Aus dem Flussbett / Apfel-Schaumbad darin / Der bleiche Säugling / Bis in die Bläschen hinein die Rebellion des Taufregisters / Leder / Schartig geworden / Der Ball ist eben aufgerissen / Und das Kind in seiner Geburtsurkunde versteckt 
15. Dezember 2017 22:21
 
 
	
 
Julia Trompeter
Unendlich lange, immerwährende Traurigkeit,
zwischen den Hügeln aufgespannte Leine,
die das Auge an einen Berghang kettet, der, oben abgeflacht,
die Akropolis streift und alles mit dem Schwarz der Pupille verbindet,
drüber und drunter nichts als blauer Himmel, und immer wieder
ein arges Würgen, Auswringen des Zwerchfells:
Not, Not, Not! Überall Krise, auch im eigenen Interesse
sollten Sie diesem Text etwas schenken,
Aufmerksamkeit zum Beispiel oder ein paar
mut- und muntermachende Tränen,
gibt es denn Freiwillige, die auf der Leine tanzen wollen,
oder was war das eben für ein zustimmendes Rauschen
in den Pinien, den Olivenbäumen, den Mandarinen,
oder war es das Klirren der Eiswürfel im Kaffee,
das plötzlich gefrorene Herz der Zikaden?
12. Dezember 2017 15:56