Christian Lorenz Müller
Tel Aviv
Tel Aviv, du baust dir deine Klippen
aus Stahl und aus Glas,
dein Autoverkehr brandet bis in den Sabbat
und immer kreisen die Möwen, die Maschinen
über Ben Gurion.
Tel Aviv, deine Falafel
sind Muscheln voll knuspriger Perlen,
deine Palmen schwimmen,
grüne Quallenschwärme, im Wind.
Tel Aviv, deine Wellen
tragen gläubige Surfer
zu einem Gott aus Endorphin,
deine Jugend liegt als öliger Tang
im warmen Sand
und immer verblaust du die Tage.
Frühling im Negev
Grüne Pfützen in der Wüste,
grünes Glucksen in den Wadis,
Gesprudel rings um ein Kibbuz.
Schafe schwimmen im Gras,
ein watendes Kamel.
Die Baracken der Beduinen
treiben durch den Tag.
An den Bushaltestellen
warten Ausflügler, keine Soldaten.
Halbautomatische Gewehre
haben sich in Paddel verwandelt.
Das pralle Schlauchbootblau
des Himmels
und eine junge Frau
die ihr Haar wie ein Handtuch
über die Schulter wirft.
Westliche Mauer
Die heiße Stirn
an der kühlen Vollkommenheit
des Steins: So hoch ist Gott,
so unbezwingbar hoch,
er kennt keine Tür,
öffnet sich, wenn du
mit deinen Küssen anklopfst,
wird weit, wenn du
die Ritzen, die Spalten
mit bekritzeltem Papier verfugst,
mit deiner weißen Sehnsucht.
Deine Seele, Charedi,
ist ein Mauersegler,
immer streicht sie
die große Wand entlang.
22. Juni 2018 10:11
Christian Lorenz Müller
Watet durchs Wasser:
Mit Stiefeln aus Haut, hinauf
bis über die Knie.
6. Juni 2018 09:13
Christian Lorenz Müller
Henkellose Kaffeetasse mit Deckel,
Trauer-to-go
an einem ganz gewöhnlichen Nachmittag.
Schwarz, aber nicht zu stark,
drei Stücke süßlicher Musik,
ein paar milchige Sätze.
Zwanzig Minuten Pause
von der Unsterblichkeit,
aber nur ein vorsichtiges Nippen
und beim Hinausgehen die Frage
Wohin damit? Die Antwort
liefert ein Aufkleber: Bio,
zu hundert Prozent kompostierbar.
14. Februar 2018 13:42
Christian Lorenz Müller
Wenn weiß sich an weiß
verschwendet, wenn die Stille
dich flockig umtanzt.
Wenn deinen Schieren
ein Fell wächst, wenn du lautlos
durch die Wälder schnürst.
Wenn du talwärts stiebst,
wenn du die Lawine bist,
die sich selbst verschont.
Wenn du gehst und gehst
und das Tal vergisst, wenn du
weißer wirst als weiß.
12. Februar 2018 09:01
Christian Lorenz Müller
Schießt lieber eure Idioten zum Mond
als eure Autos ins All.
7. Februar 2018 12:47
Christian Lorenz Müller
Nicht „in guten wie in schlechten Zeiten“
sollte es heißen, sondern „bei guter
wie bei schlechter Laune“.
Im Hafen der Ehe liegen nicht nur
Kreuzfahrtschiffe, sondern auch
Handels- und Kriegsschiffe vor Anker.
In jeder Ehehölle leben zwei Teufel,
die gleichzeitig zwei gequälte Seelen sind.
13. Januar 2018 12:42
Christian Lorenz Müller
– Bilder, Metaphern
reduzieren. Maximal
zwei, drei pro Gedicht.
– Und keinen melan-
cholischen Qualm mehr, keine
tränenden Augen.
– Dafür Bewegung.
Der Nadaismus* sei mein
neuer Fitnesstrend.
Ade, du süßes
Schreiben! Nun gilt das schlanke,
gesunde Gedicht.
*www.nadaproductions.at/img/pdfs/das%20BMN.pdf
2. Januar 2018 12:57
Christian Lorenz Müller
Blumensträuße aus Licht,
ein Bouquet aus weißen Explosionen.
Rot aufzuckende Rosen,
das gelbe Knallen
unzähliger Narzissen.
Hunderte von Gläsern werden befüllt,
Vasen, fassen sie vielleicht
den Augenblick.
Alles welkt binnen Sekunden.
Die verwesende Süße verschütteten Alkohls,
der schmutzig getrampelte Schnee.
Am Morgen überall
die dürr gewordenen Stängel der Raketen,
zu Scherben zerfallenes Grün
das ein Betrunkener durchknirscht.
1. Januar 2018 13:04
Christian Lorenz Müller
Rote Kerzen, rotes Gekugel,
Glühweintassen schmelzen Blut
in die Eiszapfen-Finger.
Der Flügelschlag eines Schneeschauers
verkündigt das Eintreffen
einer weiteren Kaltfront.
Kinder hüten Schafe im Streichelzoo,
Touristen aus dem Morgenland
folgen dem Leuchten
ihres digitalen Sterns.
Weihrauch wölkt von den Mündern,
golden gleitet das Christkind
gleiten die Münzen
von einer Tasche in die andere.
Am Ausgang kniet einer nieder
und übergibt sich,
gleich neben einer Roma-Frau.
Ein paar Münzen klimpern
auf das zerknitterte Bild
von Mann und kleinem Kind
in ihrer Bettelschale.
Weiße Plastiktüten
voller Weihnachtszauber
werden zum Parkplatz getragen.
21. Dezember 2017 11:32
Christian Lorenz Müller
to trump – Trumpf spielen, auftrumpfen
to come up trump – etwas auf die Reihe bringen
to trump up – erfinden
to trump somebody – jemanden ausstechen
to trump something up – übertreiben; etwas vorgeben, das nicht der Wahrheit entspricht
7. Dezember 2017 12:38