Christian Lorenz Müller

HAARIGE ZAHNSEIDE (Drei Aphorismen für Affen)

Kreationisten wollen nicht wahrhaben,
dass sie vom Affen abstammen. Das ist verständlich.
Es gibt immer Menschen, die sich für ihre
Verwandtschaft genieren.

Thailändische Tempelaffen benutzen
Menschenhaar als Zahnseide. In China wiederum
sah ich an einem Imbissstand einen Menschen,
der sich die Zahnzwischenräume mit einer
Hühnerkralle reinigte.

„Mach dich nicht zum Menschen!“, mahnte
der alte Affe im Zoo einen Jungspund, der Bananen
durch das Gitter warf.

12. April 2017 11:39










Christian Lorenz Müller

HANDSCHUHE INS GRAS

Ein warmer Wind
bindet die Birke so grün.
Der frisch gekehrte Himmel
und mein besenreines Herz.

Ich setze mich an den Fluss,
an das sonnenblanke Fenster,
werfe meine Handschuhe ins Gras
und ich sage:
Zwei nutzlos gewordene Wischlappen!
Schau, welch aufgeräumter Stimmung
die Leute sind, die auf der Lände liegen.

Du hast Feierabend
und das am frühen Nachmittag.

29. März 2017 13:04










Christian Lorenz Müller

DREI APHORISMEN FÜR REZENSENTEN

Die Rezensenten schrieben den Erfolg herbei. Als er angekommen war,
erwies er sich als lustloser Geselle, der dem Autor auf die Bühne folgte
und kein Wort herausbrachte.

Hauptsatzprosa: Arm- und beinamputierte Sprache, für die Rezensenten
nicht selten die Prothesen liefern.

Man lobte die Autorin für die „Alltagstauglichkeit ihrer Sprache“.
Was war damit gemeint? Dass sich dieses Buch in der U-Bahn lesen
lässt oder aufgeschlagen werden kann, bevor man den Müll runterbringt?
Alltagstauglich wie ein Waschlappen, ein Stück Seife oder das
Wohnzimmerparkett?

23. März 2017 11:50










Christian Lorenz Müller

DIESER SONNTAG IST DAZU DA

Das gelbe Schwärmen der Palmkätzchen
unten am Fluss, das Summen
zahlloser Spaziergänger.

Ein Licht wie Fliegenleim,
von Joggern, Radfahrern umzappelt.

Im Schatten liegt noch Eis
auf einer Pfütze.
Dieser Sonntag ist dazu da
auf die Sonne zu warten,
auf das schmelzende Schillern
des Chitins, sein Aufglänzen
und sein Verschwinden.

13. März 2017 12:12










Christian Lorenz Müller

DER DIE WELT ZERFLOCKT (Fotografien von Johannes Seyerlein in Haiku)

I

Etwas wie Schnefall
zwischen Stamm und Zweig, Schneefall
der die Welt zerflockt.

Und das Auge irrt
nach Konturen, erkennt nichts,
erkennt nur sich selbst.

Und die Betrachtung
wird zum Biwak. Du weißt dich
draußen, weil du frierst

II

Dann zieht sich der Schnee
auf Stämme zurück. Birken
wissen vom Winter.

Der schmelzende Schnee
schwärzt die Erde. Was weiß war
klebt an den Stiefeln.

Und das Unterholz:
Ein feuchter Verhau, der dir
all das Dunkle zeigt.

16. Februar 2017 10:12










Christian Lorenz Müller

VIER APHORISMEN ZU DONALD T.

Die amerikanischen Arbeiter sind Schafe.
Sie haben den Wolf zu ihrem Hirten gemacht.

Die Trump’sche Mauer: Ein anti-mexikanischer Schutzwall.

Wer Trump seinen Präsidenten nennt
gehört jetzt zum Establishment.

Diagnose: Dekretinismus.

30. Januar 2017 11:42










Christian Lorenz Müller

GEDICHT MIT TOUPET

Dieses Gedicht tut sich schwer damit
ein Toupet aufzusetzen.
Es will ihm nicht wirklich gelingen
richtig großkotzig zu sein.
Allein schon ein Adjektiv
wie great in den Mund zu nehmen
macht ihm wahrlich Mühe,
und es ist ihm schier unmöglich
einfach zu behaupten
andere Gedichte hätten keine Ahnung,
Hölderlins „Hälfte des Lebens“
hätte keine Ahnung, no clue, vom Herbst,
oder Jan Wagners Haikus
wüssten nichts von Regentonnen.

Aber da denkt das Gedicht
wahrscheinlich viel zu kompliziert.
Ein Gedicht mit einem Toupet
ist ein Gedicht, das keine Glatze zeigt.
– Also los, sagt sich dieses Gedicht,
lass endlich die Sau raus,
du kannst dir erlauben, Shakespeares Sonette
in der Übersetzer-Umkleide zu befummeln
und Inger Christenses „sommerfugle“
ins Panini-Album zu kleben,
du kannst dir alles erlauben,
weil du gleich im „Fisch“ gepostet wirst,
weil all die anderen Gedichte im Forum,
establishment, unter dir stehen werden.
Die allermeisten Anderen tragen ohnehin
längst ein Toupet.

19. Januar 2017 10:56










Christian Lorenz Müller

IM WEISSBAROCKEN GARTEN (SCHNEE IN HAIKU)

Die Kindertage
sind weiß und rund und haben
sehr rote Nasen.

Ein Kalligraph, tuscht
der Radler Unsicherheit
und Angst vor dem Sturz.

Der Brandungsdonner
des Räumfahrzeugs, die Gischt die
auf den Gehsteig fliegt.

Im weißbarocken
Garten fräst der Hausmeister
die Schneefontäne.

Und der Streuwagen
sät dunkle Kerne. Bald schon
sprießt schwarzer Asphalt.

An den Laternen
wachsen Eiszapfenzähne.
Sie blecken ins Licht.

9. Januar 2017 15:13










Christian Lorenz Müller

REIF

Nur für Minuten
Lichtreif im Himmel bevor
Dunkelheit ihn taut.

1. Januar 2017 00:51










Christian Lorenz Müller

HASSAN AL-ALMANI POSTET

Tausend Pferde, Brüder,
brachen aus der Koppel.
Kaum schnaubte die Maschine,
strauchelten die Feinde,
sie sackten nieder
wenn das verchromte Krummschwert,
wenn der Kühlergrill sie traf,
und wer entkam
dem geißelte der Dieselschweif
schwarze Angst ins Herz.

Brüder, in die Sättel!
Sprengt die Koppeln auf,
ein blutiges Al-Andalus
ist nun auch dieses Land.

21. Dezember 2016 12:25