Hans Thill

ueber hoelle

stairways to hell

25. Dezember 2011 23:24










Hans Thill

Die Beamten des Himmels (Agamben)

III Engel im Außendienst

1
Ich spitze mein Blei an der Haut, die
hornig zwischen den Fingern wächst.
Ich zähle bis acht, dann ist der Platz
in meinem Innern bereits überfüllt

2
Versammlung der Engel, bevor sie zu
reinem Licht erlöschen, bzw. die Finsternis
verdünnen mit Terpentin. Zwei, drei
von ihnen sind bereits zu Steinen
konzentriert

3
die man über die Erdkruste rollt,
um sie zu Bergen zu türmen. Ein
Sisyphus schmunzelt als Scherz
des Schöpfers

4
und uns fehlt die Sprache in diesem
Bereich, wo bereits ein Knurren
als Befehl gilt. Unter den Reisenden
ist die Sucht nach einem Wort
Strafe genug

5
schlimmer aber dann die
Verdrossenheit des Worts, gestoßene
Hörner, Kummer, unter dem vor allem
Frauen leiden, falls man das noch
Außendienst nennen darf

6
und nicht bereits Spießruten oder
Unterschlupf in einem feindlichen Element.
Jetzt legt sich die Sphäre in Falten aus
Gedankenmusik und der
abgestandenen Hitze des Pleistozän.

7
Ausnahmefleisch, Lust an Industria,
Theorie der Lücken, der Brocken
dazwischen aus irgendeinem
Kalifenlatein. Schau der Tänzerin in
die Augen. Wurde nicht die O
bereits von hier

8
abgeschickt? Durch die kalte Kalahari
als wäre sie eine Schattin und kein
pflanzlicher Anflug von Atemlosigkeit
beim Akt?

11. Dezember 2011 18:03










Hans Thill

Die Beamten des Himmels (Agamben)

II Politik der Akklamation

1
In der Sphäre übersetzen sich die Rufe der
Wesen, sie klingen in unseren Ohren wie
ein gefährliches Geräusch. Einer von uns
möchte den Rocksaum des Fürsten
gesehen haben

2
doch warten wir seit Tagen vergeblich
auf die Waffen der fliegenden Geister
mit ihren Fahnen und Kraftliedern
vom Aufstand der Welt. Eine alte
Zwischenrevolte, Laune des Lichts,

3
zu bannen auf irdischem Papier.
Gleich reisst sich die Luft in Stücke,
wir auf Knien, gescheit wie Ministranden.
Wer jetzt schweigt, wird nie mehr
Freundschaft schließen

4
mit dem Mangel. So geht es drei zu drei
wie beim Kampf mit dem Engel oder wenn die
Feuerwehr am frühen Nachmittag ihre
Schläuche trocknet. Noch nie brannte ein
Kopfschmerz so unterm Haar,

5
noch nie waren unsere Körper so schwer
in ihren Klamotten. Das ist der Staub
der Schmetterlinge in einem dänischen
Tal. Inger, damals war dein Glas bereits
neun mal leerer und leerer und die Kellner
der Ultrawelt steckten

6
bis zum Hals im Feierabend. An
diesem Abend fielen die Stunden
in einen Briefschlitz, hinter dem sich
die Dunkelheit einrollte wie ein Stück
Stoff oder der Mantel eines Rumänen,

7
denn fahl ist die Haut der Beamten.
Eine Jupitersonne kann keine Abhilfe
gegen den schlechten Atem der Altengel
sein, und ihre Stimmen klingen wie
Greisinnen auf dem Rückweg vom
Konvent: Wir hatten Blei in den Venen als
wäre es Ingwer,

8
waren wund von den Schnäbeln des
Vogels Lop

26. November 2011 13:03










Hans Thill

Die Beamten des Himmels (Agamben)

I Himmlische Öffentlichkeit

1
Ich sende meinen Avatar durch eine Schleuse
in die leuchtenden Felder der Welt nebenan.
Er nahm mein Großhirn mit und ein Pausenbrot
aus der jüngeren Zeit. Er soll gründlich sein im
Zählen und schwerhörig im Verkehr. Ich ernenne
meinen Avatar

2.
zum Beauftragten. Seine Haut ist fahl
und die Sonne mit ihrem Baulärm läßt ihn
kalt. Ich lehre ihn Nebelkritik, Umgehung der
Wetter. Meine Geduld webe ich
in einen Teppich, der die Wüste verrät.
Wenn ein Kondensstreifen sichtbar wird

3.
haben wir schon den stärksten Schnaps
im Glas. Es ist kalt im öffentlichen
Himmel. Auf den Gipfeln der Kontinente
Wesen aus Asche und geschmolzener Luft,
tropisch gefärbt, zusammengefickt mit Zischlauten

4.
sie heißen Blaise und Suso und sie fliehen ins
Feuer vor der liegenden Acht, einer Formation von
Ruderern. Die Überseekonferenz möchte
anderswo tagen. Ich sende meinen zweiten
Avatar mit Dienstmütze. Er hat den Befehl

5.
sich jeder Musik zu enthalten und
dem Rauschen im Zwischenbereich zu
widerstehen als wäre es eine Frau. Ich habe
es eilig, das Sanskrit muss gelesen sein.
Auf der letzten Seite Schattenkritik,
gefärbte Vögel, eine Gebrauchsanweisung

6.
Jetzt höre ich die Motoren der Obleute und
das schreckliche Hungergeschrei. Man füttert
die Engel mit Kreide und Glas. Man gibt ihnen
zu trinken, damit sie die Sitzung nicht stören.
Wir warten seit Stunden

7.
kein Avatar und das Geld ist weg. Die
öffentlichen Himmel haben heute geschlossen.
Wir suchen in Schubladen nach einem
Schlangenparagrafen ein bißchen
Elektrizität

15. November 2011 10:59










Hans Thill

Die fünfte Wand im Raum ist die Leinwand

»Anfangs malten sie nebeneinander auf dieselbe Leinwand (the pianistic painting). Manchmal malte einer über dem anderen (the totem painting); manchmal hatte einer allein ein langweiliges Bild gemalt und der andere übermalte es mit einem lustigen Bild (the biksemad-and-egg painting). Manchmal hatte einer allein ein lustiges Bild gemalt und der andere übermalte es mit einem lustigen Bild (the stratificated painting). Sie behaupten, niemals habe einer ein langweiliges Bild auf das langweilige Bild des anderen gemalt (deshalb bleibt dieses System ohne Namen). Aber die Lösung aller Lösungen ist die simultane Mischung ganz ohne Verortung im Raum (the jam-session-painting).«
Christian Dotremont über die Malexperimente von Pierre Alechinsky und Walasse Ting im Jahr 1963
in: Christian Dotremont, Peintures à quatre mains II, in: »L´Arbre et L´Arme«, Galilée, Paris 2007, Seite 88-89

18. August 2011 10:59










Hans Thill

Lied der Erntemaschine

aus Edenkoben: ich sehne mich nach den traurigen
Flüssen Slawiens und ihrer Koseform. Nach der
Tinte, mit der Prof. Old die Verssuppe würzt.
Nach jedem siebten Piep von Supermann
mit seiner Rentnerstimme (er hat eine Grille
verschluckt). Nach Tweety und seinen Kameraden
in einem astralen Kaff auf der Überlandleitung.
Nach den Geständnissen von Dr. Phil, der in
einem Schilfboot übernachtet. Nach dem Gejammer
der Postboten. Nach den Notizen einer Mumie
in den beheizten Zimmern von Hambach.
Nach dem Geständnis des Despoten mit den
schwarzen Pfoten, nach dem schaumigen Verstand
eines Touristen, nach dem Reim von Gras und Erde
in der Odyssee eines dicken Jungen, der alle
Rippen Gott vermacht, zum Bau der sich
bückenden Aphrodite, gepierct und mit stachliger
Frisur. Aphrodite mit dem Afro!
Rufen die schnellen Geräte von Heathrow,
die uns die Vollernter aus Pape bringen

Begrüßungsgedicht für

Tatjana Bijelic / Faruk Šehic / Hana Stojic / Mile Stojic / Stevan Tontic / Tanja Stupar-Trifunovic / Marko Vešovic / Sünje Lewejohann / Brigitte Oleschinski / Richard Pietraß / Àxel Sanjose / Kathrin Schmidt / Ron Winkler

30. Juni 2011 10:02










Hans Thill

Sage

Item waz eyn knabe van vierzehen jairen zu Heiligeroide mit syme fader und moder des mandag(es) na pynxsten (1429 Mai 16) und saede, wie hey van eyme boyme in eyne stecken an eyme zune gefallen were yn synen lyff und brach sich selver uß dem stecken, also dat yne alle syne yngeweyde uß seyme lyve geinck, und greiff der knabe dar und hielt syne derme in syne armen, bis hey heym quam, und en konde yme dat neman weder yn brengen und woirden vader und moder zu gedencken an die genade unser liever frauwen zu Heiligerode und geloiffden den knaben aldar und alsbalde sy die geloiffde gedaden, doy namen sy die derme und daden dy dem knaben weder yn und genaß der knabe des woil und is vader und moder mit yme zu Heiligeroide geweist und loiffden und danckten Marien.
(Aus: Helmut Fischer, Sagen des Westerwaldes. Montabaur 1999, S. 152)

12. Juni 2011 16:54










Hans Thill

Keine Chance für DSK

Er hatte noch ein paar Stunden bis zum Flug, er wollte nicht frühstücken sondern auf einen Spaß warten. Test stellte sich den Mann vor, nackt in der kühlen Nasszelle, die erste Stunde noch erregt und kräftig, dann immer mehr fröstelnd, mit seinem alten Hintern mal auf dem harten Rand der Badewanne mal auf der bequemeren Klosettbrille sitzend, den Blick in den Spiegel vermeidend. Dann wieder, wenn er etwas zu hören glaubte, sprang er auf und horchte an der Tür. Nach einer Zeit, dachte Test, wurde ihm auch die Klobrille unangenehm,in der gewohnten Stellung. Also unternahm er wieder einen Rundgang durchs Bad, kam schließlich auf die Idee, den Klodeckel zu schliessen und dort Platz zu nehmen, das harte kalte Plastik an den Hoden. Als endlich das Zimmermädchen geschäftig hereinkam und mit den Schlüsseln klapperte, war er schon so geschwächt von seinen Fantasien und so ausgekühlt von der Klimaanlage, dass es ihm nicht mehr gelang, die schlanke junge Frau zu überwältigen, fest eingeschlossen in die strapazierfähigen Stoffe ihrer Arbeitskluft mit nach hinten gebundener Schürze. Test stellte sie sich in Pastellfarben vor, das brünette Haar mit einem hellblauen Kopftuch zusammengebunden, so daß sie den frischen, adretten Eindruck machte, den das Management von ihr verlangte. Er stellte sich ihren Körper warm vor, gut durchblutet von der anstrengenden Arbeit, vielleicht unter den Achseln ein wenig schwitzend, weil sie mit dem Zimmerplan durch eine etwas lang geratene Kaffeepause in Rückstand geraten war und sich nun beeilen musste. Keine Chance für DSK, als er wie ein umnachteter Pan aus der Nasszelle hervorstürzte.

20. Mai 2011 12:58










Hans Thill

Die Lügen der Abgestorbenen

1
und unter Bäumen spreche ich, wenn die Luft
ein nasses Ohr ist, das sich schließt. Ich rudere
mit den Armen in diesem See.
Ich trage das Bewegliche in meinem Gehör

2
Gegenstände und ihre Haut. Die Sonne ist ein altes Gewürz,
das man tunkt. Ein Sessel fährt in Zeitlupe durch
das Zimmer, in dem ich sterben werde.
Nacht? Wachs?

3
Die Amis beim Lügen erwischt. primum pater noster.
Petronius der Öltrompeter. Polisario im Kampf für
Höflichkeit zwischen Wüstenbewohnern. Ich spreche
beim Rasieren, den Blick in die Pfütze gerichtet (Ponge).
Bisquit Fisch Whisky? Namen Gebell. Präsidenten.
Ich sage das Wort, das seine Flügel faltet

4
Spamerika das Schinkenland. Wir liegen unter einer
Douglasie. Wir kämpfen gegen die Schlaraffen. Wir zittern
mit den Händen. Wir wandern aus. Die Luft ist eine Spirale
um das Auge im Kern

5
Der Fiebermonat Februar. Donnerstag kommt mit
einem traurigen Tau im t. Wir liegen im Hanf. Wir
reden noch beim Atemholen. Sterbende Klicksprachen.
Ich brauche kein Fieber, keinen Vater, der mich braucht.
Die kleinen Fasern, mit denen wir ans Fleisch gefesselt sind

6
Wir kämpfen gegen die erfinderischen Affen von Korinth.
Äpfel, dröhnende Länder (Kolbe). Das drohende Wort?
Wachs. Vallejo. Unsere Waffen: Schild Erz Erzählung.
Wir zählen

7
Das süße Wort. Sprache: Verschwinderin. Und im Freien
spreche ich, wenn. Der Marmor meines Gehirns. Die Wiese,
ein Satzzeichen. Der Teich, eine Zielscheibe. Die Scham.
Fliegt auf ein Rudel Schmetterlinge

8
Wäre. Fieber. Nahrung. Petroleum. Bücher. Speck

2. Mai 2011 08:44










Hans Thill

Abdelwahab Meddeb

2011
Deux jouets brisés que des mains habiles colmatent
Enfants qui fuguent tard dans la nuit très sombre
Usure des semelles à force de buter sur les pierres
X traduit la chose qui, comme Dieu, prend corps

Montagne dont l’ombre approfondit les ténèbres
Intensité de l’invisible qui accompagne la douleur
Lucioles qui fendent devant les yeux la noirceur
Légers frissons d’une peur qui charge les épaules
Entre les orteils partent les fourmis qui montent

Odorante maison aux couloirs sans portes ni fenêtres
N’entends-tu pas les ailes brûler au feu des bougies
Zone interdite aux jeunes filles jupons en fleurs
Et aux garçons non circoncis tibias et bras nus

2011
Zerbrochenes Spielzeug, geklebt von geschickten Händen
Kinder, die spät ins Dunkel der Nacht ausreissen
Sohlen nutzen sich ab beim Springen über Steine
X übersetzt die Sache, die, wie Gott, sich verkörpert

Mit seinem Schatten vertieft der Berg die Finsternis
Kraft des Unsichtbaren, das der Schmerz mit sich bringt
Glühwürmchen teilen vor den Augen die Dunkelheit
Leichte Schauder der Furcht lastend auf den Schultern
Zwischen den Zehen klettern die Ameisen hinauf

Duftendes Haus mit langen Fluren ohne Türen Fenster
Hörst du nicht die Flügel brennen im Kerzenfeuer
Verbotene Zone für Mädchen, die geblümte Röcke tragen
Wie für unbeschnittene Jungen mit nackten Armen und Waden

(eigene Übersetzung)

12. Februar 2011 11:57