Björn Kiehne
Hundeheimat
Neu hier,
kennen weder
Straßen noch Plätze,
lauschen Schritten
auf der Treppe,
gehen vor die Tür.
Straßen treten,
Schatten treiben,
schwarze Hunde,
Tintenrunden.
In jedem Blick
eine Heimat
für Sekunden.
Neu hier,
kennen weder
Straßen noch Plätze,
lauschen Schritten
auf der Treppe,
gehen vor die Tür.
Straßen treten,
Schatten treiben,
schwarze Hunde,
Tintenrunden.
In jedem Blick
eine Heimat
für Sekunden.
Wolken treiben
durch die Pfützen –
Sand,
unter deinen Schritten.
Am Ackerrand,
gebeugtes Gras –
auf deinem Weg
in den Wald.
Dort,
wartet das Schweigen,
der Geruch feuchter Erde,
gefallenes Laub.
Du trägst Laub
in den Wald,
legst Blätter
unter Bäume,
atmest die
gefallenen Jahre
tief ein
in diesen Tag.
Die letzte kalte Nacht – vielleicht.
Eisblumen,
Tisch und Stuhl,
Bananen,
Licht, das durchs Fenster fällt –
arktische Klänge aus dem Kühlschrank,
siedendes Wasser im Topf,
der Geruch von Reis und Pril.
In diesem Küchenuniversum
sitzt Du,
Du,
mit den Märzaugen,
dem Aprilgesicht,
dem Maileuchten auf der Stirn.
Über Schneefelder geht der Wind,
Stille breitet sich aus,
das Heu wartet auf das Kind,
Kerzen leuchten uns nach Haus.
Der Himmel zündet Lichter,
friedlich ruht der See,
über müde Gesichter
streichelt der kalte Schnee.
Ein Engel kommt herbei,
spricht zu deiner Angst,
daß nur soviel Hoffnung sei,
wie du hoffen kannst.
Meine Zunge fährt den Lauf der Elbe nach,
lässt das Wasser über die Ufer deiner Schenkel treten.
Der scheue Reiher im Schilf, das Lied der Regenamsel,
Fische springen, die Nacht pirscht sich heran.
Aus dem Auwald treten drei Wölfe, flüstern:
Hab Acht, hab Acht, hab Acht –
der Reiher breitet seine Flügel aus,
vor dem Fenster wartet die Nacht.
Manchmal weißt du nicht
wohin mit all den Straßen
und den Wiegenliedern
im Gepäck. Leb meinen
Traum, hat er gesagt,
und ließ dich allein.
Du irrst durch die Stadt,
untertitelst den Regen in
einer Sprache, die du
nicht verstehst. Wohin
treiben die Wolken, wohin
treibt dieser Tag, wo
enden die Straßen, wo
endet dein Vertrag.
Er geht in deinen Falten spazieren,
trinkt salzschweren Schweiß, den du ihm reichst.
Er staunt, wenn du die Himmel weitest
und der Sehnsucht große Straßen baust.
Kampfplatz und Friedenswiese,
Stillstand bis zur Raserei,
wenn du, mit Asphalthänden,
seine Atemlieder jäh zerreißt.
Und zwischen hoch aufgetürmten Gräbern
verpasst er den Bus, die S-Bahn, die Welt,
geht unter deinen Himmeln spazieren,
trunken, stolpernd, zögernd er selbst.
Jetzt steht das Auto endlich still.
Das Garagentor schließt sich,
diese dunkelrote Muttertür –
ich, embryogekrümmt im Bauch des VWs.
Suche noch immer das gelbe Tuch,
das du mir schenktest.
Du trugst es drei Tage lang um den Hals.
Es roch nach dir,
und als du gingst, blieb mir dieses Tuch und
dein Geruch zwischen meinen Fingern.
Nun atmet die Stadt endlich leiser.
Der Balkon löst sich vom Mietshaus,
ein Schiff mit Margeritensegeln –
ich, unterwegs in die Nacht.
Taste noch immer nach der Frage,
die in mir flüsterte.
Sie war so unaussprechbar klar.
Sie sprach mit dir.
Und als ich allein war, blieb mir diese Frage
im dunklen Raum zwischen Zunge und Gaumen.
Jetzt füllt die Stille endlich den Raum.
Auf deinen Anruf warten,
blitzende Satellitensignale –
weiter atmen, ein und aus.
Wohin du willst, frage ich,
und baue dir schüchtern
einen Raum aus Schweigen.
Du flüsterst:
Phanerozoikum,
keine Gedanken am Horizont,
Proterozoikum,
keine Ichschlieren auf den Wellen,
Archaikum,
keine Nebel über dem Wasser,
Hadaikum,
in den Raum vor den Urknall.
Ich zögere, setze erneut an,
doch deine Augen bitten:
Jetzt keine Worte,
die Stille singt so schön.
Mutter, es stürmt in mir.
Ich kann die Ernte nicht einfahren,
finde keinen Namen für all die Tage,
an deren Ufern sich das Meer satt fraß.
Dieses Jahr wird es
kein Obst geben,
keine Kirschen,
keine Küsse,
kein Korn,
keine Hand auf meinen Wangen,
die die Salzlachen fortwischt,
und die Schatten aus meinen Gedanken.