Björn Kiehne
Er geht in deinen Falten spazieren,
trinkt salzschweren Schweiß, den du ihm reichst.
Er staunt, wenn du die Himmel weitest
und der Sehnsucht große Straßen baust.
Kampfplatz und Friedenswiese,
Stillstand bis zur Raserei,
wenn du, mit Asphalthänden,
seine Atemlieder jäh zerreißt.
Und zwischen hoch aufgetürmten Gräbern
verpasst er den Bus, die S-Bahn, die Welt,
geht unter deinen Himmeln spazieren,
trunken, stolpernd, zögernd er selbst.
28. Januar 2010 11:41
Björn Kiehne
Jetzt steht das Auto endlich still.
Das Garagentor schließt sich,
diese dunkelrote Muttertür –
ich, embryogekrümmt im Bauch des VWs.
Suche noch immer das gelbe Tuch,
das du mir schenktest.
Du trugst es drei Tage lang um den Hals.
Es roch nach dir,
und als du gingst, blieb mir dieses Tuch und
dein Geruch zwischen meinen Fingern.
Nun atmet die Stadt endlich leiser.
Der Balkon löst sich vom Mietshaus,
ein Schiff mit Margeritensegeln –
ich, unterwegs in die Nacht.
Taste noch immer nach der Frage,
die in mir flüsterte.
Sie war so unaussprechbar klar.
Sie sprach mit dir.
Und als ich allein war, blieb mir diese Frage
im dunklen Raum zwischen Zunge und Gaumen.
Jetzt füllt die Stille endlich den Raum.
Auf deinen Anruf warten,
blitzende Satellitensignale –
weiter atmen, ein und aus.
11. Dezember 2009 14:14
Björn Kiehne
Wohin du willst, frage ich,
und baue dir schüchtern
einen Raum aus Schweigen.
Du flüsterst:
Phanerozoikum,
keine Gedanken am Horizont,
Proterozoikum,
keine Ichschlieren auf den Wellen,
Archaikum,
keine Nebel über dem Wasser,
Hadaikum,
in den Raum vor den Urknall.
Ich zögere, setze erneut an,
doch deine Augen bitten:
Jetzt keine Worte,
die Stille singt so schön.
7. November 2009 13:59
Björn Kiehne
Mutter, es stürmt in mir.
Ich kann die Ernte nicht einfahren,
finde keinen Namen für all die Tage,
an deren Ufern sich das Meer satt fraß.
Dieses Jahr wird es
kein Obst geben,
keine Kirschen,
keine Küsse,
kein Korn,
keine Hand auf meinen Wangen,
die die Salzlachen fortwischt,
und die Schatten aus meinen Gedanken.
18. September 2009 11:39
Björn Kiehne
Am Abend fahr ich in die Stadt.
Der Motor stottert,
kämpft gegen die
herannahende Nacht.
Musik aus dem Radio:
bum, bum, bum…
mein Herz poppt,
wächst, quillt aus seinem Beutel,
sprengt das Knochengefängnis,
explodiert –
auf der Autobahn
in Richtung Stadt.
10. September 2009 12:58
Björn Kiehne
Der Monitor erlischt.
Über dem Schreibtisch
machen sich meine Gedanken
auf den Heimweg.
Die eine Frage aber bleibt:
Ob es reicht?
Kaffeestimmen stolpern durch die Tür.
Der Bildschirm starrt.
Was habe ich heute geleistet?
Einmal
die Welt
um sich
selbst
gedreht.
11. August 2009 20:32
Björn Kiehne
Berlin, soviel Sonnenbrille war nie!
Halb Europa auf die Bürgersteige gekippt.
Alle sind irgendwie schwanger,
tragen den Sommer unter milchleeren Brüsten.
Friedrichshain setzt die Sonnensegel,
bläst würzigen Rauch ins grelle Licht.
Überall Ich! Ich in den Morgenstunden, Ich in der Stadt,
Ich am Nachmittag, Ich in der Nacht.
Und: Ich tätowiert, Ich ganzkörperrasiert;
und: Hier ein Weibchen und da ein Kerl;
und: Uh, uuh, uuuh durch die Straßen ziehn,
Planet der Affen – Sommer in Berlin.
30. Juli 2009 23:29
Björn Kiehne
Gedanken,
Fischschwärmen gleich,
aussenden.
Silberschillernde Pfeile
durch blaue Ozeane
schießen:
Hai und Kugelfisch,
Delfin und Schlange,
Gift und Nektar,
Meerjungen,
Seetangweisen,
Muschelgeister –
Wellenlieder singen.
26. Juli 2009 14:43
Björn Kiehne
Ich will das Meer,
den Wellenschlag in
deinen Augen.
Ich will ganz
Ozeanien auf meinen Schultern,
salzige Flügel, ein Leben in Meerblau.
Ich will, wenn der Wind sich dreht,
am rechten Ufer warten,
warten auf deine Möwenarme,
die den Walschrei tragen,
in einer Silberschale
aus Gischt.
12. Juli 2009 12:39
Björn Kiehne
höre ich mein eigenes Lied;
auf den Bürgersteigen,
auf den Straßen,
mit der Ausdauer des Suchenden,
mich selbst in den Asphalt getreten.
Fußabdruck am Sunsetboulevard
der verstummenden Träume;
dieser Himmel, den ich mir malte,
in blauen Scheiben liegt er da,
wartet auf den nächsten Wagen.
Es ist zu laut in den Städten,
zu leise auf dem Land.
Ich lausche in den Lärm,
lausche in die Stille und…
höre nichts.
Halt die Einsamkeit lebendig,
komm nicht an!
Scheuch das Ziel über den Horizont,
verbrenn den Stadtplan auf der Straße,
zertritt das Navi auf dem Bürgersteig.
Und dann singst Du,
und ich höre mein eigenes Lied.
21. Juni 2009 13:48