Mirko Bonné
Wenn du merkst, dass du auf einem toten Pferd reitest – steig ab.
Weisheit der Sioux
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15. März 2011 16:16
Wenn du merkst, dass du auf einem toten Pferd reitest – steig ab.
Weisheit der Sioux
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15. März 2011 16:16Mach leer mein Herz, von Dir –
Arterie in mir –
Fang an, und lass Dich weg –
Ist schließlich Tilgungstag –
Die See wogt dort wie hier –
Ein Meer – Ein Ziel –
Zieh Du Dich ab, im Spiel,
Und übrigbleibt von mir
Um’s wegzutun – nicht viel –
„Mir“ das hieß Dir –
Nimm Wuchs den Raum – kein Baum –
Dann – Dich – kein ich –
Der Himmel nackt –
Das endlos Weite schlaff, ein Sack –
Emily Dickinson
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1. März 2011 14:38Im Mergel ein Besucher –
Der Blumen dazu bringt –
Wie Büsten aufgereiht zu stehen –
Wie Gläser – elegant –
Der Nachts Besuche macht –
Und kaum dass erstes Licht –
Sein funkelndes Gespräch beginnt –
Liebkost – und schon entwischt –
Doch wen sein Finger streifte –
Wohin sein Fuß auch schlich –
Und wessen Mund er immer küsste –
Ist so als gäb’s das nicht –
Emily Dickinson
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12. Februar 2011 17:22Ich bin Niemand! Kenn ich dich?
Bist du auch – Niemand – so wie ich?
Dann sind wir schon ein Paar – nichts sagen!
Sonst machen sie’s bekannt – deswegen!
Wie trist – Jemand – zu sein!
So öffentlich – ganz wie ein Frosch –
Den Junilebtag – seinen Namen leiert –
Damit ein Sumpf ihn feiert!
Emily Dickinson
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8. Februar 2011 13:324
Ein Fink, ein sehr großer gelber, kam
am Mittag im 13. Stock an mein Fenster,
ein schönes Tier, wie ich es einmal erst
in einer Fernsehdoku über die Zerrüttung
Darwins angesichts von achtundzwanzig
Finkenarten verstreut auf achtundzwanzig
kleine Nachbarinseln sah. Er lugte herein
in meinen Turmausguck und hatte, wieso
weiß ich nicht, Emily Dickinsons Augen.
Schon flatterte er weiter, schwirrte noch
zu den Kronen der Akazien hinab als ein
gelber Zauberpfeil aus dem Gedächtnis
und verlosch. Eine Zeitlang stöberte ich
zerstreut im Netz, las, erste Luftschiffer
der Mongolfière waren ein Hahn, eine
Ente und ein Hammel, rätselte, ob sie
im Topf gelandet waren, und sah dabei
zwanghaft auf das Meer, zur Wäsche,
die in der Sonne die Türme beflaggte.
Ich rannte hinaus, hörte in Cantagalo
Hähne zur Macumba krähen und lief,
dass es war wie Luft durch eine Lunge.
Für Johannes Kretschmer
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31. Januar 2011 22:343
Auch von Blattschneiderameisen träumte ich,
aber kein Mandelbaumblatt, sondern ein Auge,
ein zerlegtes Vogelauge schleppte der Staat
über den Uferweg zu einem Nachtparkplatz
an der Lagune – Augenschneiderameisen.
„Fogo!“, rief es von Fenster zu Fenster, da
Botafogo spielte gegen Flamengo oder
Fluminense. Um mich herum, hin und
her wälzte ich mich im Schlaf, bis ich
zerstoßen, zerstückt morgens aufstand,
eine halbe Papaya verschlang und hinab
mit dem Lift in den sonnendurchfluteten
Tag rannte bis zum Strand am Atlantik.
Dort sah ich über den hereinrollenden
grünen Brechern, wie zwei Kormorane
zwischen Wellenreitern umherstoben,
gleichauf mit Wellen und mit Reitern
blickten sie immerfort ins Wasser, bis
es sie hinunterstürzte, sie eintauchten
und im Meer verschwanden, um schon,
war die Woge vorüber, emporzuschießen,
den Fisch im Bauch und die Freude fühlbar.
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24. Januar 2011 20:432
Leises Gezisch aus einer kleinen gelben
irrtümlich gelandeten Mongolfière, wenn
Gas in den Tank des Taxis gepresst wird,
das mich durch die unheilvolle Nacht fuhr.
Mit den Augen der Blattschneiderameisen
rollten Omnibuskolonnen aus dem Centro
nach Botafogo, Flamengo und Cantagalo,
hinter Scheiben dunkle Gesichter, kaum
Brillen, Zeitschriften, Unterhaltung. Müde
von Tag und Wärme, bereitwillig bewegt,
leert sich um Mitternacht Rio und landen
auf der Lagune hinter Leblon die Reiher,
um in der sicheren Dunkelheit zu fischen.
Den Kopf in die Nacht gereckt schluckend,
stehen sie einbeinig im Wasser da, träumen
unter den ausgebreiteten Armen des Jesus
auf dem Corcovado, das Evangelium hätte
noch gar nicht begonnen, und schlafen so
satt irgendwann ein. Und auch ich schlief,
Gesichter, die mich verlachten als Baron,
als Barão da Torre, rollten in Kolonnen
hoch oben im Turm durch den Traum.
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10. Januar 2011 21:16Außer Sicht? Ja und wenn?
Sieh den Vogel – ihn erreich!
Emily Dickinson
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Das Schöne an dem Turm in Rio,
den Zauber davon in alledem Elend
von Luxus, brachten die Vögel mir bei.
Blickte ich nur lange aufs Betonmeer
von Ipanema im weißen Dunst, dann
weiter ostwärts auf die wirkliche See,
segelten über die Hotels Fregattvögel
lautlos schwarz. In ihrer ausgemergelt
anmutenden Riesigkeit voll Gleichmut,
kreisten sie in weithin zerdehnten Pulks
über der Favela am Hügel von Cantagalo.
Als er sie beschrieb, stellte sich Whitman
Segler vor, Schluss mit dem Kompass –
Schluss mit den Karten, Schiff der Luft,
und über der Bucht, an Bord der Fähre
nach Niterói, wo Passagiermaschinen
zehn Meter überm Wasser zur Piste
des alten Flughafens sinken, sah ich
in löchriger Thermik zwischen den Jets
schwarze Rümpfe und Segel hingleiten,
eine prähistorische Keilschrift vom Fliegen,
langsam wie die Zeit über den Ozean streicht.
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3. Januar 2011 10:244
Weiße Fliegen, kalt,
dem Geschmack nach
altes Wasser, Schnee!
schrie am Fenster
der Zweibeiner, Schnee!
– und da fror sie.
Die Wand lesend,
das Gepilz, glitt sie
zu der Nische,
da lebte etwas,
das fraß sie, damit
nichts mehr begann.
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Allen Fischen und allen Fischern schöne Festtage!
23. Dezember 2010 11:343
Sieht im Spiegel
des Menschenfensters
das eklige Tier,
weißes Kreuz, Achtbein,
die pralle Leibbeere
wie ihre: ich.
Vor dem Glas hängend
bestarrt sie ein Kleid, rot,
Courbets Kornsieberin.
Vorbeifliegen Tage.
Und Laub trudelt
ins rauschende Gras.
*
16. Dezember 2010 17:15