Christine Kappe

kleine russische Sprachleere

In Russland gibt es mehr Felle als bei uns
Das Leben ist dort kälter, rauer und doppelbödiger
Auf den einzelnen Böden geht es dann aber wieder sehr direkt zu
Den Satz „X sastreliwajet B. Njemzowa pistoletom pri stenje“
(„X erschießt B. Nemzow mit einer Pistole bei der Mauer“)
können wir nicht ohne weiteres übersetzen
: uns fehlt der Instrumental (pistoletom) und der Präpositiv (pri stenje)
So gelangen wir unweigerlich in den Breich der Nachdichtung
und für X außerdem in den Bereich der höheren Mathematik

Was also kann die Lösung sein

Die Frage ist, ob a) die Lösung nicht im Satz enthalten ist, wie in einem heiligen Mantra
b) X überhaupt Russe ist
oder c) die Lösung öffentlich gemacht werden darf
ohne dass solche Sätze über einen selbst gesagt werden
Und die Anteilnahme ist dann auch noch nicht bewältigt!

(Übrigens: Der Akkusativ kommt im Russischen, anders als im Deutschen, erst nach dem Genitiv und dem Dativ, er ist peripherer, was allerdings keinen Rückschluss auf die Semantik zulässt, sondern lediglich ein anderes Ordnungssystem zur Kombination der Elementarteilchen darstellt)

8. März 2015 10:15










Markus Stegmann

zuletzt

Am Trümmergestell unserer Stirnhöhlen
ziehn wir über Holland der Havel längs
geländegängige Granaten als
Selbstbeschuss sinkt unser Meer
mir ins Innenherz weisst du
weisst du nicht inneres Wohnlicht
verfärbt die Mandeln meine Lunge
ins Lippendickicht möcht ich mit
mit sags nicht fliehn voraus Verdacht
auf Treideln vielleicht Senkblei
Barkasse im Blicklicht naht
wer will das wärmen
wer denkt
oder wandert
wessen Augen
sahn wir
zuletzt?

Für R.F.

6. März 2015 21:17










Thorsten Krämer

am ende

am ende wird es ein erdenaufenthalt gewesen sein, der
kaum zu ordnen war, für mich, der ich
immer ordentlich bin.

Rolf Persch, 1949 – 2015

6. März 2015 18:06










Andreas H. Drescher

JACK LONDON

Einen unangenehmerSCHNEESCHUHen Begleiter hätte ich mir gar nicht wünschen können. Vierzig Jahre lang ist er hinter mir her getrottet, hat die Reste von meinen Tellern gekratzt, am Fußende meines Bettes geschlafen und so bescheiden getan, dass ich ihm schließlich glaubte. Nun aber zeigt er sein wahres Gesicht, knabbert mir, während ich schlafe, Löcher in die Strümpfe. Ich staune inzwischen, wie richtig ich schon vor all der Zeit mit meiner Einschätzung dieses Liebedieners lag, so nachsichtig ich ihm gegenüber inzwischen auch geworden bin. Als ich ihn heute Nacht bei einer seiner Strumpf-Mahlzeiten erwischte, zeigte er nicht einSCHNEESCHUHmal ein Zeichen der Reue, hob nur einen Augenblick lang den Kopf und flüsterte mir zu: „Jetzt wird er mir sogar den Tod ausweichen.“ Keine Ahnung, was er damit meint. Doch einer seltsamen Scheu wegen, die sich schwer und doch nervös über mich legte, wagte ich nicht danach zu fragen. Er lächelte zufrieden, als ich kein Wort heraus brachte und wandte sich wieder meinen Strümpfen zu. Auch er hat sich also nicht getäuscht. Mein Mangel an Willenskraft ist offensichtlich. Ich versuche, in ein Kurzwarengeschäft zu fliehen. Aber haben die denn SCHNEESCHUHnachts geöffnet?

3. März 2015 00:50










Tobias Schoofs

TALISMAN

ich sag es dir nur einmal · merk es dir:
du kannst aus deinem karma nicht heraus

auf allen vieren tastest du im dunkeln
und hörst wie unten jemand die türkette löst
du tastest hektisch im leeren und wünschst

du hättest nie gewünscht · dein leben wär
kein minenfeld · die wünsche keine krater –
die tür ist auf und kälte kriecht herein

du kannst aus deinem karma nicht heraus
ich hab es dir gesagt · jetzt merk es dir

28. Februar 2015 14:16










Gerald Koll

Sorge um Kirgisien

Die Botschaft der kirgisischen Republik befindet sich in der Otto-Suhr-Allee Nummer 146, Postleitzahl 10585.

Die Republik Kirgisien hat für ihre deutsche Botschaft einen besonders schönen Platz gefunden. Gleich neben dem Botschaftsgebäude streckt sich das Schloss Charlottenburg.

Sonnenlicht legt sich auf das Anwesen und seine geschmackvolle Fassade. Sonnenlicht strahlt im Wappen über Gebirge und See, eingefangen in den Schwingen des silbernen Falken. Sonnenlicht dringt auch ins Innere, wenngleich klug gedämpft und weich abgefangen durch sorgsam gefältelte Gardinen.

Und doch, es ist minder gut bestellt um die Botschaft der Republik Kirgisiens. Wie sonst wäre zu erklären, wie heillos sich an der Pforte die Flagge der Republik Kirgisien in der Spitze der Tanne – schon ist der Februar vorbei, und immer noch eine Tanne? – verfangen hat?

Gewiss, heute ist Mittwoch. Am Mittwoch hat die Konsularabteilung der Botschaft der Republik Kirgisiens geschlossen, eine Vereinbarung zu außergewöhnlicher Öffnung wurde nicht getroffen. Aber sähe sich nicht auch die Botschaftskanzlei zur Entflechtung von Stoff und Nadel in der Pflicht? Gewiss, sehr hoch ragt die Tanne, hier sind Menschen mit beträchtlicher Körperlänge und guter Sprungkraft gefordert. Mangelt es daran den Kirgisen?

Anlass zur Hoffnung gibt die energische Förderung des kirgisischen Basketballs. In der FIBA-Rangliste findet Kirgisien keine Erwähnung. Die Botschaft zeigt sich um Abhilfe bemüht. Im vorgelagerten Garten der kirgisischen Botschaft steht ein Basketballkorb bereit. Das Feld ist klein, sein Maß entspricht nicht internationalem Standard, und manch einer zweifelt, ob der kirgisische Basketball auf diese Weise die erhoffte Leistungsförderung erfahren kann. Doch ein Anfang ist gemacht. Gelänge in der Botschaft der Republik Kirgisiens ein Aufschwung des heimischen Sports, käme er schon morgen der Botschaft, ihrer Tanne, ihrer Flagge, der Schönheit dieses Ortes zugute.

26. Februar 2015 12:42










Markus Stegmann

Amsterdam

Auf Zeitzonenentzug durchkämme ich die
Vulkane Amsterdams zwischen Bettgestell und
Barkassen fand ich deine projizierten Zeilen als
Nachhall am Nachthimmel über Hoek van Holland
hab sie als Sprengstoff für Tag und Nacht bei mir

Für R.F.

25. Februar 2015 22:51










Christine Kappe

erste Liebe

Die erste Liebe, die erste große Liebe, die Liebe, die schon mit 8 Jahren kompliziert, sich auffächert in verschiedene Unmöglichkeiten, in den Worten der Mütter am Telefon, die Worte, die ganzen Worte, die man macht, um sie herum und gegen sie, und fürdafür, Zweifel, die halben, zumindest in der Schule spielt er nicht mit ihr, weil die anderen Jungs ihn ausgelacht haben, tauscht doch nicht ein Mädchen gegen seine Clique, dann die Mutter am Telefon, Tina will nicht mehr mit ihm spielen, sei traurig, wütend, mein Sohn mit dem Rücken zur Heizung und sagt gar nichts, später fällt mir ein, dass es bei seinem Bruder genau umgekehrt war, er mochte Maria, wollte immer mit ihr spielen, egal, was die anderen sagen, hielt ihr Händchen, doch Marias Mutter wollte das nicht, war ihr zu viel, sie sollten nicht mehr spielen, und ich frage mich, wie wars bei mir früher… doppelte Sicherheit: ich suchte mir gleich einen Jungen, der nicht Händchen hielt. Außerdem hätte ich es nie meiner Mutter erzählt… , die ja nur ihre Kinder, die die großen Gefühle und überhaupt die Gefühl, die wissen, was gut ist, die ganzen Mütter, die ersten, die großen, die Mütter

24. Februar 2015 18:39










Sylvia Geist

Fehe

Eine Katze sprang von einem Balkon
im 10. Stock und blieb unten lange liegen.
Bis sie aufstand, um länger zu leben,
mit einem besseren Höhenruder und nie
schlummerndem Appetit. Die Geschichte
kennt wahrscheinlich jeder, ich hörte sie
vor Jahren in einem Berliner Randbezirk.

Hier draußen jagen sie einen Fuchs.
Seit Wochen sind die Ställe verrammelt,
die Höfe gepflastert mit Fangeisen, jetzt
hofft alles auf die neuen Forstbeamten.
Dabei erkennt man es an der kahlen Stelle
an seinem Lauf, am tänzelnden Hinken.

Zurückgekehrt wie diese Katze ist er
wendiger als Laub, sonst fast so wie
zuvor. Nur nachts benutzt er Hände
wie meine, sein Lachen weht übers Feld,
bis es hell wird und er sich einrollt
in dem Gedankenbau, dessen Architektin
ich bin. Und immer fehlt wo ein Huhn.

23. Februar 2015 12:20










Markus Stegmann

Neufundland

Während der Verneinungen Neufundlands spucke
ich meine Zähne zu unseren Zungen die perforierten
Ränder der Angst vorm Verspielen der Sehnsucht
kleben am Morgen sobald raumlos der Regen erwacht
wohin reden wir uns wenn die Zeit schmilzt?

19. Februar 2015 22:56