Markus Stegmann

Geisterbahn

Heute morgen irgendwann

sinke ich ins Herz der Erde

muss noch fahren Geisterbahn

bevor ich heimlich sterbe

 

Augustin Rebetez und Rebecca Moss: „Scream Machines – Kunst-Geisterbahn“, Museum Tinguely, Basel, 22.5. bis 21.9.2025

18. August 2025 15:08










Hans Thill

Schiller Karaoke

Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.

denen ist mein Troitus ein geheimes
Organ. Hinter Zweibrücken, gleich bei der
Grenze, bückt sich das Glück in Form
von Reimen über eine Küferin.

Gehe Er in gewaltiger Kluft auf die Allmende oder
ab ins Dorf aller Trolle, (schneide er ihnen die Klingel-
beutel ab) finde Er chronisch freie
Radikale orphisches Frieren

und Gefräs, hinunter damit zum Onkel in den Styx.

16. August 2025 17:14










Tihomir Popovic

granatapfel

das haus
windschief
verfallendes
versailles
feige
umgeh ich
die schlangen
brutgärten
bleib stehen
vorm familien
granatapfel
und lass ihn
hängen bis der
südwind kommt

zum gedenken an Tomislav Marinković

Tomislav Marinković, geboren 1949 im westserbischen Lipolist, war einer der bedeutendsten serbischsprachigen Lyriker unserer Zeit. Seinen ersten Gedichtband, Dvojnik (Doppelgänger), veröffentlichte er 1983. Zuletzt erschien Šta o nama misle andjeli (Was die Engel über uns denken, 2024). Seine Poesie wurde mit den wichtigsten Lyrik-Preisen in Serbien ausgezeichnet, u.a. mit dem Branko-Miljković-, dem Vasko-Popa-, dem Dis-, dem Desanka-Maksimović- und dem Zmaj-Preis. Marinkovićs Lyrik wurde u.a. ins Englische, Spanische, Russische, Portugiesische und Japanische übersetzt. Am 8. August 2025 ist Tomislav Marinković in seinem Geburtsort Lipolist gestorben.

10. August 2025 11:08










Sylvia Geist

Gerade jetzt

bellt ein Hund, draußen
wo die Vogelbeerzweige sich bewegen
gerade jetzt geht Wind, geht Schritt für Schritt
meine Mutter durch einen fernen dunklen Flur,
fast blind, wissend, gerade jetzt ist am anderen Ende
der Welt heller Tag, der Fluss nimmt die Wolken mit,
im Wald duftet noch der Regen vom Morgen, gerade
jetzt löst sich alles auf, anderswo für andere, nicht hier
gerade jetzt geht meine Mutter über einen fernen
dunklen Flur, zeigt mir das Vogelbeerblatt,
sein Grün, durch das gerade jetzt die Sonne kommt,
sein vollkommenes feines Gerippe, sagt, vergiss nicht
was das ist, gerade jetzt ist sie mit ihrem Großvater
im Garten, meine Mutter hat nichts vergessen, gerade
jetzt geht sie einen fremden Flur entlang und gibt
den dunklen Wänden Unterricht in Liebe, ihr könnt
sagt sie, nicht im Voraus trauern, gerade jetzt geht
Wind, am anderen Ende der Welt nimmt der Fluss
die Sonne mit, scheint das Vogelbeerblatt und löst
sich auf, fast blind von Morgen, in Bewegung, gerade
jetzt bellt ein Hund draußen im Wolkenwald, nicht hier

8. August 2025 03:39










Markus Stegmann

Wer?

Ein Friedhofsamt in weiter Ferne

schickt mir einen Brief

verirrten sich wohl ein paar Sterne

wer aus dem Himmel nach mir rief?

27. Juli 2025 16:50










Christian Lorenz Müller

CHOR DER ZANGEN

Wir sind überall, wo Daumen und Zeigefinger
nicht mehr weiter wissen,
ich, die Spitzzange, die selbst das Winzelnde fasst,
ich, die Flachzange, die das heißeste Blech erschnabelt,
ich, die Rohrzange, die das Runde gewindig dreht,
ich, die Sprengringzange, die gekröpft die Löcher sucht,
ich, die Rundzange, die den Federstahl kurvig formt,
ich, die Beißzange, die so vieles zwickig trennt,
wir sind überall dort, wo hilflos plumpe Hände
nicht mehr weiter wissen,
zweihebelig gehen wir gegen die Grenzen
des Körpers vor, wir spitzen spezialistig,
sind allumfassend im konkreten Sinn,
suchen uns ins Winkelige, wir ecken,
wir kurven, sprialen, spreizen und kappen,
sind ein stahlgewordenes Verb,
wir bewegen uns stets um die simple Achse
der Greifbarkeit, wir differenzieren die letzten
Probleme des Seins in unseren vorderen Enden aus,
wir erfassten selbst Gott, gäbe jemand
den entsprechenden Auftrag an eine Werkzeugmacherei,
wir erfassten in Sekunden den Sinn
des menschlichen Lebens, wir experten überall dort,
wo Zeigefinger und Daumen
ratlos stumpf gegeneinanderstehn.

22. Juli 2025 08:42










Christine Kappe

Das alles hat ein Ziel

Das alles hat ein Ziel
Umsonst und draußen
Tausend Feuer aus einem unsichtbaren Haus
Feiern wir die Aufnahme von Licht
Atemlose Heldin
Mit Februarresten und Septembertorpor
Schafft Platz für Schnee
In der Tomorrowdose
Voller Überzeugung
Von den Dingen

21. Juli 2025 08:24










Björn Kiehne

Im Spinnenhaus

Fäden, in denen sich

das Licht verfängt

und das Flüstern der Zeit.

 

Worte, die zu laut,

zu leise, die nie

ausgesprochen wurden.

 

Erinnerungen in Kokons,

Gespinste,

die von der Decke hängen.

 

Ein Gedanke, ein Geruch,

ein Geräusch,

und sie öffnen sich.

 

Geben ihr Geflüster frei,

hauchen es,

in das Halbdunkel.

 

Wir leben verwoben

in Gedichten

im Spinnenhaus.

 

Jede Regung rührt alles,

jedes Wort erzählt

die ganze Geschichte.

 

Und die Welt hängt

an allen und an

einem einzigen Faden.

 

 

 

12. Juli 2025 18:36










Christian Lorenz Müller

HECKEN

Stets in Reih und Glied,
halten sie Grundstücksgrenzen
gegen heranstürmenden Verkehr,
sie weichen nicht, wenn Artilleriegeschosse
aus Coladosen krepieren, Splitterbomben
namens Bierflaschen geworfen werden,
Kampfgifte dem Hundekot entweichen,
sie strammen überall, die Kompanien
aus Hainbuchen, Berberitzen,
ihre Wurzeln überleben jahrelang
in winzigen Betonbunkern, in Rabatten,
nur ihre Unteroffizierin fürchten sie,
die Heckenschere, sie zerblitzt
selbst vorsichtig ausgestreckte Fingerspitzen,
zerschneidet die grünende Hoffnung
der Frühjahrestriebe,
grimm hat er zu sein, der Liguster,
die Eibe muss dienen, bis sie hundert ist,
bis der beschützte Rasen moosig wird,
die verteidigte Terrasse zu bröseln beginnt,
irgendwann, nach einem Menschenleben,
kommt die Ablösung, frischer Kirschlorbeer
stellt grüne Bajonette aus, neue Thujen
benadeln sich mit schusssicheren Westen,
alles beginnt von vorn.

8. Juli 2025 08:47










Mirko Bonné

Platzwechsel

Ich schick dir den grauen Himmel,
den du mir geliehen hattest,
hiermit zurück. Aus Zlín.

Wo ich bin, steht die Luft.
Die Hitze ist ein Herzstillstand,
und das Gras überlegt ernsthaft,

zu brennen. Beendet ein Freund,
beendet er eine Freundschaft,
ohne Gründe zu nennen?

Offenbar. Das Gras plant
augenscheinlich wirklich,
in Flammen aufzugehen.

Wohin ist der Mensch, der
die letzten Tage immer schlief
im Schatten des Altglascontainers.

Ich fahre über die Dřevnice und
bin ein anderer. Sie lacht grün,
sie funkelt. Sie und ich in Zlín.

*

5. Juli 2025 20:17