Andreas Louis Seyerlein
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MELDUNG. Tiefseeelefanten, 225 hupende Rüsselrosen, südöstlich der Stadt Odessa im Schwarzen Meer gesichtet. Man wandert in kreisender Bewegung. — stop
31. Dezember 2024 15:14
MELDUNG. Tiefseeelefanten, 225 hupende Rüsselrosen, südöstlich der Stadt Odessa im Schwarzen Meer gesichtet. Man wandert in kreisender Bewegung. — stop
31. Dezember 2024 15:14sing on
bis der see
die stadt überschwemmt
sing on
bis der tang
die turmuhren umschlingt
sing on
bis die boote
in fliederhecken blühen
bis die mailänder rosen
einschlafen im beten
sing on
Und ich seinerzeit! Ich war 14, die zweite Ehe meiner Eltern ging in die Brüche. Ich erfand die Geschichte eines Fußballvereins. Erste Höhepunkte. Politik? Poesie? Eher Musik, „Follow you, follow me“, die Kunst der Geheimhaltung und die der Lust. Joy Div hörte ich nicht, solange es die Band gab. Bei Michelle am Hamburger Hauptbahnhof sah ich zum ersten Mal das Cover von „Love Will Tear Us Apart“ und den Engel darauf, der zu Stein geworden war aus Kummer. Ich schrieb noch keine Gedichte, aber ich erfand die Geschichte eines Fußballvereins. Ian Curtis nahm sich im Mai 1980 das Leben. Als ich an seinem Grab stand – ich kam aus Schottland und fuhr nach Wales –, lagen darauf lauter hellblau-weiße Schals. Ian war loyal supporter der Cityzens, von Manchester City, das 1979 kein Aktienverein war, sondern Team der Vorstädte, vom Rand. „Love Will Tear Us Apart“ und alle Songs von „Closer“ können zu Weihnachten 1979 entstanden sein.
Foto und Facebookbeitrag verdanke ich Sven Meyer.
*
OBEN AM MASTEN WIMPELT BLAU
(Gaisbergspitze in Haiku)
Wolkenmeer. Als Ein-
master segelt der Gipfel
den Kalkklippen zu.
Die Paragleiter:
Spinnaker, die der Wind vor
den Masten takelt.
Nachts schwimmen Lichter
als Plankton auf. Die Wimpern
werden zu Barten.
Die Takelage:
aus Frequenzen. Wind bläht den
Schnee zum Segeltuch.
Vormittags entert
die Sonne auf, sie klirrt das
Eis aus dem Masten.
Oben am Masten
wimpelt Blau. Fahnensignale
überm Wolkenmeer.
DAS HAUS VERLASSEN. Nur wenig mitnehmen.
Eine Handvoll Schatten, den Umriß von Tisch und Stuhl.
Die Schlüssel liegen lassen, die weißen Seiten
zwischen den ungelebten Jahren deines Lebens.
Dieses Leben. So, wie man die Sprache verläßt,
um mit der Stille zu reden. Einziehen in Trauer
und Schnee, auf die sich unser Herz verläßt.
Sich niederlassen in einem Wort, das man noch
nicht gefunden hat, um das man erst
mit dem Tod würfeln muß.
Christian Saalberg
(10.12.1926–25.5.2006)
*
10. Dezember 2024 17:35alles
fast alles
am alten platz
folianten
hauswurzen
elefanten
mit viel zu kurzen
hängerüsseln
aus plüsch
gut versteckt
im wohn
gebüsch
von ihr
die zwei porträts
ihre kleider im schrank
ihre notenblätter
ihre treue
familie
und linde
südliche winde
im speisezimmer
Mit einem Dach und seinem Schat-z
Ich eine kleine Weile-stand
Von bunten Pferden all-em Land
Das lange zögert-untergeht
Zwar manche-vag-gespannt
Doch alle haben-Nieren
Ein böser Roter-geht mit ihnen
Und dann und-weißer Elefant
Ein Hirsch ist da ganz-Wald
Nur dass er einen-trägt und drüber
Ein-blaues Mädchen auf
Und drüber lö-tet weiß ein Junge
Und-mit der Kleinen heiß
Dieweil der Löh-ne zeigt und Zunge
Und-wann ein weißer-Fant
Und auf dem-kommen sie
Auch Mädchen helle-Pferde
Fast schon-mitten In-ge
Schauen irgend-über
Und dann und-Elefant
Geht hin und eilt-es endt
Kreist und dreht-und hat kein
Rot ein Grün-vor send
Ein klein-begonnen-Viel
Und manch-ein Lächeln wend
Ein-ges das blend-verschwend
Dies atem-blinde Spiel
** Rekonstruktion von Rainer Maria Rilkes Gedicht „Das Karussell“ nach Mitschrift der Schallplattenaufnahme „Goldne Deutsche Feder“ (Eterna, VEB Deutsche Schallplatten der DDR, Lesung Albrecht Fabers vom 4. Dezember 1950 in Chemnitz) – Anm. d. Autors
*
4. Dezember 2024 12:02Im November verschütten die Schatten
den Graben, der Bach spült Klammes hinein,
Kälte, in schwarzschiefriger Sonnenlosigkeit
vereinsamt ein Haus mit roter Laterne,
Lastwagenfahrer gehen in der Finsternis
frostiger Vulven verloren,
in einem Steinbruch verrutscht
beschauliches Landleben zu Geröll,
willst du dich wärmen, so drücke dich
an die dröhnenden Diesel der Bagger,
in den Nächten steht schwarz
die Stille in der Schlucht,
erkalteter Kaffee in einer Thermoskanne,
trink, und du wirst für immer
das Licht vergessen, das auf den Gipfeln ruht.
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Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
zischte die graue Else, ziemlich beleibt und
stehende Fußes Graupen schlitzend in ein Sieb.
Den Efeu mit Gräten gerettet. Den
Sauhund im Graben gefilzt.
Adam Seide auf dem einen
Zahn als Stocher.
Anfang und
Zierleber,
Zorntier
einer lybischen Leiter aus dem Labor.
1. Dezember 2024 19:22Aus den Buchenwäldern
fließt das Gold in die Stadt.
Die Bächle tragen es auf Barken
in die Klinik, wo ich
kaum wage, die Tür zu öffnen.
Ich drücke die Klinke
gegen meinen inneren Widerstand,
blicke in den Raum dahinter.
Das Herbstlicht lässt sein Haar,
von der Chemo schütter, leuchten.
Er war aus Rumänien eingewandert,
hatte sich am südlichen Schwarzwaldrand
ein neues Leben aufgebaut,
eine Frau gefunden,
ein Kind mit ihr bekommen.
Täglich löse ich mit einem Wattestäbchen
vorsichtig die Borken von den Innenwänden
seiner rechten Augenhöhle.
Den Augapfel hat man entfernt,
da der Tumor dahinter wächst.
Irgendwoher nimmt er die Kraft,
seiner Frau den Arm
über die Schulter zu legen.
Sie lächeln beide,
während das Kind zufrieden
an ihrer nackten Brust schmatzt.
Wir ernähren ihn nun seit Tagen,
ohne Hoffnung auf Heilung.
Als starken Mann hatte ich ihn aufgenommen,
Maler und Lackierer,
der über meine Fragen lachte.
Nun halten wir ihn nur noch am Leben.
Aus dem Rahmen der Tür,
der mich sicher in der Welt hält,
betrachte ich:
Den mageren Arm um seine Frau,
sein golden leuchtendes Haar,
den friedlichen Säugling.
Wie halten, ohne festzuhalten?
Wie leben?